30.11.2023 Aufrufe

Kunstbulletin Dezember 2023

Unsere Dezember Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Chiara Bersani, Delphine Reist, Anita Muçolli, Reto Boller, uvm.

Unsere Dezember Ausgabe für 2023 mit Beiträgen zu Chiara Bersani, Delphine Reist, Anita Muçolli, Reto Boller, uvm.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Stéphanie Baechler<br />

Fribourg — Heiligenfiguren in historischen Museen<br />

ähneln oft Statisten, die als stumme Zeugen<br />

prächtigeren Objekten, von Messgeschirr<br />

bis zu Monstranzen, flankierend eine Bühne<br />

eröffnen. Nicht so im Musée d’Art et Histoire<br />

Fribourg. In der Ausstellung ‹Have faith› von<br />

Stéphanie Baechler (*1983) tritt die Künstlerin<br />

mit der Sammlung in Dialog. Wobei die katholischen<br />

Heiligen wie auch die oft wenig beachteten<br />

Wappenscheiben ins Zentrum der präzisen<br />

Interventionen im ganzen Haus rücken.<br />

Viele der Heiligen macht Baechler mittels<br />

Spruchbändern oder Textilien wieder zu eigentlichen<br />

Boten. Dabei greift sie auf das Vorbild<br />

solcher Bänder in mittelalterlichen Malereien,<br />

aber auch auf die dortige Bedeutung der Geste<br />

zurück. So gibt sie im ersten Stock einem<br />

goldgefassten Heiligen von 1515 eine aus Glas<br />

geformte Hand, die nun ein Spruchband mit<br />

dem Gedicht ‹Dear Cracks, …› der Künstlerin<br />

halten kann – als Pendant zur Bibel unter seinem<br />

linken Arm.<br />

Die Botschaft des Gedichts ist einerseits eine<br />

der «Hoffnung und des Vertrauens», wie der<br />

Pressetext formuliert – andererseits reflektiert<br />

es das Grundgefühl der Gegenwart als Zerrissenheit<br />

auf persönlicher und gesellschaftlicher<br />

Ebene. Zugleich spricht die Künstlerin darin<br />

Themen wie Wunderglauben oder virtuelle<br />

Erfahrungen an. Und so erstaunt es nicht, dass<br />

der heilige Michael auf derselben Etage die<br />

Stickerei eines Kabels mit Anschlüssen und<br />

Geräten «en miniature» hochhält, USB-Ports<br />

oder auch Tablets, was irritierend und anregend<br />

zugleich ist.<br />

Stéphanie Baechler sind die handwerklichen<br />

Prozesse der Medien, mit denen sie interveniert,<br />

wichtig: Arbeitete sie bei der Stickerei<br />

mit Produzenten in der Ostschweiz zusammen,<br />

experimentiert sie im zweiten Werkkomplex,<br />

der alle Stockwerke durchzieht, mit «les arts<br />

du feu», Glas und Keramik. Auch vor einige der<br />

wertvollen Wappenscheiben des MAHF hängt<br />

sie ihre zeitgenössischen Neuinterpretationen,<br />

wobei sie auch da nicht gegen, sondern<br />

mit deren Motiven spielt. Ihre verschiedenen<br />

Keramiken, beispielsweise die sich Schlangen<br />

gleich windenden Stäbe, drückt sie im zweiten<br />

Stock einem Mönch in die Hände oder platziert<br />

sie zwei Etagen höher auf eine Kommode aus<br />

dem 19. Jahrhundert.<br />

Die Künstlerin aktiviert in der Sammlung<br />

schlummernde Potenziale, was den Rundgang<br />

zu einer spannenden Spurensuche macht und<br />

uns die historischen Objekte in einer neuen<br />

Lebendigkeit erfahren lässt. AD<br />

Stéphanie Baechler · Ribbons Dear Clay,<br />

2021, historische Heiligenfigur mit Textil,<br />

Ausstellungsansicht Musée d’art et d’histoire<br />

MAHF. Foto: Francesco Ragusa<br />

Stéphanie Baechler · Cortical Homunculus<br />

Antenna, 2018, Aluminium, Kunststoffschrauben,<br />

Keramik, Ausstellungsansicht Musée d’art<br />

et d’histoire MAHF. Foto: Francesco Ragusa<br />

→ Musée d’art et d’histoire MAHF, bis 24.3.<br />

↗ fr.ch/de/mahf<br />

78 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2023</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!