07.01.2013 Aufrufe

Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV

Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV

Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

6<br />

(und dies läßt sich ohne weiteres auf andere Bereiche<br />

übertragen) die Unsinnigkeit und Ineffektivität<br />

des Strafens auf. Auch Anordnungen und<br />

fortgesetzte Appelle würden nur Widerstand hervorrufen.<br />

Entscheidend sei, die Bedürfnisstruktur<br />

von Untergebenen zu erkennen. 6<br />

Roth: „Dem Vorgesetzten bleibt nur das Mittel<br />

der Belohnung. Das Erste, was er rauskriegen<br />

muß, ist die Belohnungsstruktur seiner Mitarbeiter.<br />

Denn vom ersten Tag des Lebens an fragt<br />

unser Hirn: Lohnt sich das für mich?“<br />

SPIEGEL: „Dann muss der Chef ein guter<br />

Psychologe sein?“<br />

Roth: „Aber hallo! Der eine will Lob, der andere<br />

befördert werden, der Dritte Privilegien,<br />

der Vierte soziale Anerkennung. Mit dem muss<br />

man jede Woche mindestens einmal reden; er<br />

leidet, wenn er glaubt: Der Chef interessiert sich<br />

<strong>nicht</strong> für mich. Kommt die falsche Belohnung, ist<br />

sie wirkungslos, und der Laden läuft <strong>nicht</strong><br />

rund.“<br />

SPIEGEL: „Und Strafe hilft gar <strong>nicht</strong> weiter?“<br />

Roth: „In der Regel geht Strafe nach hinten<br />

los. Meist wird sie als ungerecht empfunden; das<br />

erzeugt Rachegefühle. Die größte Crux ist: Man<br />

darf nie damit aufhören. Sonst merkt das Kind:<br />

Der hat aufgegeben. Strafe funktioniert nur,<br />

wenn man sie immer weitertreibt und willkürlich<br />

anwendet. Diktaturen haben das perfektioniert.<br />

Aber damit terrorisiert man Menschen nur. Man<br />

ändert sie <strong>nicht</strong>.“<br />

*****<br />

Warum es „einer Demokratie“, einer „Kulturnation“<br />

<strong>nicht</strong> ansteht, „gleich nach Strafe zu<br />

schreien“, darauf hat einmal mehr Margarete<br />

Mitscherlich-Nielsen hingewiesen. 7 Einer ihrer<br />

6 Gerhard Roth im Interview mit dem Spiegel, Nr.<br />

35/2007, „Das Ich ist eine Einbahnstraße“. Roth leitet<br />

das Institut für Hirnforschung an der Universität Bremen<br />

und das Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst. Das<br />

vollständige Interview ist zu finden im Archiv unter:<br />

www.wissen.spiegel.de/wissen<br />

7 Margarete Mitscherlich-Nielsen im Gespräch mit Hans-<br />

Jürgen Heinrichs über das „Verhältnis von Integration<br />

und Strafe“, Deutschlandfunk, Essay und Diskurs,<br />

14.9.2008. Das Gespräch gibt es als Audio-Mitschnitt<br />

unter:<br />

www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio25418.html<br />

Schlüsselbegriffe ist „Einfühlung“: Nur durch<br />

„Miteinander-Sprechen“, nur „durch Verständnis<br />

für einander“ könnten wir „eine funktionierende<br />

Demokratie entwickeln“. Zuhören, beobachten<br />

und sich ineinander einfühlen seien Voraussetzung<br />

für das Verständnis zwischen Individuen<br />

und zwischen gesellschaftlichen Gruppen.<br />

Auf die Frage ihres Gesprächspartners, woher<br />

das extreme Bedürfnis nach Strafen komme,<br />

führt Mitscherlich-Nielsen aus: „Ja wissen Sie,<br />

je primitiver ein Mensch ist, um so mehr reagiert<br />

er auf den unmittelbaren Wunsch – wenn er etwas<br />

sieht, was ihn böse macht und was er findet,<br />

daß das unmöglich ist, wie er sich verhält – dem<br />

andern eine runter zu hauen. Wenn wir die Sprache<br />

<strong>nicht</strong> hätten, wenn wir <strong>nicht</strong> gelernt hätten,<br />

mit einander umzugehen (…)“, wäre ein „Verstehen<br />

der Motive, die jemand dazu bringt, so zu<br />

handeln wie er handelt (…)“ und das Wissen,<br />

„daß der andere von ganz anderen Einflüssen<br />

und ganz andren Motiven bestimmt wird als<br />

wir“, <strong>nicht</strong> möglich.<br />

Wenn wir wohlwollend unterstellen, daß die<br />

Abgeordneten, die für Hartz <strong>IV</strong> und den Sanktionsparagraphen<br />

verantwortlich sind, <strong>nicht</strong> in<br />

primitiver und autoritärer Weise die „Untätigen“<br />

oder „Uneinsichtigen“ strafen wollen, und wenn<br />

wir unterstellen, daß sie die Vorzüge des Belohnens<br />

und Motivierens kennen, dann irritiert, daß<br />

der Sanktionsparagraph im Sommer 2006 verschärft<br />

wurde. Der Grund: Mit der seit Januar<br />

2005 geltenden Regelung kamen Sanktionen<br />

„<strong>nicht</strong> in der erforderlichen Intensität zur Geltung.“<br />

8<br />

Motivieren durch Strafen?<br />

Zu Sinn und Unsinn des Strafens gibt es unendlich<br />

viele Abhandlungen. Unstrittig ist wohl,<br />

daß zu einem ernst gemeinten Motivieren auch<br />

die Stärkung von Eigenverantwortung gehört.<br />

Diese wird allerdings einem Erwerbslosen spätestens<br />

mit der Eingliederungsvereinbarung 9 , in<br />

8 Aus der Bundestagsdrucksache 16/1410 vom 9.5.2006.<br />

Diese Regelung ließ „eine verstärkte Sanktionierung<br />

wegen einer wiederholten Pflichtverletzung nur zu, wenn<br />

die zweite (…) innerhalb von drei Monaten“ erfolgte.<br />

Mit der Neuregelung zum 1.1.2007 wurde u.a. dieser<br />

Zeitraum auf ein Jahr ausgedehnt. Zu den Verschärfungen<br />

insgesamt siehe Kap. 2.<br />

9 Auf Funktion und Problematik der Eingliederungsver-<br />

Online-Version 2 www.hartzkampagne.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!