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Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV

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3. Methodisches – Planung und Durchführung unserer Befragungen zu Sanktionen<br />

II-Beziehenden wird hinlänglich bekannt gemacht,<br />

daß Sanktionen drohen, wenn den Anweisungen<br />

des JobCenters <strong>nicht</strong> Folge geleistet<br />

wird. 58 Da bereits das Wissen um die Möglichkeit<br />

einer Sanktion Wirkungen hat, wollten wir<br />

in Erfahrung bringen, wie und in welchen (möglichen)<br />

Verhaltensänderungen sich diese ausdrücken.<br />

Obschon unser vorrangiges Interesse<br />

den Erfahrungen von Sanktionierten galt, sollte<br />

dieser Aspekt zumindest Berücksichtigung finden.<br />

Den Kurzfragebogen haben wir in derselben<br />

Weise verteilt wie den langen Fragebogen.<br />

Bei der telefonischen Kurzbefragung von Beratungseinrichtungen<br />

(c) haben wir vier „offene“<br />

Fragen an MitarbeiterInnen aus 28 Beratungsstellen<br />

gerichtet (siehe Kap. 5.3). Ziel war, über<br />

die Befragung von <strong>Betroffene</strong>n hinaus auch noch<br />

einen Blick darauf zu werfen, wie sich aus Sicht<br />

der MitarbeiterInnen von Beratungsstellen die<br />

Sanktionspraxis darstellt und wo konkreter<br />

Handlungsbedarf gesehen wird.<br />

In der Not interessieren Fragebögen <strong>nicht</strong><br />

Zweimal hatten wir die Rückgabefristen für die<br />

Fragebögen verlängert. Daß der Rücklauf 59 <strong>nicht</strong><br />

sonderlich hoch sein würde, hatte sich schon bei<br />

unseren Verteilaktionen vor den JobCentern gezeigt.<br />

Dort sprachen wir die BesucherInnen direkt<br />

an, denn es hätte <strong>kein</strong>en Sinn gemacht, die<br />

Fragebögen wahllos an alle zu verteilen. In den<br />

Gesprächen, aber auch in den Zurufen der Vorbeieilenden<br />

zeigte sich die Angst vor Sanktionen<br />

oft unmittelbar. Manche schienen zu hoffen oder<br />

anzunehmen, einer Sanktionierung zu entgehen,<br />

wenn sie alle Auflagen erfüllen; einzelne zählten<br />

uns sogar detailliert auf, was sie alles tun und<br />

wie korrekt sie sich verhalten, um zu veranschaulichen,<br />

daß ihnen <strong>nicht</strong>s passieren könne. In<br />

anderen Reaktionen wiederum traten deutlich<br />

58 Vielleicht gehört diese Information zu den am häufigsten<br />

publizierten durch die Behörde, während andere wichtige<br />

Informationen (etwa zur Einkommensanrechnung<br />

oder zum Datenschutz) oft vergeblich nachgefragt werden.<br />

59 Für die Rückgabe der Fragebögen waren eine Postadresse<br />

und 6 Sammelstellen in Beratungseinrichtungen vorgesehen<br />

(je zwei in den Berliner Bezirken Wedding und<br />

Kreuzberg und je eine in den Bezirken Prenzlauer Berg,<br />

Schöneberg und Neukölln).<br />

Verärgerung und Wut über die Behandlung im<br />

JobCenter zutage.<br />

Eine Mitstreiterin aus unserer Arbeitsgruppe<br />

hat ihre Eindrücke von unseren Verteilaktionen<br />

im nächsten Beitrag (Kap. 4.) beschrieben.<br />

Daß in der Not Fragebögen wenig interessieren,<br />

wurde deutlich, wenn wir mit Sanktionierten<br />

ins Gespräch kamen. Die <strong>Betroffene</strong>n haben mit<br />

massiven und drängenden Problemen zu kämpfen:<br />

Wo akute materielle Not besteht, <strong>Geld</strong> geborgt<br />

und Hilfe gesucht werden muß, wo ein<br />

Widerspruch zu formulieren ist oder ein geeigneter<br />

Anwalt gebraucht wird, ist die Beantwortung<br />

eines Fragebogens mehr als zweitrangig. 60<br />

Dies dürfte erklären, warum wir nur von einigen<br />

Sanktionierten, mit denen wir ins Gespräch gekommen<br />

sind, einen ausgefüllten Fragebogen zurück<br />

erhalten haben. Hinzu kam, daß wir zuweilen<br />

auch auf Menschen mit unzureichenden<br />

Deutschkenntnissen oder auf AnalphabetInnen<br />

trafen. Häufiger jedoch gab es das Problem, daß<br />

viele angesichts der komplizierten gesetzlichen<br />

Regelungen und der Komplexität des eigenen<br />

Sanktionsfalls Mühe hatten, die verwirrenden<br />

Schreiben der JobCenter und den eigenen „Fall“<br />

zu verstehen. Diese schwierige Durchschaubarkeit<br />

bedingt häufig, daß das Erlebte kaum „fragebogengerecht“<br />

beschrieben werden kann. 61 Jedenfalls<br />

zeigte sich bereits bei den ersten Kontaktaufnahmen<br />

vor den JobCentern, daß je nach<br />

Lage des „Falles“ der Fragebogen nur mit<br />

Schwierigkeiten auszufüllen sein würde.<br />

Gespräche mit Sanktionierten<br />

Nach Abschluß der Befragungen haben wir mit<br />

dreizehn der Befragten Gespräche geführt, dar-<br />

60 Davon abgesehen ist die Bereitschaft, einen Fragebogen<br />

auszufüllen, generell <strong>nicht</strong> sehr hoch; empirische SozialforscherInnen<br />

können ein Lied davon singen. Die Gründe<br />

für derartige „Hemmschwellen“ reichen von Zeitmangel<br />

über die Kompliziertheit der Fragen bis hin zu<br />

Unlust, sich überhaupt auf Fragen einzulassen.<br />

61 Daß generell bei der Erstellung von Fragebögen <strong>nicht</strong> alle<br />

(theoretisch) möglichen Fallkonstellationen vorab bedacht<br />

werden können, gehört zu den Binsenweisheiten<br />

der empirischen Sozialforschung. Dies ist selbst mit teilstandardisierten<br />

Fragebögen <strong>nicht</strong> möglich. Offene Fragen<br />

stellen demgegenüber <strong>kein</strong>e wirkliche Alternative<br />

dar, da <strong>nicht</strong> gewährleistet ist, daß alle zum Verstehen<br />

notwendigen Fakten im Erzählfluß auch Erwähnung finden.<br />

www.hartzkampagne.de Online-Version 2<br />

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