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Kunstbulletin Dezember 2023

Unsere Dezember Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Chiara Bersani, Delphine Reist, Anita Muçolli, Reto Boller, uvm.

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BESPRECHUNGEN<br />

Zora Berweger — Eine Ausstellung als Baum<br />

In der Kunsthalle Appenzell ist die erste institutionelle Einzelausstellung<br />

von Zora Berweger zu sehen. Die Berner Künstlerin<br />

mit Ausserrhoder Wurzeln präsentiert ihre Arbeit als raumübergreifenden<br />

Organismus, in dem jedem Element seine spezifische<br />

Funktion und Deutung zuteil wird.<br />

Appenzell — Zeichensysteme sind allgegenwärtig und lebenswichtig. So informieren<br />

Piktogramme über Fluchtwege, Radioaktivität oder die Gefahr eines Stromschlags.<br />

Sie werden überall auch ohne Worte verstanden. Aber Zeichen können noch einfacher<br />

und universeller sein: Zora Berweger (*1981, Bern) verwendet ein lineares Vokabular.<br />

Seit einigen Jahren arbeitet die Künstlerin mit Salzteig. Getreide, Wasser,<br />

Salz – mehr braucht sie nicht für Reliefs von archaischer Ausdruckskraft. Sie drückt<br />

mit den Fingern Punkte, Kreise oder Dreiecke ins weiche Material, lässt es trocknen<br />

und betont dann mit aufgesprühter Farbe dessen raue Oberfläche und die rudimentären<br />

Formen. Die Werkgruppe wird in der Kunsthalle Appenzell auf dem mittleren<br />

Stockwerk gezeigt. Damit wird ihr Charakter als Bindeglied betont: Die Reliefs stehen<br />

an der Schnittstelle zwischen zwei- und dreidimensionalen Arbeiten einerseits und<br />

verweisen andererseits mit ihrem reduzierten Zeichensystem sowohl auf die gegenständlichen<br />

als auch auf die ungegenständlichen Werke der Künstlerin.<br />

Zora Berweger inszeniert ihre Ausstellung wie ein Gewächs. Das Erdgeschoss<br />

denkt sie als Wurzelraum, die mittlere Etage als tragenden Stamm und das Obergeschoss<br />

als Baumkrone. Die seit 2006 in Leipzig arbeitende Künstlerin will mit diesem<br />

Konstrukt an die Funktionen einer Pflanze anknüpfen. Im Erdgeschoss zeigt sie eine<br />

raumfüllende Installation mit minimalistischen Neonzeichen. Sie stehen in Anlehnung<br />

an die Funktion von Wurzeln für den inhaltlichen und formalen Ausgangspunkt<br />

der Ausstellung. Den Stamm und somit das darüber liegende Stockwerk versteht<br />

Berweger als Ort, wo die Nährstoffe gebündelt werden und die Kräfte zusammenfliessen.<br />

Hier zeigt sie ausser den Salzteigreliefs ein Gemälde aus dem Jahr 2012 und<br />

Objekte aus Materialien wie Gips, Pappmaché, Draht oder Bast. Präzise tariert sie<br />

die Beziehungsnetze zwischen Einzelwerken aus und öffnet den Raum für universelle<br />

Erzählungen. Spirituelles wird angedeutet und Ursprüngliches, Erdenschweres,<br />

Kosmisches. Mit Letzterem leitet Berweger motivisch über zum obersten Stockwerk,<br />

das in der Baummetapher für die Krone und für Kreisläufe steht. So sind Objekte in<br />

Form von Schoten, Körnern und Kapseln auf dem Boden platziert – Sinnbilder für<br />

gespeicherte Energie und das Potenzial zu Erneuerung. Ein Neonzeichen verbindet<br />

diese Etage inhaltlich und formal schlüssig mit dem Erdgeschoss. Kristin Schmidt<br />

→ ‹Zora Berweger – Greeting the Unseen›, Kunsthalle Appenzell, bis 14.4. ↗ kunsthalleappenzell.ch<br />

90 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2023</strong>

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