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MAGNIFICAT_2023_November

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Das Bild im Blick 8<br />

Der unbekannte Maler scheint uns mit der Nase darauf stoßen<br />

zu wollen, dass es hier nicht um Irdisch-Materielles geht, sondern<br />

dass hier der Himmel beginnt, in dem andere Gesetzmäßigkeiten<br />

gelten und alles Anfassbare, Schattenwerfende, Perspektivische<br />

der einzig wichtigen Dimension des Geistlichen weicht.<br />

Spirituelle Malerei<br />

Auf den ersten Blick wirkt diese Miniatur wie ein naives Kunstwerk;<br />

es scheint so, als ob der Künstler die Gesetze der Perspektive<br />

nicht kennen und die drei Figuren im Mittelfeld etwas ungelenk<br />

verteilen und miteinander in Beziehung setzen würde. Erst<br />

wenn wir uns die Details anschauen und sie mit dem Bibeltext<br />

in Verbindung setzen, entdecken wir, dass hier eine künstlerische<br />

Absicht vorliegt.<br />

Die Vorstellung einer negativen Kunstentwicklung im Mittelalter<br />

steckt uns in den Knochen, weil früher Kunsthistoriker<br />

lehrten, dass die Antike die realitätsbezogene Malerei schon beherrschte,<br />

zum Beispiel durch die Darstellung der Perspektive,<br />

aber auch von Schlagschatten oder individuellen Gesichtern, dass<br />

dies dann im Mittelalter verloren gegangen sei und erst in der<br />

Renaissance wiederentdeckt und zu neuer Anerkennung geführt<br />

wurde. Auf diese Weise können wir das Mittelalter nur als einen<br />

künstlerischen Niedergang begreifen, was natürlich sehr gut zu<br />

der Vorstellung von einem „saeculum obscurum“, einer dunklen<br />

Epoche passt.<br />

In Wirklichkeit war es nie die Absicht vorgotischer mittelalterlicher<br />

Kunst, sichtbare, berührbare Wirklichkeit darzustellen. Es<br />

kam ihr nicht auf die plastische Darstellung gemalter Figuren an,<br />

es ging ihr nicht darum, einen Raum möglichst realistisch dreidimensional<br />

darzustellen. Es ging ihr um die Darstellung des Immateriellen,<br />

des Unsichtbaren, des Geistlichen. Auf diese Weise<br />

kann sie sich Gott annähern, der nach Joh 4, 24 Geist ist.

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