2012-04
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Aus dem Siegerland<br />
STADTLUFT MACHT FREI<br />
Autorenfotos<br />
Die Vorteile des Landlebens lagen damals für uns klar auf der Hand und ein Häuschen auf dem Dorf war bezahlbar<br />
Wer kennt diesen Spruch nicht? Wir benutzen ihn<br />
häufig, um auf die Qualitäten des Stadtlebens<br />
aufmerksam zu machen. Leicht dahingesagt<br />
drückt er aus, dass man mit dem städtischen Leben übereinstimmt.<br />
Dass es sich bei diesem Satz um einen Rechtsgrundsatz<br />
des Mittelalters handelt, ist nur wenigen Leuten<br />
bekannt. Leibeigene flohen im Mittelalter in die Städte, um<br />
ihren Herrschaften zu entkommen, denn dort gelang es oft,<br />
in der Masse der Bevölkerung unterzutauchen. Gelang diese<br />
Flucht damals länger als ein Jahr und einen Tag, so war<br />
der Leibeigene frei. Seine Herrschaft konnte danach den<br />
Flüchtigen nicht mehr zurückfordern.<br />
Es nun gut drei Jahrzehnte her, da zogen wir, wie viele<br />
junge Leute, die damals Familien gründeten, aufs Land.<br />
Die Vorteile des Landlebens lagen damals für uns klar auf<br />
der Hand: Die Ausgaben für das Häuschen auf dem Dorf<br />
waren leichter zu stemmen als in der Stadt. Hinzu lockten<br />
das ruhige Landleben und die gute Luft. Die Kinder konnten<br />
im eigenen Garten aufwachsen, der Sandkasten und<br />
die Schaukel im Garten waren stets unter Aufsicht. Ein Supermarkt<br />
am Ortsrand war mit dem Auto leicht erreichbar.<br />
Kindergarten und Grundschule waren von überschaubarer<br />
Größe und versprachen eine heile Welt. Zum Sportverein,<br />
zum Freibad oder zur Musikschule war es nicht allzu weit.<br />
Kutschierten die Ehefrau oder die Nachbarin noch anfangs<br />
die Kinder zu solchen Orten, so konnten sie bald selbst mit<br />
dem Rad die dörflichen Entfernungen zurücklegen.<br />
Zur Dorfbevölkerung selbst hatte man eher ein distanziertes<br />
Verhältnis. Das lag sicher an beiden Seiten. Von<br />
denen, die schon immer im Dorf wohnten, wurde man als<br />
Eindringling oder Fremder betrachtet, denn man gehörte ja<br />
nicht dazu. Selbst waren wir auch nicht an Nähe interessiert,<br />
da Sitten und Bräuche des Landlebens nicht unbedingt<br />
städtischen Gepflogenheiten entsprachen. Ich denke dabei<br />
an das samstägliche Kehren der Straße oder das ebenfalls an<br />
diesem Tag übliche Ritual des Autowaschens. Sicher wurde<br />
in den Jahren nachgefragt, ob nicht die Mitgliedschaft<br />
im Sport- oder Gesangverein erwünscht sei, doch da wiegelte<br />
man ab. Kulturellem Leben gingen wir in der nahen<br />
Stadt nach. So ein paar Kilometer oder Minuten waren kein<br />
Thema. Kein Thema war auch, dass die örtliche Kneipe<br />
ein Tabu war. So lebten Dörfler und Zugezogene nebeneinander<br />
her. Der freundliche Gruß auf der Straße drückte<br />
gegenseitige Akzeptanz aus, ohne dass daraus eine Nähe<br />
oder Verpflichtung entstand.<br />
42 durchblick 4/<strong>2012</strong>