Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV
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(und dies läßt sich ohne weiteres auf andere Bereiche<br />
übertragen) die Unsinnigkeit und Ineffektivität<br />
des Strafens auf. Auch Anordnungen und<br />
fortgesetzte Appelle würden nur Widerstand hervorrufen.<br />
Entscheidend sei, die Bedürfnisstruktur<br />
von Untergebenen zu erkennen. 6<br />
Roth: „Dem Vorgesetzten bleibt nur das Mittel<br />
der Belohnung. Das Erste, was er rauskriegen<br />
muß, ist die Belohnungsstruktur seiner Mitarbeiter.<br />
Denn vom ersten Tag des Lebens an fragt<br />
unser Hirn: Lohnt sich das für mich?“<br />
SPIEGEL: „Dann muss der Chef ein guter<br />
Psychologe sein?“<br />
Roth: „Aber hallo! Der eine will Lob, der andere<br />
befördert werden, der Dritte Privilegien,<br />
der Vierte soziale Anerkennung. Mit dem muss<br />
man jede Woche mindestens einmal reden; er<br />
leidet, wenn er glaubt: Der Chef interessiert sich<br />
<strong>nicht</strong> für mich. Kommt die falsche Belohnung, ist<br />
sie wirkungslos, und der Laden läuft <strong>nicht</strong><br />
rund.“<br />
SPIEGEL: „Und Strafe hilft gar <strong>nicht</strong> weiter?“<br />
Roth: „In der Regel geht Strafe nach hinten<br />
los. Meist wird sie als ungerecht empfunden; das<br />
erzeugt Rachegefühle. Die größte Crux ist: Man<br />
darf nie damit aufhören. Sonst merkt das Kind:<br />
Der hat aufgegeben. Strafe funktioniert nur,<br />
wenn man sie immer weitertreibt und willkürlich<br />
anwendet. Diktaturen haben das perfektioniert.<br />
Aber damit terrorisiert man Menschen nur. Man<br />
ändert sie <strong>nicht</strong>.“<br />
*****<br />
Warum es „einer Demokratie“, einer „Kulturnation“<br />
<strong>nicht</strong> ansteht, „gleich nach Strafe zu<br />
schreien“, darauf hat einmal mehr Margarete<br />
Mitscherlich-Nielsen hingewiesen. 7 Einer ihrer<br />
6 Gerhard Roth im Interview mit dem Spiegel, Nr.<br />
35/2007, „Das Ich ist eine Einbahnstraße“. Roth leitet<br />
das Institut für Hirnforschung an der Universität Bremen<br />
und das Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst. Das<br />
vollständige Interview ist zu finden im Archiv unter:<br />
www.wissen.spiegel.de/wissen<br />
7 Margarete Mitscherlich-Nielsen im Gespräch mit Hans-<br />
Jürgen Heinrichs über das „Verhältnis von Integration<br />
und Strafe“, Deutschlandfunk, Essay und Diskurs,<br />
14.9.2008. Das Gespräch gibt es als Audio-Mitschnitt<br />
unter:<br />
www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio25418.html<br />
Schlüsselbegriffe ist „Einfühlung“: Nur durch<br />
„Miteinander-Sprechen“, nur „durch Verständnis<br />
für einander“ könnten wir „eine funktionierende<br />
Demokratie entwickeln“. Zuhören, beobachten<br />
und sich ineinander einfühlen seien Voraussetzung<br />
für das Verständnis zwischen Individuen<br />
und zwischen gesellschaftlichen Gruppen.<br />
Auf die Frage ihres Gesprächspartners, woher<br />
das extreme Bedürfnis nach Strafen komme,<br />
führt Mitscherlich-Nielsen aus: „Ja wissen Sie,<br />
je primitiver ein Mensch ist, um so mehr reagiert<br />
er auf den unmittelbaren Wunsch – wenn er etwas<br />
sieht, was ihn böse macht und was er findet,<br />
daß das unmöglich ist, wie er sich verhält – dem<br />
andern eine runter zu hauen. Wenn wir die Sprache<br />
<strong>nicht</strong> hätten, wenn wir <strong>nicht</strong> gelernt hätten,<br />
mit einander umzugehen (…)“, wäre ein „Verstehen<br />
der Motive, die jemand dazu bringt, so zu<br />
handeln wie er handelt (…)“ und das Wissen,<br />
„daß der andere von ganz anderen Einflüssen<br />
und ganz andren Motiven bestimmt wird als<br />
wir“, <strong>nicht</strong> möglich.<br />
Wenn wir wohlwollend unterstellen, daß die<br />
Abgeordneten, die für Hartz <strong>IV</strong> und den Sanktionsparagraphen<br />
verantwortlich sind, <strong>nicht</strong> in<br />
primitiver und autoritärer Weise die „Untätigen“<br />
oder „Uneinsichtigen“ strafen wollen, und wenn<br />
wir unterstellen, daß sie die Vorzüge des Belohnens<br />
und Motivierens kennen, dann irritiert, daß<br />
der Sanktionsparagraph im Sommer 2006 verschärft<br />
wurde. Der Grund: Mit der seit Januar<br />
2005 geltenden Regelung kamen Sanktionen<br />
„<strong>nicht</strong> in der erforderlichen Intensität zur Geltung.“<br />
8<br />
Motivieren durch Strafen?<br />
Zu Sinn und Unsinn des Strafens gibt es unendlich<br />
viele Abhandlungen. Unstrittig ist wohl,<br />
daß zu einem ernst gemeinten Motivieren auch<br />
die Stärkung von Eigenverantwortung gehört.<br />
Diese wird allerdings einem Erwerbslosen spätestens<br />
mit der Eingliederungsvereinbarung 9 , in<br />
8 Aus der Bundestagsdrucksache 16/1410 vom 9.5.2006.<br />
Diese Regelung ließ „eine verstärkte Sanktionierung<br />
wegen einer wiederholten Pflichtverletzung nur zu, wenn<br />
die zweite (…) innerhalb von drei Monaten“ erfolgte.<br />
Mit der Neuregelung zum 1.1.2007 wurde u.a. dieser<br />
Zeitraum auf ein Jahr ausgedehnt. Zu den Verschärfungen<br />
insgesamt siehe Kap. 2.<br />
9 Auf Funktion und Problematik der Eingliederungsver-<br />
Online-Version 2 www.hartzkampagne.de