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2012-04

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Der SV Anzhausen im Jahre 1960; 2. v. lks: Horst Kölsch<br />

Wie denn das Spiel bis zum Abbruch gelaufen sei,<br />

will Vorsitzender Pheiffer wissen. Vereinsvertreter Horst<br />

Kölsch gibt zu Protokoll, dass die Begegnung pünktlich<br />

um 15 Uhr angepfiffen wurde. Die Spieler und auch fast<br />

alle Zuschauer seien über den Bierkonsum des Unparteiischen<br />

informiert gewesen. So wäre dessen Verhalten mehr<br />

als sonst üblich beobachtet worden. Schnell sei erkannt<br />

worden, dass der Schiri die Mittellinie als ständigen Aufenthaltsort<br />

bevorzugen wolle. Er hätte vom Anpfiff weg<br />

einen recht müden Eindruck gemacht und als Folge einige<br />

unmögliche Entscheidungen getroffen. So habe er einmal<br />

auf „Abseits“ erkannt, obwohl neben dem Torhüter noch<br />

ein Abwehrspieler auf der Torlinie gestanden habe. Als<br />

er durch lautstarke Proteste hierauf aufmerksam gemacht<br />

worden sei, habe er die Rücknahme der Entscheidung mit<br />

der Begründung verweigert: „Ich weiß ja, dass ich eigentlich<br />

einen Schiedsrichterball geben muss. Aber dann muss<br />

ich ja bis dahin laufen.“ Es sei ein Glück gewesen, dass die<br />

Spieler beider Teams das Ganze zunächst noch mit Humor<br />

hingenommen hätten. Kölsch: „Das änderte sich aber gegen<br />

Ende des ersten Durchgangs und es kam zum ersten Eklat.“<br />

Der Anzhausener Spieler Höhn habe sich nach einer<br />

Rempelei durch einen Tritt revanchiert und sei daraufhin<br />

vom Burbacher Spieler Quandel zu Boden geschlagen worden.<br />

Schiri Gladen hätte in diesem Fall beide zu Recht vom<br />

Platz geschickt. Die Burbacher Aktiven seien mit dieser Entscheidung<br />

nicht einverstanden gewesen, hätten den Schiedsrichter<br />

bedrängt und ihn veranlasst, den Spieler Quandel zu<br />

fragen, ob dieser geschlagen oder nur geschubst<br />

hätte. Kölsch: „Der Spieler Quandel – wie konnte<br />

man es anders erwarten – antwortete, dass er nur geschubst<br />

hätte.“ Mit den Worten: „Ja, wenn das so ist,<br />

dann können sie weiter spielen“, habe daraufhin der<br />

Schiedsrichter den Platzverweis zurückgenommen.<br />

Die Stimmung auf dem Platz und unter den Zuschauern<br />

sei immer gereizter geworden und der Halbzeitpfiff<br />

sei wie eine Erlösung gekommen.<br />

Die Verhandlung tritt nun in die entscheidende<br />

Phase. Klar ist, dass es vor demAbbruch wegen eines<br />

Fouls der etwas gröberen Art einen direkten Freistoß<br />

fürAnzhausen gab. Doch dann tauchenWidersprüche<br />

auf, können nicht ganz geklärt werden. Lag der Ball<br />

beim Freistoß genau in der Mitte vor dem Tor oder<br />

drei, vier Meter versetzt in halbrechter Position? Jedenfalls,<br />

der Ball landet, vom Halblinken Berthold Müller getreten, im<br />

Tor, ist zuvor noch gegen den Innenpfosten geschlagen, den<br />

Abdruck des nassen Leders kann man sehen. Die Gastgeber<br />

und ihrAnhang jubeln, feiern den Torschützen, laufen in ihre<br />

Spielhälfte. Der Schiedsrichter steht an der Mittellinie, hat<br />

die Pfeife zum Wiederanpfiff schon im Mund, auch die Burbacher<br />

haben Aufstellung zum Anstoß genommen. Es fehlt<br />

nur noch der Ball zur Fortführung der Partie.<br />

Jetzt schlägt die Stunde von Lothar Klaas, dem Burbacher<br />

Torwart und neben dem Schiedsrichter die zweite<br />

Hauptperson des Geschehens. Anstatt das Leder in die Mitte<br />

zu befördern, damit das Spiel seine Fortsetzung findet,<br />

hat er es auf die Fünfmeterlinie gelegt und scheint einen<br />

Torabstoß machen zu wollen.<br />

„Der Schiedsrichter hatte schon so viele kuriose Entscheidungen<br />

getroffen und darum habe ich diesen Versuch<br />

gemacht“, erzählt Klaas später. Gladen bewegt sich von der<br />

Mittellinie zum Torwart und fragt diesen, ob denn der Ball<br />

nicht im Tor gewesen sei, da erAbstoß machen wolle. Klaas<br />

führt den eingeschlagenen Weg zu Ende und verneint den<br />

Torerfolg: „Der Ball ist durch das Außennetz ins Tor gegangen.“<br />

Wie dies der Torschütze Berthold Müller bewerkstelligt<br />

haben mag, einen Ball, der ungefähr mitten vor dem<br />

Tor liegt, ans Außennetz zu schießen, darüber macht sich<br />

Schiri Gladen an diesem Tag keine Gedanken, den Ballabdruck<br />

am Innenpfosten ignoriert er. Den Behauptungen<br />

von Torwart Klaas indes schenkt er Glauben und nimmt<br />

den schon gegebenen Treffer zurück. Es ist dies die Szene,<br />

die verantwortlich ist für die nachhaltige Verbitterung, die<br />

Szene, die jedem, der dabei war, stets gegenwärtig blieb.<br />

Als der Ball zum scheinbaren 1:0 im Tor landete, hatte<br />

sich die gereizte Stimmung unter den einheimischen Zuschauern<br />

verflüchtigt. Doch nun, da sie merken, dass der<br />

Schiedsrichter das Tor nicht gibt, kennt die Entrüstung keine<br />

Grenzen mehr und sucht sich ein Ventil. Zuerst stürmen zwei,<br />

drei und dann binnen wenigen Sekunden rund zwei Dutzend<br />

Männer, jüngere und ältere, der Jahreszeit entsprechend in<br />

Wintermäntel gekleidet und mit Spazierstöcken und Regenschirmen<br />

bewaffnet, auf den Platz, eine Keilerei beginnt, wer<br />

zuerst wen geschlagen hat, ist nicht mehr festzustellen. Es<br />

gibt zerbrochene Krückstöcke und krumme Schirme, Beulen<br />

und blaue Flecke, einige Veilchen und leider auch zwei<br />

Foto: Archiv Ulli Weber<br />

30 durchblick 4/<strong>2012</strong>

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