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Kunstbulletin Dezember 2023

Unsere Dezember Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Chiara Bersani, Delphine Reist, Anita Muçolli, Reto Boller, uvm.

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Corinne Odermatt — Farben der Zugehörigkeit<br />

Corinne Odermatt ist Stanser Künstlerin und Preisträgerin des<br />

Werkjahres 2022 der Frey-Näpflin-Stiftung. In ihrer Ausstellung<br />

im Nidwaldner Museum lädt sie uns ein, über Nationen, Grenzen<br />

und Zugehörigkeit nachzudenken – und das auf eine spielerische,<br />

poetische und farbenprächtige Art und Weise.<br />

Stans — Am Eingang des Nidwaldner Museums gibt man seine Nationalität ab und<br />

bekommt eine neue. Mit einem Griff in eine Schale voller zusammengerollter Zettel<br />

wird man zum Bürger oder zur Bürgerin von – zum Beispiel – Arik. So heisst eines<br />

von 13 fiktiven Ländern in der raumfüllenden Installation ‹Longing to Belong›, <strong>2023</strong>,<br />

von Corinne Odermatt (*1985). Von der Decke hängen farbenprächtige Landesflaggen,<br />

aus den Lautsprechern ertönen in regelmässigen Abständen Nationalhymnen.<br />

Und an der Wand sind Telefonhörer angebracht, aus denen mehr über ein Land zu<br />

erfahren ist. Arik etwa ist von Sandwüsten geprägt und weist ein extrem heisses Klima<br />

auf. Entsprechend niedrig ist dort die Lebensqualität: 25 von 100 Punkten. Die<br />

Installation, die in Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Journalisten Claudio<br />

Landolt (*1984) entstanden ist, regt dazu an, über den Zufall nachzudenken, in einem<br />

bestimmten Land geboren zu werden – und entsprechend ein gutes oder schlechtes<br />

Los gezogen zu haben. Beinahe spielerisch gelingt es hier, drängende Probleme einer<br />

konfliktbeladenen, globalisierten Welt zu verhandeln.<br />

Mit der Ambivalenz zwischen Ausgrenzung und Zugehörigkeit beschäftigt sich<br />

auch ‹Imagi Nation›, <strong>2023</strong>, im Keller des Museums. Auf eine freistehende Wand wird<br />

der Schatten einer Flagge im Wind projiziert, während eine Stimme in unverständlicher<br />

Sprache etwas vorträgt – man fühlt sich als Fremde:r. Auf der anderen Seite<br />

der Wand wird das Rätsel gelöst: Untertitelt entpuppen sich die rückwärts gesprochenen<br />

Worte, verfasst von der Schriftstellerin Martina Clavadetscher (*1979), als<br />

Lobeshymne auf Gemeinsamkeit, Freundschaft und Vielfalt. Dazu weht die Flagge<br />

mit der titelgebenden Aufschrift vor einem Ozean, an dessen Horizont eine Insel auszumachen<br />

ist – das utopische, alle und alles einschliessende Land?<br />

Ebenso poetisch, aber weniger politisch ist das ‹Tagebuch der Langsamkeit›,<br />

2022/23. Auf einem bodennahen Sockel sind fünfzig mit Beeren und Pflanzen eingefärbte<br />

Seidentücher rasterartig ausgelegt. Manche sind monochrom, andere erinnern<br />

mit ihren Mustern an Rorschachtests. Jedes Tuch erzählt von einer Wanderung, die<br />

Odermatt im Rahmen des Werkjahres 2022 der Frey-Näpflin-Stiftung unternommen<br />

hat – der mit 50’000 Franken dotierte, biennal verliehene Preis fördert Zentralschweizer<br />

Künstler:innen und ist mit einer Ausstellung im Nidwaldner Museum verbunden<br />

(→ S. 119/120). So überschreitet Odermatt zum Schluss statt Grenzen imaginierter Länder<br />

jene zur Natur und entdeckt dabei im Nahen universelle Schönheit. Tobias Söldi<br />

→ ‹Corinne Odermatt – Longing to Belong›, Nidwaldner Museum, bis 28.1. ↗ nidwaldner-museum.ch<br />

104 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2023</strong>

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