2012-04
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Schicksal<br />
bezahlt. Noch immer wurden in London die Kriegsschäden<br />
beseitigt und ein Ende war nicht abzusehen. Endlich war der<br />
große Tag da und Ian erschien auf der Bildfläche. Ein gesunder<br />
Junge mit blauen Augen, kräftig und aufgeweckt, es war<br />
eine Pracht, ihn anzusehen.<br />
Die Betreuung des Jungen ließ Eva noch Zeit, eine Putzstelle<br />
in einem Büro anzunehmen, so dass ihre wirtschaftliche<br />
Basis gestärkt wurde. Es hieß, sie sei efficient. Eva<br />
freute sich über das, was sie als Lob empfand, und Andy<br />
liebte sie von ganzem Herzen.<br />
Eine entfernte Verwandte kam zu Besuch, lächelnd mit<br />
eisigen Augen. Unmerklich änderte sich die Athmosphäre.<br />
Eva wurde krank, eine Unterleibsgeschichte, nicht lebensbedrohlich,<br />
aber langwierig, so dass sie auf die Hilfe anderer<br />
Menschen angewiesen war. Die Verwandten, die selbst keine<br />
Kinder hatten, boten sich an, für den<br />
Jungen, der inzwischen neun Monate<br />
alt geworden war, zu sorgen, während<br />
Eva im Krankenhaus und später vier<br />
Wochen zur Erholung war.<br />
So oft er konnte, besuchte Andy<br />
sie, war aber doch froh, als sie wieder<br />
nach Hause kam. Und Eva presste ihren<br />
Ian voll Freude an ihr Herz.<br />
Aber irgendetwas hatte sich verändert.<br />
Ian wurde von der Verwandtschaft<br />
mit durchaus zugeneigtem<br />
Wohlwollen behandelt, dem sich<br />
auch Eva nicht verschließen konnte.<br />
Und Ian liebte seine Grandma. Ungesagtes<br />
stand in der Luft.<br />
Die Zeit verrann. Ian wurde größer.<br />
Die Familien hatten ständigen<br />
Kontakt und anfangs schien alles in<br />
Ordnung. Ganz langsam, schleichend,<br />
fielen Bemerkungen, die nicht mehr so<br />
wohllautend waren, wie man es hätte<br />
erwarten müssen. Andy nahm das alles<br />
nicht so ernst, und Eva fühlte sich<br />
allein. Sie wusste nicht, was sie tun<br />
sollte. Keinesfalls wollte sie Ian gefährden,<br />
und dieser sah in der Verbindung<br />
mit seinen Verwandten, je älter er<br />
wurde, auch Vorteile. Ein tiefer Zwiespalt<br />
zeichnete sich ab. Und schließlich<br />
kam das furchtbare Wort von der<br />
deutschen Hure, zuerst verhalten vorgebracht,<br />
dann offen ausgesprochen.<br />
Die Jahre vergingen für Eva mit zunehmender<br />
Qual. Zwar hielt Andy zu<br />
ihr und tröstete sie, wo er konnte, aber<br />
es gab wirtschaftliche Verflechtungen,<br />
die einen klaren Bruch verboten. Sie<br />
hatten nicht soviel Geld, dass sie eine<br />
eindeutige Trennung vollziehen konnten.<br />
Ein großer Teil ihres Geldes ging in die Ausbildung von<br />
Ian, bis er fertig war. Erst jetzt konnten sie daran denken, zu<br />
einem anderen Leben zu finden und so viel Geld anzusammeln,<br />
dass sie ihrem alten Leben den Rücken kehren konnten,<br />
unter Verlust des Sohnes, der sich mehr und mehr von seinen<br />
Eltern abgewendet hatte, weil ihm die Verwandten Vorteile<br />
verschafften, die Eva ihrem Sohn nicht streitig machen wollte.<br />
Manchmal schien die Qual für Eva nicht mehr ertragbar<br />
zu sein, aber immer wieder fand sie in ihrem Andy ein Stütze.<br />
Immer wieder trocknete er ihre Tränen, richtete sie auf,<br />
wenn sie zusammenzubrechen drohte, half ihr auch, wenn<br />
sie wegen ihres Sohnes Schmerzen litt, und besonders dann,<br />
denn er liebte seinen Sohn genauso wie sie.<br />
Der jahrhundertealte Zwiespalt zwischen den Schotten<br />
und den Engländern ist überall bekannt. Eine Todsün- !<br />
durchblick 4/<strong>2012</strong> 25