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Kunstbulletin Dezember 2023

Unsere Dezember Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Chiara Bersani, Delphine Reist, Anita Muçolli, Reto Boller, uvm.

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Diego Marcon — Die unerträgliche Leichtigkeit des Verbrechens<br />

In seiner ersten Schweizer Einzelausstellung erkundet Diego<br />

Marcon die Schnittstellen zwischen Film und Kunst. Was im<br />

ersten Moment an ein groteskes Musical- oder Puppentheater<br />

erinnert, offenbart sich als ebenso poetische wie gesellschaftskritische<br />

Schau von grosser künstlerischer Sorgfalt.<br />

Basel — Ein Mann mit Silikonmaske sitzt auf einem Bett, in dem eine Frau liegt. Er<br />

schaut dem leise rieselnden Schnee vor dem Fenster zu, bis auf dem Sims eine Amsel<br />

landet und virtuos den Anfang eines Musicalsongs pfeift. Darin besingt ein Vater,<br />

wie er Sohn, Tochter und Frau erdrosselt, um sich schliesslich selbst zu töten.<br />

‹The Parents’ Room›, 2021, ist auf 35mm-Film aufgenommen und verbindet echte<br />

Schauspieler:innen mit computergenerierten Animationen. Wie alle Filme des italienischen<br />

Künstlers Diego Marcon (*1985) ist die Szene als endloser Loop konzipiert.<br />

Das Video, bekannt von der Biennale in Venedig 2022, macht im ersten abgedunkelten<br />

Saal den Auftakt zur Schau in der Kunsthalle Basel, die selbst wie eine<br />

Schlaufe gestaltet ist. Hell und dunkel wechseln sich ab, wobei in den hellen Räumen<br />

tonlose und in den dunklen klingende Videoarbeiten gezeigt werden. Im zweiten, hellen<br />

Raum folgt ‹Untitled (Head falling 01–03)›, 2015, – drei zehnsekündige Loops von<br />

digitalisierten, bemalten 16mm-Filmen, die ein sich bewegendes Gesicht eines Mannes<br />

in der Art einer Kinderzeichnung zeigen. Es folgt die Videoarbeit ‹Monelle›, 2017:<br />

Stille und Dunkelheit werden von blitzartigen Bildern und explosionsartigen Schlaggeräuschen<br />

unterbrochen. Auf den Fotos sind zumeist junge Frauen zu sehen, die in<br />

den monumentalen Räumen der Casa del Fascio in Como abgelichtet wurden. Sind es<br />

Opfer? Szenen eines Gewaltverbrechens? Geisterhaft brennt sich dieses ehemalige<br />

Zentrum des italienischen Faschismus in die Netzhaut der Betrachtenden.<br />

Danach trifft man auf eine Brass-Band aus kindlichen Betonfiguren, niedlich,<br />

aber auch unheimlich und still. Am Ende des Rundgangs schliesslich ist eine Kino-<br />

Situation so inszeniert, dass die Besuchenden zuerst das Publikum sehen, welches<br />

einem aufwendig produzierten Puppentheater zuschaut: In ‹Dolle›, <strong>2023</strong>, sitzen zwei<br />

Animatrix-Maulwürfe in einem Wohnzimmer und führen scheinbar endlose Rechnungen<br />

aus, ohne zu einem Resultat zu kommen. Durch eine feinsinnige Kombination von<br />

analogen und digitalen Mitteln gelingt dem in der Nähe von Varese aufgewachsenen<br />

und in Mailand lebenden Künstler eine runde, teils verstörende, teils aber auch humorvolle<br />

und berührende Ausstellung. Er arbeitet ganz bewusst mit der affektiven<br />

Kraft von Klang, Musik und Stille, die er gezielt einsetzt. Seine Figuren wirken dabei<br />

wie fieberhafte Gestalten, die weniger aus freiem Willen als aufgrund von inneren<br />

oder äusseren Zwängen handeln. Andrin Uetz<br />

→ ‹Diego Marcon – Have You Checked the Children›, Kunsthalle Basel, bis 21.1. ↗ kunsthallebasel.ch<br />

92 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2023</strong>

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