Kunstbulletin Dezember 2023

Aktuell wirkt die Kunsthalle CACY im Rathaus von Yverdon-les-Bains in augenfälligem
Kontrast zu den zurzeit überall auf den Strassen vermodernden Blättern peinlich
aufgeräumt und sauber. Diesen Eindruck vermögen auch Kegel von Bauschutt nicht
zu trüben, die sich rechts des Eingangs und in der linkerhand sich öffnenden grossen
Halle auftürmen. Sie sind aus ähnlich ockerfarbigem Stein geformt wie die massigen
Gewölbe des ehemaligen Kornkellers in dem leicht abgesenkten Erdgeschoss.
Aus dem Raum gegenüber dem Eingang dringt grünes Licht. Zunächst aber verfängt
sich der Blick in einer davor platzierten Skulptur aus Stahl. Es ist eine Art Tisch
mit kreuzförmiger Platte und hohen Beinen auf Rollen. Anita Muçolli hat ihn den Anlagen
für Angsttests mit Mäusen und Ratten nachgebildet – nur ohne Auffangnetz.
‹Open Field› – gleich wie Muçollis Werk – heissen die Versuche, bei denen die Tiere einerseits
unter normalen kognitiven und emotionalen Bedingungen und andererseits
nach diversen Manipulationen durch Substanzen, Stimulationen oder sogar Operationen
über die schlanken Stege gelockt werden. Noch liegt ein Sonnenblumenkern
auf einem Ende der vierarmigen Platte. Doch von den Nagern fehlt jede Spur. Und dies
gilt auch für die Herren und Damen in weissen Kitteln, die sich dieser Lebewesen wie
selbstverständlich für den Fortschritt der Menschheit bedienen, um Krankheiten zu
begegnen, Leistungen zu verbessern und letztlich den Tod aufzuschieben, wenn nicht
sogar abzuschaffen. Als unausweichliche Tatsache verbindet der Tod die Menschheit
nach wie vor mit allen anderen Tieren. Unser Umgang mit ihm unterscheidet uns jedoch
seit Langem von diesen. Edgar Morin, einer der ersten Anthropologen, der sich
mit der Geschichte des Todes seit der Entwicklung eines Vorstellungsvermögens
beim Homo sapiens vor gut 70’000 Jahren auseinandergesetzt hat, formulierte es wie
folgt: «Kaum hatte der Mensch gelernt und verstanden, was sein Tod war, weigerte er
sich sogleich, daran zu glauben.»
Im CACY schwant einem allmählich, dass man beim Eintritt in die Kunsthalle die
Schwelle zu einem fiktiven Laboratorium überschritten hat, das, so scheint es, hastig
in einem Kellerverlies eingerichtet und dann überstürzt wieder verlassen worden ist.
Schauer und Schwindel
Anita Muçolli, Kind kosovarischer Eltern, die in die Deutschschweiz migrierten,
hat sich seit ihren ersten künstlerischen Auftritten 2019 durch plastisch und diskursiv
überzeugende Interventionen einen Namen gemacht. Die Master-Absolventin
des Institute Art Gender Nature an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel
siedelt ihre Werke im Spannungsfeld von Hygiene, Präzision und Life Sciences an. Es
bereitet ihr Sorge, dass sich die uralte Hoffnung auf ein ewiges Leben seit der Aufklärung
im 18. Jahrhundert zunehmend in die Wissenschaft verlagert hat.
Im CACY kreiert sie eine unheimliche Atmosphäre, die auch bestimmt wird durch
eine unregelmässig an- und abschwellende Geräuschkulisse. Muçolli hat sie mit der
Klangkünstlerin Ana Jikia entwickelt. Darin greifen polyphone, klassische Instrumentalmusik
und Bunsenbrennergezische sowie Reagenzglasgeschüttel zu einem
so klirrend kalten Schall ineinander, dass es einen schaudert. Betritt man schliess-
FOKUS // ANITA MUÇOLLI
49