AUTOINSIDE Ausgabe 10 – Oktober 2022
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BILDUNG<br />
Porträt Flavio Helfenstein<br />
«Den Leuten das Auto<br />
wegzunehmen, wird<br />
nicht funktionieren»<br />
Flavio Helfenstein ist Unternehmer und zusammen mit seinem Bruder<br />
Guido Inhaber der Garagen Helfenstein AG sowie der Helftec Engineering<br />
im luzernischen Hildisrieden. Annäherung an einen der prominentesten<br />
und talentiertesten Vertreter der jungen Generation im Schweizer Autogewerbe,<br />
der laufend versucht, die physikalischen und unternehmerischen<br />
Grenzen zu verschieben. Reinhard Kronenberg<br />
Anfang <strong>Oktober</strong> 2011 sitzt Flavio Helfenstein<br />
im Flugzeug auf dem Weg nach an die World-<br />
Skills in London. Was er fühlt, vergleicht er<br />
im Nachhinein mit einer Achterbahn-Fahrt:<br />
Zuerst als Jahrgangsbester, dann als Schweizer<br />
Meister und gleich anschliessend als<br />
Europameister fährt er in dieser Zeit mental<br />
steil bergauf. Bei allem Selbstvertrauen,<br />
das ihm diese unvergleichliche Erfolgsserie<br />
zusätzlich verliehen hat, fragt er sich aber<br />
trotzdem, ob er dem Druck standhalten wird<br />
<strong>–</strong> oder ob es auf der anderen Seite des Ärmelkanals<br />
ebenso steil wieder bergab geht. Doch<br />
Flavio Helfenstein wäre nicht Flavio Helfenstein,<br />
wenn er sich dadurch tatsächlich beeindrucken<br />
liesse. «Du weisst, was du kannst,<br />
hast hart trainiert, bist gut vorbereitet und<br />
freust dich auf das, was kommt», sagt er sich.<br />
Der Rest ist Geschichte: Helfenstein kommt<br />
als Weltmeister aus London zurück.<br />
Die Szene ist typisch für Helfenstein und<br />
wer mit ihm spricht, merkt das sofort. Es<br />
ist diese Mischung aus einem unglaublichen<br />
Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten kombiniert<br />
mit einer gesunden Bodenständigkeit,<br />
die ebenso verblüfft wie entwaffnend wirkt.<br />
Dass er auf dieser Basis mit 26 Jahren Unternehmer<br />
wurde, und das erst noch erfolgreich,<br />
erstaunt nicht. Seine von ihm aus gesehen<br />
wichtigsten unternehmerischen Tugenden?<br />
«Ehrlichkeit, Authentizität und Ehrgeiz», sagt<br />
der inzwischen 32-Jährige und es kommt wie<br />
aus der Pistole geschossen.<br />
Dass er Unternehmer werden will und wird,<br />
war für Flavio Helfenstein immer klar. Das<br />
habe ihn immer gereizt. «Als Unternehmer<br />
bist du geboren oder nicht.» Bestärkt in dieser<br />
Einsicht hat ihn die Tatsache, dass er sich<br />
nie als Angestellter gesehen hat: «Wenn ich<br />
jemanden um etwas fragen muss, fühle ich<br />
mich unwohl.» Die Frage nach der Selbstständigkeit<br />
stellte sich nach der höheren Weiterbildung<br />
zum Automobildiagnostiker folgerichtig<br />
rasch. Vater Franz sagte seinen beiden<br />
Söhnen Guido und Flavio: «Wenn ihr irgendwann<br />
das Geschäft übernehmen wollt, müssen<br />
wir das aufgleisen», erinnert sich Helfenstein.<br />
«Es war als Einladung zu verstehen<br />
und nicht als Druck.» Und noch bevor sie den<br />
elterlichen Betrieb übernahmen, hatten die<br />
zwei Brüder die Helftec Engineering gegründet.<br />
Der Rest? Pragmatik à la Helfenstein: Die<br />
Jungen übernehmen die Firma und sind ab<br />
jetzt Ansprechpartner der Kunden, der Vater<br />
zieht sich zurück, steht für Unterstützung<br />
aber noch zur Verfügung. «Es war eine coole<br />
Übergabe», sagt Flavio rückblickend. Ein Familienbetrieb<br />
ist die Helfenstein AG geblieben.<br />
Veronika, Flavios Frau, unterstützt ihn<br />
im Geschäft. «Wenn die Familie nicht mitzieht»,<br />
sagt Flavio, «kannst Du’s ohnehin<br />
gleich vergessen.»<br />
Helfenstein hat, wie praktisch zu allem, eine<br />
klare Ansicht, was das Geschäft angeht: «Du<br />
musst versuchen, dich einzigartig zu machen<br />
und zu einem eigenen Brand zu werden.» Das<br />
funktioniert, zumindest aus Sicht der Kunden,<br />
sehr gut: Knapp 40 Bewertungen auf<br />
Google und alle mit der Höchstnote 5 <strong>–</strong> wie<br />
macht man das? «Ganz einfach», sagt Helfenstein.<br />
«Du musst nicht nur ehrlich und<br />
authentisch sein, sondern du musst das auch<br />
leben.» Haben wir nicht und fertig, gäbe es<br />
bei ihnen nicht. «Wir finden für alles eine<br />
Lösung.» Wenn ein Kunde zufrieden sei, bezahle<br />
er selbst die Rechnung gern. Oder lieber.<br />
Und auch hier schimmert Flavios Pragmatismus<br />
durch: Natürlich ist das eine idealistische<br />
Haltung, die dem reinen Geschäftssinn<br />
manchmal im Weg steht. Doch wie bei den<br />
Kunden findet das Brüderpaar auch hier «immer<br />
einen Weg».<br />
Im Fokus seiner täglichen Arbeit steht jedoch<br />
die Helftec Engineering, die Rennsportabteilung<br />
und zweites Standbein der Garage<br />
Helfenstein. Hier konzentriert er sich darauf,<br />
Fahrzeuge für den Rennsport noch schneller<br />
zu machen und «Zeugs zu bauen, das es<br />
noch nicht gibt». Faktisch ist die Helftec eine<br />
Mischung aus Daniel Düsentriebs Werkstatt<br />
und einem High-Tech-Labor für die Zukunft<br />
des Rennsports. Hier loten er und sein Team<br />
Limiten aus und versuchen, physikalische<br />
Grenzen zugunsten der Kunden zu verschieben.<br />
Und wie schon immer bei Flavio Helfenstein,<br />
sind auch hier die Ambitionen sehr<br />
hoch: Wenn alles klappe, sagt er, werde seine<br />
Firma in spätestens zehn Jahren international<br />
eine Bedeutung haben.<br />
Und wie sieht ein Pragmatiker wie er die Zukunft<br />
seines Gewerbes? Die typische Helfenstein-Antwort:<br />
«Sie ist nicht so schwierig, aber<br />
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<strong>Oktober</strong> <strong>2022</strong> | <strong>AUTOINSIDE</strong>