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2012-04

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Essay<br />

der Natur. Die Natur kann nicht menschlich sein. Zwischen<br />

der Ordnung der Sterne und der Ordnung des menschlichen<br />

Herzens besteht ein unendlicher Widerspruch, der sich nur<br />

im Unendlichen, im Postulat einer unsterblichen Seele, aufheben<br />

lässt.“ 2) Wir Menschen sind vernunftbegabte Wesen.<br />

Daher müssen wir – so schwer es uns auch immer fällt - die<br />

Welt des Verstandes ausblenden, um über die höher einzustufende<br />

Vernunft – auch wenn wir mit ihr sowohl theoretisch<br />

als auch praktisch an Grenzen stoßen - zu der höchsten Stufe<br />

der Menschlichkeit, der Liebe, als eine Haltung des Selbstbegründung<br />

zu kommen. Für Immanuel Kant liegt der Fehler<br />

der Theodizee darin, dass wir ein Ideal der Vernunft (Gott)<br />

behandeln, als wenn es eine Kategorie des Verstandes wäre.<br />

Genau das ist es. Wir Menschen meinen, mit dem Verstand<br />

Gott und die Welt erklären zu können, denn lässt man den<br />

Verstand an die Bibel heran, beginnt er sofort sie historischkritisch<br />

zu lesen. Ein großer Fehler, denn allein mit dem<br />

Verstand ist die „frohe Botschaft“ nicht zu begreifen. Fest<br />

steht, wir können Gott nicht denken, nicht erklären, nicht<br />

beweisen. Wir können ihn - im besten Fall - immer nur in uns<br />

selbst erfahren und im Gebet mit DU anreden, denn wenn er<br />

nicht in uns ist, hat er nie existiert.<br />

Theodizee: aufklären statt auflösen<br />

Vielleicht sollten wir, so Drewermann, die Frage der<br />

Rechtfertigung einmal anders herum stellen. Nicht Gott hat<br />

sich vor uns Menschen zu rechtfertigen angesichts dieser<br />

Welt, es ist der Mensch – jeder Einzelne von uns -, der sich<br />

fragen muss, wie er seine Menschlichkeit durchhalten kann,<br />

trotz und inmitten einer leidvollen Welt, aus der er ohne<br />

Zweifel hervorgegangen ist. Nicht Gott ist es, der leidet an<br />

der Welt, die er selber geschaffen hat, wir Menschen sind es<br />

die an dieser Welt leiden und der wir so oft ohnmächtig und<br />

angstvoll gegenüberstehen. Von Gott zu reden heißt nicht, die<br />

Welt zu erklären oder zu verklären, es heißt, uns Menschen<br />

einen Grund zu geben, dieser Welt standzuhalten und ihr gegenüber<br />

unsere Menschlichkeit zu erhalten.<br />

Oft begründen Atheisten mit dem Theodizeeproblem<br />

auch die Nichtexistenz Gottes. Ein Fehler, wie ich finde.<br />

Denn genauso wenig der<br />

Mensch Begriffe wie „Unendlichkeit“<br />

und „Ewigkeit“ erfassen,<br />

geschweige denn erklären<br />

oder gar beweisen kann, sowenig<br />

weiß er über die wahre Existenz Gottes. Kein Atheist<br />

ist in der Lage, die Nichtexistenz Gottes zu beweisen. Dazu<br />

reichen seine Indizien als Begründungen nicht aus. Was<br />

angreifbar ist, ist lediglich das „Bild“ dass sich der Mensch<br />

von Gott macht, nicht aber die Existenz Gottes selber. Und<br />

ein falsches Bild, eine falsche Vorstellung von etwas zu<br />

haben, ist noch lange kein Beweis der Nichtexistenz. An<br />

dieser Stelle ein Hinweis zu Friedrich Nietzsches berühmter<br />

Aussage „Gott ist tot“ von Rupert Lay, Jesuitenpater<br />

und einer der führenden Moraltheologen Deutschlands:<br />

Die Bergpredigt ist das<br />

