Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV
Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV
Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
5. „<strong>Wer</strong> <strong>nicht</strong> <strong>spurt</strong> …“<br />
– Erfahrungen mit Sanktionen<br />
Ergebnisse unserer Befragungen<br />
Erfahrungen mit Sanktionen haben wir dieses<br />
Kapitel überschrieben. Hier geht es <strong>nicht</strong> um<br />
Sichtweisen auf ein abstraktes Problem. Es geht<br />
darum, was Menschen widerfährt, wenn sie in<br />
die Sanktionsmühle des JobCenters geraten.<br />
Daß diese Erfahrungen sehr unterschiedlich<br />
sein können – je nach Perspektive – bedarf eigentlich<br />
<strong>nicht</strong> der Erwähnung. <strong>Wer</strong> selbst die Erfahrung<br />
massiver <strong>Geld</strong>kürzungen gemacht hat,<br />
wird dies meist anders erlebt haben als ein am<br />
Existenzminimum darbender Hartz-<strong>IV</strong>-Bezieher,<br />
der um die allgegenwärtige Sanktionsdrohung<br />
weiß, aber noch <strong>nicht</strong> am eigenen Leib erfahren<br />
hat, wie sich die weit gravierendere materielle<br />
Not nach einer Sanktion anfühlt. Und wiederum<br />
wird jemand, der z.B. als Berater diese Erfahrungen<br />
nur aus zweiter Hand kennt, in anderer<br />
Weise von den Erfahrungen mit Sanktionen berichten.<br />
Kapitel 5 umfaßt die gesamte Ergebnispräsentation:<br />
Es beginnt mit den „Sanktioniertenporträts“<br />
(Kap. 5.1), darauf folgen die Ergebnisse<br />
der Kurzbefragung (Kap. 5.2) sowie der Befragung<br />
von Beratungsstellen (Kap. 5.3) und endet<br />
mit einem Resümee (Kap. 5.4). Im ersten und<br />
wichtigsten Teil (5.1) berichten wir, wie Menschen,<br />
die sanktioniert wurden oder eine Sanktion<br />
gerade noch abwenden konnten, dies persönlich<br />
erlebt und empfunden haben. Welche<br />
unmittelbaren Folgen hatten die Leistungskürzungen<br />
für sie, wie haben sie sich zur Wehr gesetzt?<br />
Und warum wurden sie überhaupt sanktioniert?<br />
Oben in Kapitel 2 haben wir u.a. dargelegt,<br />
welches „Fehlverhalten“ bzw. welche Anlässe<br />
laut Gesetz mit <strong>Geld</strong>kürzungen geahndet werden<br />
und welche gesetzlichen Regelungen bereits problematisch<br />
sind. Die Antworten in den Fragebögen<br />
werfen dagegen ein Licht auf die Umsetzungspraxis<br />
der JobCenter. Bevor wir mit den<br />
Porträts beginnen, geben wir im Folgenden eine<br />
kleine Auswahl an Beispielen aus den Fragebogen-Antworten<br />
von Sanktionierten. Sie haben<br />
den Bogen ausgefüllt, aber eine Kontaktauf-<br />
nahme mit ihnen war <strong>nicht</strong> möglich, weil sie die<br />
Frage, ob sie zu einem Gespräch bereit seien,<br />
verneint haben oder unbeantwortet ließen.<br />
Da wird einem unter 25jährigen der Alg-II-Regelsatz<br />
vollständig gestrichen, weil er eine Bescheinigung<br />
vom Gasversorger <strong>nicht</strong> eingereicht<br />
hat.<br />
Einem über 50jährigen wurden sämtliche Alg-<br />
II-Leistungen gestrichen, weil ein vom JobCenter<br />
beauftragter Arzt behauptete, er sei arbeitsfähig.<br />
Tatsächlich war der Mann seit längerem<br />
krank geschrieben. Sein Widerspruch gegen die<br />
100-Prozent-Sanktion wurde vom JobCenter abgelehnt.<br />
Mit einer Klage hatte er Erfolg. Auf die<br />
Frage, was für ihn persönlich das Schlimmste an<br />
der Sanktion gewesen sei, erklärt er im Fragebogen:<br />
der Hinweis des Amtsleiters, er könne doch<br />
„zum Sozialgericht gehen und (s)ein <strong>Geld</strong> einklagen“.<br />
Zuvor war er bei all seinen Gesprächsversuchen<br />
„abgeblockt“ worden. Als Folge der<br />
Sanktionierung konnte er sich „<strong>nicht</strong>s mehr zu<br />
essen kaufen“, seine Kinder mußte er zurück zur<br />
Mutter schicken, sein Vermieter schickte Mahnbescheide.<br />
Ein anderer wurde sanktioniert, weil er statt 15<br />
Bewerbungen im Monat nur 5 bis 6 im Vierteljahr<br />
vorgelegt hatte. Daß er in dieser Zeit einen<br />
geförderten Kurs absolvierte und sich obendrein<br />
auch telefonisch um Arbeit bemüht hatte, interessierte<br />
das JobCenter <strong>nicht</strong>. Der maßgebliche<br />
JobCenter-Mitarbeiter verwies lapidar auf die<br />
Eingliederungsvereinbarung und darauf, daß er<br />
„nur seinen Job erfülle“. Dem Betreffenden<br />
wurde der Strom abgeklemmt. Das Schlimmste<br />
für ihn sei gewesen, daß er <strong>nicht</strong> kochen konnte,<br />
sich mit kaltem Wasser behelfen mußte und „die<br />
Kontakte zu verlieren“. Er hat Widerspruch und<br />
Klage eingereicht; beides wurde zum Zeitpunkt<br />
der Befragung noch bearbeitet.<br />
Die <strong>Betroffene</strong>n müssen sich irgendwie<br />
„durchschlagen“, „schlafen schlecht“, müssen<br />
das Letzte „zusammenkratzen“, es kommt zu<br />
„Streit in der Familie“.<br />
Online-Version 2 www.hartzkampagne.de