2012-04
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Essay<br />
WIE KONNTE GOTT DAS ZULASSEN?<br />
Religionskritische Gedanken über die Speerspitze<br />
des Atheismus: Das Theodizee-Problem.<br />
Zur Einstimmung<br />
Glauben Sie an Gott? Wenn nein, ist dieser Beitrag<br />
vermutlich uninteressant für Sie. Wenn aber ja,<br />
wäre meine nächste Frage: Was für ein Bild haben<br />
Sie von Gott? Glauben Sie, dass Gott der Schöpfer dieser<br />
Welt ist? Glauben Sie auch an seine drei, ihm zugeschriebenen<br />
Attribute: allmächtig, allwissend und allgütig zu sein?<br />
Dann haben Sie sich, angesichts der Weltwirklichkeit die<br />
uns umgibt die Frage: „Wie konnte Gott das zulassen“ sicherlich<br />
auch schon einmal gestellt. Denn immer wieder, ob<br />
bei Naturkatastrophen, wie Erdbeben, Tsunamis, Epidemien,<br />
Seuchen, Dürren, Überschwemmungen, oder auch bei; durch<br />
uns Menschen selbst verschuldeten Katastrophen; wie Kriege,<br />
Terroranschläge, Massaker, Völkermorde, Attentate oder<br />
schwere Verbrechen, wird diese Frage neu gestellt. Historisch<br />
beispielhaft dafür sei nur an den Holocaust während der nationalsozialistischen<br />
Herrschaft erinnert und die systematische<br />
Ermordung von sechs Millionen Juden und ca. 500.000 Sinti<br />
und Roma. Unvorstellbare<br />
Gräueltaten,<br />
die die Frage:<br />
„Wie konnte Gott<br />
das zulassen?“ oder<br />
konkreter „Wo war<br />
Gott inAuschwitz“,<br />
geradezu provozieren.<br />
Ist für viele<br />
Menschen Gott bereits nach Auschwitz gestorben, so könnte<br />
man ihn nach der Tsunami Katastrophe am zweiten Weihnachtstag<br />
20<strong>04</strong>, bei der etwa 280.000 Menschen, darunter<br />
viele Kinder, ihr Leben verloren haben, nun endgültig für<br />
mausetot erklären. Aber nicht nur solch große, verheerenden<br />
Geschehnisse geben Anlass, über das Wesen Gottes nachzudenken,<br />
nein, auch im Hier und Heute, um uns herum, erleben<br />
wir, und ereignen sich, Tag für Tag, leidvolle Schicksalsschläge,<br />
verursacht durch tragische Unglücksfälle, schwere<br />
Krankheiten, geistige und körperliche Gebrechen, jahrelanges<br />
Siechtum, oder der plötzliche, völlig sinnlos erscheinende<br />
Tod eines geliebten Menschen. Wie kann ein gütiger Gott das<br />
Sterben einer jungen, krebskranken Mutter zulassen, die ihre<br />
kleinen Kinder voll qualvoller Sorgen, Schmerz und tiefer<br />
Trauer allein zurücklassen muss und nie mehr zärtlich und<br />
tröstend wird Streicheln können. Jeder von uns kennt solche<br />
tragischen Fälle. Schicksalhafte Ereignisse, bei denen sich die<br />
Frage nach dem „warum?“ drängend und anklagend stellt.<br />
Wenn Gott doch allmächtig, allwissend und allgütig ist und<br />
der Schöpfer dieser Welt, warum um „Himmelswillen“ lässt<br />
er seine Geschöpfe (Mensch und Tier) dann so leiden? Diese<br />
anklagende Frage verstärkt sich noch in ihrer Schärfe, wenn<br />
es um das unerträgliche Leid und den sinnlosen Tod kleiner<br />
völlig unschuldiger Kinder geht. Wohl nicht ohne Grund<br />
buchstabiert der PhilosophArthur Schopenhauer (1788-1860)<br />
(die) „Welt“ so: Weh, Elend, Leid Tod und eine der tiefen<br />
