Kunstbulletin Dezember 2023

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Delphine Reists Schaffen dreht sich verschiedentlich um das Thema Arbeit. Mit Werken aus den letzten 15 Jahren und sieben eigens für die Schau entstandenen Produktionen schöpft sie im Museum Tinguely aus dem Vollen. Dabei kommt dem Material Öl mit seinen fluiden und viskosen Qualitäten sowie seinen politischen Implikationen eine tragende Rolle zu. Andrin Uetz Wie Wächter vor einem geheimen Industriewerk stehen zwei massive Männerfiguren mitten im Aufgang zu den oberen Etagen des Museum Tinguely. Ohne Kopf, Brustkorb und Arme handelt es sich dabei eigentlich um mit Beton ausgegossene Wathosen. Solche ermöglichen es, beim Fliegenfischen bis zum Bauch durch Gewässer zu waten, ohne dabei nass zu werden. ‹Waders›, 2022, ist auch eine Referenz an Jean Tinguely, der solche Hosen bei Reparaturarbeiten an seinen Brunnen trug. Die Figuren sind breitbeinig und unverrückbar auf Körper und Kraft reduziert. Ihre Funktion und ihr Handlungsspielraum scheinen sich darauf zu beschränken, mit einer beängstigenden Präsenz im Weg zu stehen. Über ihnen eine spiralförmige Schlange aus zusammengenähten Pneus sowie ein teppichartiges Banner, auf dem der Ausstellungstitel «öl» geschrieben steht. Den Korridor weiter hochschreitend, ergiesst sich aus schwarzen Eimern – die ähnlich wie die Pneus aus vulkanisiertem Kautschuk bestehen – Beton auf das Holzparkett. Jeweils fünf Eimer formen halbrunde Einheiten, welche an die Form von Wimpern an geschlossenen Augenlidern erinnern und sich den langen Aufgang hoch sieben Mal wiederholen. Dabei kontrastiert das zufällige Moment des umkippenden Eimers mit dieser ornamentalen Anordnung. Gleichzeitig entstehen assoziative Verbindungen zum Rhein ebenso wie zum Verkehrs- und Güterfluss, der sich via Autobahnbrücke und auf dem Wasser ausserhalb des Museums vollzieht und durch die grosse Fensterfront sichtbar wird. Sickern, tropfen, aber nicht kleckern Dass sich Delphine Reist (*1970) auf raumfüllende Arbeiten versteht, wird beim Ausstellungsrundgang, der sich auf den Aufgang sowie das erste und zweite Obergeschoss des grossräumigen Museums erstreckt, mehr als deutlich. Schon der Ausstellungstitel ‹ÖL [oil, olio, huile]› geht aufs Ganze. Öl ist nicht irgendein Material. Öl ist als geopolitischer und ökologischer ebenso wie als kunsthistorischer Signifikant wortwörtlich übersättigt: vom fossilen Energieträger zum unerlässlichen Bestandteil vieler Nahrungsmittel und Kosmetika bis zu den Ölfarben der grossen Meister in den Gemäldegalerien. Erfreulicherweise lässt Reist in der Basler Ausstellung diese Vieldeutigkeit zu und spielt damit, beispielsweise wenn sie bei ‹Huiles›, 2022, verschiedene Arten von Ölen, etwa Rapsöl oder gebrauchtes Motoröl von Helikoptern, aus roten Fässern über eine meterhohe weisse Wandfläche in einen Sandboden sickern lässt. Langsam ent- 38 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2023</strong>
Delphine Reist · Huiles, 2022 (Ausschnitt), Fässer, verschiedene Öle, Sand, Masse variabel, Ausstellungsansicht Museum Tinguely, Basel. Foto: Bettina Matthiessen FOKUS // DELPHINE REIST 39
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