Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV
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5. <strong>Wer</strong> <strong>nicht</strong> <strong>spurt</strong> … – Erfahrungen mit Sanktionen<br />
Arbeit.“ 156 (Nr. 17) Ob sie – nach dieser Logik –<br />
Sanktionsfreiheit befürworten würde, wenn jemand<br />
eine „<strong>nicht</strong>-vernünftige“ Maßnahme (wie<br />
z.B. ein Ein-Euro-"Job" 157 ) ablehnt, blieb offen.<br />
Auch eine andere Beraterin spricht den Unsinn<br />
bestimmter Vorgaben an, die Alg-II-Beziehenden<br />
unter Androhung von Sanktionen abverlangt<br />
werden:<br />
„Die Anzahl der in den Eingliederungsvereinbarungen<br />
geforderten Bewerbungen ist unsäglich,<br />
das müßte in vernünftigem Rahmen sein.<br />
Einer Künstlerin, einer Psychologin und vielen<br />
anderen 20 Bewerbungen im Monat abzuverlangen,<br />
ist unsinnig!“ (Nr. 20)<br />
Bei anderen BeraterInnen klingt an, daß Sanktionen<br />
auch deshalb unverhältnismäßig und unangemessen<br />
sind, weil die Betreffenden schlicht<br />
überfordert sind und die Erwartung, sie könnten<br />
entsprechend der Vorgaben funktionieren, an deren<br />
Lebenssituation vorbei geht. Denn, so der<br />
Berater einer Einrichtung, die auch von kranken<br />
und psychisch belasteten Menschen aufgesucht<br />
wird: „Sanktionen entstehen in Situationen, in<br />
denen die <strong>Betroffene</strong>n den Anforderungen <strong>nicht</strong><br />
gerecht werden können(!), zum Beispiel: Warum<br />
bewirbt sich jemand <strong>nicht</strong>?! Weil er frustriert ist<br />
ob der Vergeblichkeit, weil er weiß, daß er <strong>kein</strong>e<br />
Chance hat, daß die abverlangten Bewerbungen<br />
eine Farce sind, weil die Menschen durchhängen.“<br />
(Nr. 21)<br />
Der Widersinn maßloser Eingliederungsvereinbarungen,<br />
in denen Verpflichtungen enthalten<br />
sind, die kaum mit den Betreffenden „vereinbart“<br />
worden sein können, wird besonders deutlich,<br />
wenn es um Menschen in extremen Lebenslagen<br />
geht: „Wenn einem 20jährigen Obdachlosen,<br />
dessen Leben chaotisch und instabil ist und der<br />
psychisch <strong>nicht</strong> belastbar ist, zehn Bewerbungen<br />
im Monat abverlangt werden, muß man sich<br />
<strong>nicht</strong> wundern, daß der scheitert.“ (Nr. 7) 158<br />
156 ÖBS = Öffentlich geförderter Beschäftigungssektor<br />
157 Die Beraterin hatte während des Telefongesprächs beim<br />
Stichwort Ein-Euro-"Jobs" hörbar gestöhnt und dann berichtet,<br />
daß sie sich intensiv um einen Ausbildungsplatz<br />
oder sozialversicherungspflichtige Arbeit für jene Alg-<br />
II-Bezieher bemüht hatte, die als Ein-Euro-Jobber in der<br />
Beratungsstelle eingesetzt waren.<br />
158 Für unter 25jährige gelten, wie gesagt, verschärfte Sanktionsregelungen.<br />
Daß es hier einer Änderung bedarf, hatte<br />
offenbar auch der beratende Anwalt aus Nr. 22 im<br />
<strong>Wer</strong> noch <strong>nicht</strong> „durchhängt“ oder psychisch<br />
angeschlagen ist, wer sein Leben noch vergleichsweise<br />
gut „im Griff“ hat, kann allerdings<br />
durch die Erfahrung von Sanktionen und der damit<br />
verbundenen Angst- und Ohnmachtsgefühle<br />
ins Schlingern geraten. Sanktionen können eine<br />
„schreckliche Kette“ weiterer, auch existentieller<br />
Probleme auslösen: Schwarzfahren, das bei wiederholtem<br />
Ertapptwerden zu hohen <strong>Geld</strong>strafen<br />
führen kann, Stromabschaltungen, Schulden,<br />
Räumungsklagen bei Mietschulden, Obdachlosigkeit.<br />
<strong>Wer</strong> niemanden mehr hat, der aushelfen<br />
kann, wird vielleicht kriminell.<br />
Daß Sanktionen unverhältnismäßig, unsinnig<br />
und in den beobachtbaren Folgewirkungen unmenschlich<br />
sind, klingt in den Antworten mancher<br />
BeraterInnen an. Aber nur wenige gehen so<br />
weit, Schlußfolgerungen grundsätzlicher Art daraus<br />
zu ziehen.<br />
Forderungen, die über systemimmanente Vorstellungen<br />
hinausgehen<br />
Bemerkenswert an den Antworten zu Frage 4<br />
war, daß der ganz überwiegende Teil der BeraterInnen<br />
systemimmanent geantwortet hat.<br />
Die meisten der Befragten blieben mit ihren<br />
Forderungen und Verbesserungsvorschlägen im<br />
Rahmen der restriktiven gesetzlichen Strukturen.<br />
Einige, wenn auch wenige, haben sogar explizit<br />
gesagt, daß es „Sanktionen geben (muß)“ (Nr.<br />
22) bzw. daß ihre Abschaffung zu fordern „utopisch“<br />
sei (Nr. 21), und die Äußerungen der Beraterin<br />
aus Nr. 17 können auch so verstanden<br />
werden, daß Sanktionen unter bestimmten Umständen<br />
Sinn machen würden.<br />
Nur ganz wenige stellten Sanktionen und ihre<br />
Unverhältnismäßigkeit überhaupt in Frage.<br />
So etwa die Beraterin aus Nr. 12: „Der Regelsatz<br />
ist ’eh zu niedrig, eigentlich dürfte es <strong>kein</strong>e<br />
Sanktionen geben. Ansparen ist doch schon <strong>nicht</strong><br />
möglich.“ Ähnlich formuliert es die Beraterin<br />
aus Nr. 28: „Sanktionen gehen schlicht <strong>nicht</strong>,<br />
finde ich schlichtweg ein Unding, wenn 30 oder<br />
60 Prozent gekürzt werden, weil der Regelsatz<br />
einfach <strong>nicht</strong> reicht.“<br />
Und eine Dritte, die Beraterin aus Nr. 20, fordert:<br />
„Sanktionen müßten abgeschafft werden,<br />
Sinn, als er die Streichung des Regelsatzes als „völlig<br />
unangemessen“ bezeichnete.<br />
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