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2012-04

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Literatur<br />

man liest: ‚Herbstregen hat im grauen Wald gewühlt‘ und<br />

‚in meinem Leben hat der Herbst gewühlt‘, oder auch: ‚ich<br />

blühte Liebe und ich blühte Frucht‘, dann ist das hohl hingeflunkert.<br />

Und wenn Nebeltage Angst und Sorgen brüten und<br />

wenn Abschied weint und die Welt voll Sterben ist und dann<br />

noch gemahnt wird: Sterben lern auch du und dich ergeben,<br />

dann ist das für den Leser eine Zumutung. Er selbst schreibt, er<br />

sei mit einer überkommenen Form, einer gangbaren Machart<br />

zufrieden. Wir können es in einer modernen Zeit nicht sein,<br />

weil seine Gedanken saft- und kraftlos sind. Als er diese Gedichte<br />

schrieb, war Hesse etwa 40 Jahre alt. Über seine Jugendgedichte<br />

gar, urteilte schon Tucholsky: Seine Gedichte<br />

sind rührend schlecht, sie stammen aus einer Zeit, als Hesse<br />

noch Hermann Lauscher hieß und sehr jung war.<br />

Wenn man sich nicht von seiner eigenen Sentimentalität<br />

leiten lässt, bedarf es keines Kommentars, und man kann<br />

seinen lyrischen Bedarf besser bei Lenau, Eichendorff, Mörike,<br />

Platen, Hölderlin oder Brentano decken, keine Epigonen,<br />

und wenn auch sie gelegentlich Schlechtes geschrieben<br />

haben, so gibt es von ihnen doch so viele Gedichte, die einfach<br />

zum Kanon deutscher Lyrik zählen. Der Qualitätsunterschied<br />

wird besonders deutlich, wenn man seine Gedichte<br />

mit Gedichten gleicher Stimmungslage von anderenAutoren<br />

vergleicht, z.B. Benn oder Rilke, dessen Sprache zu Musik<br />

wird, wenn man hört:<br />

Da neigt sich die Stunde und rührt mich an<br />

Mit klarem metallenem Schlag,<br />

Mir zittern die Sinne, ich fühle, ich kann,<br />

Und ich fasse den plastischen Tag.<br />

Nichts war noch vollendet, eh ich es erschaut,<br />

Ein jedes Werden stand still.<br />

Meine Blicke sind reif, und wie eine Braut<br />

Kommt jedem das Ding, das er will.<br />

Nichts ist mir zu klein, und ich lieb es trotzdem<br />

Und ich mal es auf Goldgrund und groß,<br />

Und halte es hoch, und ich weiß nicht wem<br />

Löst es die Seele los.<br />

Seinen Ruhm bezieht Hesse aus seiner Epik, die, wenn<br />

man an Siddhartha oder den Steppenwolf denkt, vor langer<br />

Zeit in aller Munde waren. Und auch Narziß und Goldmund<br />

nahm eine ähnliche Stelle ein. Lassen wir einige Zeilen daraus<br />

auf uns wirken, es geht dabei um die Beziehung zweier<br />

Liebender:<br />

„Ich komme zu dir“, sagte sie, „bloß für einenAugenblick.<br />

Ich will doch einmal sehen, wie mein Goldmund in seinem<br />

Bettchen liegt, mein Goldherz.“ Sie legte sich zu ihm, still lagen<br />

sie, mit schweren schlagenden Herzen. Sie ließ ihn küssen,<br />

sie ließ seine bewundernden Hände an ihren Gliedern spielen,<br />

mehr war nicht erlaubt. Oder: Sie kam nach einigen Tagen<br />

wieder, das süße weiße Gespenst, und lag eine Viertelstunde<br />

bei ihm, wie das letzte Mal. Flüsternd sprach sie, von seinen<br />

Armen umschlossen,<br />

ihm ins Ohr.<br />

Der Unlaut ist nicht<br />

zu überhören, eigentlich<br />

müsste es<br />

heißen: Flüsternd<br />

sprach sie ihm ins<br />

Ohr, von seinen Armen<br />

umschlossen<br />

– Sie hatte viel zu<br />

sagen und zu klagen.<br />

Zärtlich hörte<br />

er ihr zu, sie lag<br />

auf seinem linken<br />

Arm, mit der rechten<br />

Hand streichelte<br />

Herrmann Hesse<br />

er ihre Knie. Oder: Der Vater merkt es. Wenn er mich bei dir<br />

im Bett fände, mein kleiner Goldvogel, dann ginge es deiner<br />

Lydia übel; sie stünde mit verweinten Augen und blickte zu<br />

den Bäumen hinauf und sähe ihren Liebsten droben hangen<br />

und im Winde wehen. Oder: Er streichelte sacht ihre Knie, und<br />

indem er ganz zart ihre Scham berührte, bat er: „Blümchen,<br />

wir könnten so sehr glücklich sein! Darf ich nicht?“<br />

Deschner urteilt darüber: Eine ganz und gar auf dem<br />

längst Vorgeprägten und Verbrauchten fußende Ausdrucksweise,<br />

die hier das Zuckrig-Romantische, Läppisch-Empfindsame,<br />

das Alberne und Abgeschmackte streift. Eine<br />

Ausdrucksform wie diese hat wenig mit Kunst zu tun.<br />

Etwas derart Glasiert-Idyllisches, fast möchte man sagen<br />

Anakreontisch-Vertändeltes wirkt auf uns heute blass, poliert,<br />

süßlich, siruphaft, sentimental und ist von einer peinlichen<br />

Abgeschmacktheit.<br />

Stellen wie diese sind keineAusnahmen in diesem Roman.<br />

Manche wirken geradezu ekelerregend obszön, was ja trotzdem<br />

Stil haben könnte, hier aber nur albern-geistesschwach<br />

wirkt. So die Szene, in der Lene von einem Landstreicher belästigt<br />

wird, dem Goldmund das Genick bricht und von Lene<br />

deswegen bewundert wird. Das ist reiner Kitsch.<br />

Wenn man auch sagen mag, dass man über Kunst trefflich<br />

streiten kann, so gibt es doch absolute Wertungsmaßstäbe,<br />

denen sich ein ernsthafter Mensch, der sich mit Literatur beschäftigt,<br />

nicht entziehen kann. Sie ergeben sich z. B. aus Versmaß,<br />

Syntax, Vokabelwahl und den vielen stilistischen Mitteln<br />

vom Bild bis zur Figur, vomAsyndeton bis zur Tautologie, um<br />

nur die Möglichkeiten detaillierter Analyse anzudeuten, von<br />

Zeiteinflüssen ganz zu schweigen.<br />

Aber auch die beiden Hauptfiguren, um die es in diesem<br />

Roman geht, werden nur blass, konventionell und schablonenhaft<br />

dargestellt. Ein Kunstwerk ist das nicht. Und es tut<br />

gut, sich darüber klar zu werden, dass auch Päpste der Literatur<br />

anfechtbar sind, wenn sie literarische Texte in Höhen<br />

tragen, denen sie nicht gewachsen sind.<br />

Ein großer Name schützt nicht immer vor potenzirtem<br />

Schwachsinn, weder beim Autoren noch beim Kritiker.<br />

Johannes Buhl<br />

Foto: wikipedia.de<br />

durchblick 4/<strong>2012</strong> 53

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