Wäre ich ein spöttischer Mensch, würde ich sagen Eine Reise nach Capri dürfte für Senioren über 0 Jahren das sein, was sportliche 30-Jährige sich von einem Trek ins Basislager des Mount Everest versprechen. Eine mentale und körperliche Herausforderung nämlich, die sich aber umso mehr auszahlt, wenn man die Mühsal eines solchen Trips erst einmal bewältigt hat. Natürlich übertreibe ich ein wenig, was Capri angeht, aber hey Das machen doch schließlich alle. Dafür, dass die Felseninsel aus Kalkstein an der Amalfiküste nur knapp 10, uadratkilometer groß ist, wird ganz schön Heckmeck um sie gemacht. Vor allem von allerlei Literaten und sonstigen Bewahrern der abendländischen Kultur. »Capri treibt geheimnisvoll auf den durchsichtigen Wassern«, raunte etwa Andre Gide, ein französischer Literaturnobelpreisträger. Der englische Romancier und später auch Maler D. H. Lawrence adelte Capri gleich zu »einem der schönsten Orte der Welt«. Da mochte Jahrzehnte später auch der deutsche Schlagersänger Rudi Schuricke nicht zurückstehen. Mit dem Hit »Capri Fischer« sicherte sich der Musikant aus Brandenburg an der Havel ab 194 ein solides Auskommen auf deutschen Tanzbühnen, unvergessen bis heute die berühmte Zeile »Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt«. Refrain »Bella, bella, bella, Marie« Mein erster Eindruck von Capri allerdings ist nicht rot, sondern pink. Das schweinchenfarbene Cabrio-Taxi, das mich an der Marina Grande nach knapp einstündiger Fahrt mit der Fähre einlädt, wirkt auf gut gelaunte Weise so albern wie das Gefährt einer Horde Junggesellen auf der Hamburger Reeperbahn. Am Hafen selbst brodelt es. Überall Tagesgäste, die entweder ab<strong>reisen</strong>, ankommen oder nicht so genau zu wissen scheinen, in welche Richtung sie eigentlich wollen. Kunterbuntes Durcheinander wäre untertrieben. Capri mag ein besonders mondäner Ort sein und viele seiner Übernachtungsgäste überwiegend distinguiert, aber wir reden hier immer noch von Italien. Da gehört Chaos halt mit zum Straßenbild. Was bei der Fahrt vom Hafen hoch hinauf zu Capri-Stadt folgt, sind Nahtodmomente im 30-Sekunden-Rhythmus. So lange dauert es auf den engen Gassen, von einer schlecht einsehbaren Kurve zur anderen zu gelangen und dabei nicht mit dem Gegenverkehr zu kollidieren. Mein Taxi ist nicht nur pink und ohne Dach, sondern auch eigentümlich lang gezogen. Die bizarre Stretchlimo hat gleich zwei Rückbänke. So sehen Autos auf dem Festland nicht aus. Der Grund Auf der ,3 Kilometer langen und nur 2, Kilometer breiten Insel werden Fiat Scudos oder Nissan Evalias in einer zweckdienlich umgebauten Variante genutzt. Es geht schließlich darum, die kuriosen Kisten möglichst effektiv zu besetzen. Autoverkehr ist auf Capri eine Disziplin für Lenkradkünstler mit Geduld. Kommt auf der Fahrt einer der kurios geschrumpften Inselbusse entgegen, ist Millimeterarbeit in Schrittgeschwindigkeit gefragt. Für Menschen, die zu Nervenzusammenbrüchen neigen, empfehle ich stattdessen die Fahrt mit der Funicolare. Das ist die Seilbahn auf Capri. Die verbindet den Hafen mit der Piazza Umberto I im Zentrum von Capri- Stadt. Die Option, die Strecke vom Hafen zur Stadt zu Fuß zu gehen, ist theoretisch zwar auch möglich. Wäre aber sehr verrückt, gleich aus zwei Gründen Zu steil. Zu eng. Sucht euch was aus. Der Eindruck, dass es sich bei Capri um eine sehr kleine, sehr enge und sehr steile Insel handelt, dürfte bereits vermittelt worden sein. Das hat zwei Effekte. Zum einen genießt man schon nach kurzer Fahrt grandiose Aussichten auf die abwechslungsreiche Amalfiküste. Zu den gängigen Capri-Motiven gehören ja bekanntlich die bunten, in Terrassen angelegten Häuser, die sehr eng an steilen Bergen kleben – aber eben auch diese Fotos vom tiefblauen Thyrrhenischen Meer in den Buchten Capris am felsigen Strand. Dass Capri auch die »blaue Insel« genannt wird, hängt also nicht nur mit der »Blauen Grotte« zusammen. Wobei die Grotte wohl die beliebteste Sehenswürdigkeit Capris sein dürfte. Kleiner historischer Einschub Der Dichter und Maler August Kopisch entdeckte die berühmte Höhle, die man nur schwimmend oder mit dem Boot erreichen kann, am 1. August 12. Er notierte seine Begeisterung über die »himmelblaue Grotte« noch am selben Tag im Gästebuch seiner Pension, veröffentlichte eine Reportage darüber allerdings erst Jahre später. Fun Fact Die Höhle hieß bei den Einheimischen zuerst noch »Teufelshöhle«, bevor sie zur »Blauen Grotte« wurde. Warum das Ganz einfach – der römische Kaiser Tiberius soll zu seiner Zeit darin seine Sklavinnen eingekerkert haben. Jedenfalls löste Kopischs schwärmerische Reportage einen Touristenboom auf Capri aus. Alle wollten diesen Ort, der »über die Far- 50 <strong>reisen</strong> <strong>EXCLUSIV</strong> frühjahr <strong>2024</strong>
MITTELMEER | Capri Kurvenwunder: Über die Via Krupp geht es hoch hinaus. Oder rasant bergab – je nach Perspektive. Die berühmte Serpentinenstraße von 1902 war einst ein Geschenk von Friedrich Alfred Krupp. GRANDIOSE AUSSICHTEN AUF DIE AMALFIKÜSTE <strong>reisen</strong> <strong>EXCLUSIV</strong> 51