Erkenntnisse im Buddhismus lautet: Alles Leben ist Leiden.<br />
Muss der Glaube an die Existenz eines, im christlichen<br />
Sinn, gütigen Schöpfergottes nicht am unermesslichen Leid<br />
und dem großen Meer aus Trauer, Schmerz und Tränen in dieser<br />
Welt scheitern? Erschüttert dieser Widerspruch nicht erdbebenartig<br />
die Fundamente des christlichen Glaubens an einen<br />
Gott der Liebe und bringt das komplexe Glaubensgebäude zum<br />
Einsturz? Sich mit diesem Widerspruch, sprich dem Theodizeeproblem,<br />
ernsthaft auseinanderzusetzen, bedeutet für einen<br />
Christenmenschen den Mut, tief in den unergründlichen<br />
Abgrund des Glaubens zu blicken und „Schwindel“gefühlen<br />
standzuhalten. Ist es da verwunderlich, dass viele (noch) gläubige<br />
Menschen, um ihren Glauben nicht zu verlieren, dieser<br />
Auseinandersetzung lieber ausweichen und die damit verbundene<br />
Problematik in ihrem Leben einfach ausblenden, statt<br />
sich ihr zu stellen? Kein Wunder, ist die Frage der Theodizee<br />
doch die Speerspitze oder auch der giftige Stachel des Atheismus.<br />
Zu Recht fragt der Theologe und Psychologe Eugen Drewermann:<br />
„Wer heilt den metaphysischen Schmerz, der den<br />
Menschen überkommt,<br />
sobald er,<br />
mit dem Gottesbild<br />
der Bibel im Herzen,<br />
der Wirklichkeit<br />
der Welt sehend<br />
gegenübertritt?“ 2<br />
Bis heute und<br />
weit in die Vergangenheit<br />
der Menschheitsgeschichte hinein, sind viele große<br />
und berühmte Geister, Philosophen, Theologen und auch<br />
Dichter und Denker, dieser Frage, diesem Widerspruch nachgegangen<br />
und haben auf unterschiedlichen Wegen nach einer<br />
Antwort des Theodizeeproblems gesucht, aber sie alle haben<br />
letztlich keine, weder unserem Menschenverstand logisch<br />
zufriedenstellende Lösung, noch unserem Herzen ansprechende<br />
Antwort gefunden. So schreibt der bekannte katholische<br />
Theologe und Philosoph Hans Küng: „So ist es denn<br />
meine über die Jahrzehnte gewachsene Einsicht, zu der ich<br />
bisher keine überzeugende Alternative gefunden habe: Leid,<br />
übergroßes, unverschuldetes, sinnloses Leid – individuelles<br />
wie kollektives – lässt sich nicht theoretisch verstehen,<br />
sondern bestenfalls praktisch bestehen“. 1) Nichtsdestotrotz,<br />
oder vielleicht gerade deshalb, möchte ich in diesem Beitrag<br />
dieser Frage nach einer „Rechtfertigung Gottes“ für das Leid<br />
in dieser Welt (seiner Schöpfung?) einmal nachgehen, wohl<br />
wissend der Unvollständigkeit meiner Ausführungen und<br />
letztlich auch Unlösbarkeit des Problems. Oder sollte es doch<br />
eine Antwort geben? Wir werden sehen. Vielleicht haben<br />
Sie ja Lust, meinen nachstehenden Gedanken zu folgen und<br />
vielleicht sogar Ihre eigene Meinung uns, der Durchblick-<br />
Wer heilt den metaphysischen Schmerz,<br />
der den Menschen überkommt, sobald er,<br />
mit dem Gottesbild der Bibel im Herzen,<br />
der Wirklichkeit der Welt gegenübertritt?<br />
Redaktion, einmal mitzuteilen. Wir würden uns freuen.<br />
durchblick 4/<strong>2012</strong> 55<br />
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