Grundgesetz des Christentums<br />

... Es ist wichtig, nicht zu überlesen, dass Nietzsche stets<br />

von „deinem Gott“ „von diesem Gott“ spricht. Er ist der<br />

immerhin beachtlichen Ansicht, dass der „Gott der Theologen“<br />

(aber nur dieser) tot ist. Und da Theologen mitunter<br />

recht undifferenziert denken, wenn sie sich angegriffen<br />

fühlen, behaupten sie seitdem, Nietzsche sei Atheist, er behaupte<br />

„Gott sei tot.“ Wie sehr sie sich irren ... er wendet<br />

sich nicht etwa gegen Jesus von Nazareth, nicht gegen das<br />

von ihm vorgestellte Gottesbild, sondern gegen das, was die<br />

in die Hände der Theologen gefallenen Kirchen daraus gemacht<br />

haben. Er leugnet niemals Gott, sondern nur den Gott<br />

der Theologen.“ 6) Wer daran zweifelt, lese einmal das dichterische<br />

Gebet: „Dem unbekannten Gott“ von Nietzsche.<br />

Bei der Suche nach einer zufriedenstellendenAntwort des<br />

Theodizeeproblems vermisse ich in der vom Verstand geleiteten<br />

Argumentation der Atheisten zwei einfache, für ein gelingendes<br />

Leben jedes einzelnen Menschen aber unbedingt<br />

dazugehörige Begriffe „die Liebe“ und „der Sinn“. Nicht<br />

ohne Grund, denn so wenig mir die moderne Naturwissenschaft<br />

den wahren und tiefen Sinn meines ganz persönlichen<br />

Lebens zu erklären vermag, sowenig kann mir ein Atheist,<br />

rational und mit der Logik seines Verstandes erklären, was<br />

wahre Liebe bedeutet. Wahre Liebe kennt keine rationale<br />

Ebene und auch keine Grenzen. Nur der Mensch der Liebe<br />

schenkt und sie auch erfährt, wird erst den tiefen Sinn seines<br />

Lebens erkennen. Mit allem, was ich aus Liebe tue, beweise<br />

ich die Existenz Gottes, denn Gott ist die Liebe, ob mir dies<br />

nun bewusst ist oder nicht. Wir Menschen sind es, die durch<br />

die vielfältigen Formen der Liebe, Gott in diese Welt tragen.<br />

„Gott hat keine anderen Hände als die unseren“ sagt Dorothee<br />

Sölle. Mit anderen Worten: Gott braucht den Menschen,<br />

Sie und mich, um seine Liebe in dieser Welt Wirklichkeit<br />

werden zu lassen. Die Natur kennt keine Liebe.<br />

Jesus und dasTheodizeeproblem<br />

Zum Schluss noch ein Wort zu Jesus. Für ihn stellte sich<br />

das Theodizeeproblem überhaupt nicht. Er hat Gott, seinen<br />

„Vater“, nie aus der Natur heraus als den Schöpfer der Welt<br />

zu erklären versucht. Für ihn ist Gott die Grundlage zum<br />

Verständnis menschlichen Daseins<br />

überhaupt, der Halt, nicht<br />

in die Bodenlosigkeit der Welt<br />

zu fallen. An Gott zu glauben<br />

bedeutete für Jesus, alle Angst<br />

zu überwinden durch Vertrauen, alle Gewalt durch Güte, allen<br />

Hass durch Liebe, eben weil Gott die wahre Liebe und<br />

die reine Güte ist. „... Gott ist im Sinne Jesu die Kraft, die uns<br />

Trost schenkt in Stunden der Verzweiflung, die uns aufrichtet<br />

in Augenblicken der Entmutigung und die uns vor daher allererst<br />

die Festigkeit und Weite verleiht, die uns zum Guten<br />

in moralischen Sinne befähigt.“ 2) Für Jesus zählte einzig die<br />

Liebe und die Menschlichkeit. Das Göttliche erweist sich<br />

in der Liebe, war seine Botschaft und seine berühmte Bergpredigt<br />

(Mt 5,1-7,28) ist gewissermaßen das „Grundgesetz“<br />

60 durchblick 4/<strong>2012</strong>

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