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Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV

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6. Den Sanktionsparagraphen aussetzen!<br />

Warum wir ein Moratorium fordern<br />

Manches von dem, was am § 31 SGB II rechtlich<br />

problematisch, was bei seiner Anwendung<br />

<strong>nicht</strong> akzeptabel ist, wurde in den vorausgegangenen<br />

Kapiteln dargestellt. Es liegt nahe zu sagen,<br />

dann müsse halt das Gesetz geändert werden.<br />

Dies müßte in unseren Augen das Ziel sein<br />

und wäre auch praktisch möglich – gäbe es hinter<br />

den Interessen und Ideologien, die sich gegenüberstehen,<br />

<strong>nicht</strong> zu grundsätzlich widerstreitende<br />

Standpunkte.<br />

Diese zu einem wechselseitigen Verstehen,<br />

vielleicht sogar zu einer Annäherung zu führen,<br />

183 bedarf seiner Zeit. Einer Zeit, in der die<br />

bislang in ihrem Ausmaß zu wenig bekannten<br />

Mißstände in den JobCentern angeschaut werden<br />

können, einer Zeit, in der eine öffentliche Debatte<br />

über den Sinn des Strafens von Erwerbslosen<br />

möglich wird. Diese Zeit ist nötig, um zu einer<br />

demokratischen Verständigung zu finden.<br />

Bis dahin Entrechtung, Bevormundung und<br />

Willkür auszuhalten, ist den <strong>Betroffene</strong>n <strong>nicht</strong><br />

zuzumuten und kann sich eine demokratische<br />

Gesellschaft <strong>nicht</strong> „leisten“! Daher treten wir für<br />

die schnellstmögliche Aussetzung des Sanktionsparagraphen<br />

ein.<br />

Die im § 31 SGB II geregelten drastischen<br />

Sanktionen werden gern beschönigend als Druck<br />

bezeichnet. Mit diesem „Druck“ (und weiteren<br />

„arbeitsmarktpolitischen“ Maßnahmen) soll die<br />

Verringerung der Erwerbslosigkeit erreicht werden.<br />

In den vorangegangenen Kapiteln haben wir<br />

versucht, die Wirkungen von Sanktionen auf die<br />

Menschen nachvollziehbar zu machen: Die Ängste,<br />

die Erniedrigung, das Klima von Drohung<br />

und Entwürdigung.<br />

Darüber hinaus haben wir auf das Aufweichen<br />

rechtsstaatlicher Grundsätze hingewiesen, das<br />

sich <strong>nicht</strong> erst im Vollzug der Gesetze zeigt, sondern<br />

bereits durch die Vorgaben eines Gesetzgebers.<br />

Unbekümmert, ja beinahe selbstherrlich<br />

183<br />

siehe Kap. 1, das Zitat von Margarete Mitscherlich-<br />

Nielsen im grauen Kasten<br />

überschreitet er verfassungsrechtliche Schranken.<br />

Beide Fehlentwicklungen stehen im Gegensatz<br />

zu <strong>Wer</strong>ten, auf die sich unsere Gesellschaft<br />

gründet. Die Unverletzlichkeit der Würde des<br />

Menschen wird beschädigt, wenn die subjektiven<br />

Eigenheiten, Möglichkeiten und Ziele der Menschen<br />

unberücksichtigt bleiben und der Gesetzgeber<br />

vorgibt, wie sie zu sein haben und wie sie<br />

zu funktionieren haben. Mit den Sanktionsregelungen<br />

werden abstrakte – zudem autoritäre –<br />

Prinzipien durchgesetzt, ohne die Möglichkeiten<br />

des Individuums adäquat zu berücksichtigen. Der<br />

Hinweis auf die Kosten reicht aus, Menschenrechte<br />

zu beschneiden und Erwachsene wie unmündige<br />

Kinder zu gängeln.<br />

Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht<br />

schon 1977 festgestellt: „Achtung und<br />

Schutz der Menschenwürde gehören zu den Konstitutionsprinzipien<br />

des Grundgesetzes. Die freie<br />

menschliche Persönlichkeit und ihre Würde stellen<br />

den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen<br />

Ordnung dar (…). Der Staatsgewalt<br />

ist in allen ihren Erscheinungsformen die<br />

Verpflichtung auferlegt, die Würde des Menschen<br />

zu achten und sie zu schützen“. 184<br />

Unterstellt man, das Ziel, die Arbeitslosenzahlen<br />

zu senken, werde durch die Sanktionsregelungen<br />

tatsächlich befördert – ist der Preis dafür<br />

<strong>nicht</strong> jetzt schon zu hoch?<br />

Das Aufweichen rechtsstaatlicher Grundsätze<br />

durch Gesetzgeber und Verwaltung bedeutet einen<br />

erheblichen Rückfall in unserer gesellschaftlichen<br />

Entwicklung. Der demokratische Rechtsstaat<br />

verliert sein Fundament, wenn staatliche<br />

Organe leichtfertig mit Verfassungsgrundsätzen<br />

umgehen und nach dem Motto handeln, wir können<br />

es ja mal probieren. Er verliert sein Funda-<br />

184<br />

BVerfG-Urteil v. 21.06.1977, 1 BvL 14/76, Rand-Nr.<br />

143-144; BVerfGE 45, 187;<br />

http://www.hartzkampagne.de/urteile/43.htm<br />

mit Verweisen auf BVerfGE 6, 32 (41); 27, 1 (6); 30,<br />

173 (193); 32, 98 (108)<br />

Online-Version 2 www.hartzkampagne.de

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