Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV
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5. <strong>Wer</strong> <strong>nicht</strong> <strong>spurt</strong> … – Erfahrungen mit Sanktionen<br />
Vollkommen offen bleibt, ob die Sanktionen,<br />
die die BeraterInnen bei dieser Frage im Blick<br />
hatten, wegen tatsächlicher oder unterstellter<br />
„Vergehen“ verhängt wurden. 124 Dies gilt übrigens<br />
auch für die statistischen Angaben der Bundesagentur<br />
für Arbeit. 125 Das aufzuklären, würde,<br />
im einen wie im anderen Fall, umfassende, ja<br />
endlose Recherchen erfordern: Alle beteiligten<br />
Seiten wären zu befragen, im Einzelfall wäre<br />
vermutlich sogar gerichtliche Klärung notwendig,<br />
und selbst diese würde eine Wahrheitsfindung<br />
<strong>nicht</strong> in jedem Fall gewährleisten.<br />
Allerdings lassen schon die kurzen Ausführungen,<br />
die die Befragten gelegentlich als Hintergrundinformation<br />
ihren Antworten hinzufügten,<br />
erahnen, daß die Vorwürfe, die zu Leistungskürzungen<br />
führen, mitunter <strong>nicht</strong> haltbar oder völlig<br />
überzogen sind, und daß es sich – wie auch die<br />
Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag<br />
126 zeigt – dabei kaum um bedauerliche Ausnahmefälle<br />
handelt.<br />
Wir haben auch die Hintergrundinformation<br />
festgehalten und geben sie ergänzend zu den<br />
Antworten der BeraterInnen in Übersicht B (zu<br />
Frage 3) und Übersicht C (zu Frage 4) wieder.<br />
Dabei sei noch mal daran erinnert, daß die<br />
telefonische Kurzbefragung der Beratungsstellen<br />
nur als Ergänzung zur ausführlicheren Befragung<br />
von Sanktionierten bzw. Sanktionsbedrohten angelegt<br />
war.<br />
Im Zusammenhang mit Frage 2 (Anlässe für<br />
Sanktionen) fügten mehrere BeraterInnen (aus<br />
Nr. 4, 6, 15 und 26) beim Stichwort „Termine<br />
<strong>nicht</strong> wahrgenommen“ 127 hinzu, daß es Sanktio-<br />
124 Die grundsätzliche Frage, ob „strafende“ Leistungskürzungen<br />
vertretbar sind, d.h. mit Blick auf das Gebot, die<br />
Menschenwürde zu achten und zu schützen und mit<br />
Blick auf das Sozialstaatsgebot überhaupt zu rechtfertigen<br />
sind, ist hier <strong>nicht</strong> angesprochen. Dieser Frage sind<br />
wir in Kapitel 2 nachgegangen.<br />
125 Die BA-Statistik zu Sanktionen weist für die tausende<br />
von Einzelfällen <strong>nicht</strong> aus, ob die Sanktionsdrohung zurück<br />
genommen werden mußte.<br />
126 Wie bereits in Kap. 1 angemerkt, waren im Jahr 2007 in<br />
35 % der Fälle ein Widerspruch und in 42 % der Fälle<br />
eine Klage gegen die verhängte Sanktion erfolgreich.<br />
(Auskunft der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage;<br />
siehe Bundestagsdrucksache 16/8284 vom 26.2.2008, S.<br />
5 f.)<br />
127 Natürlich kommt es vor, daß Termine, die das JobCenter<br />
setzt, <strong>nicht</strong> wahrgenommen werden: Menschen werden<br />
nen bzw. Androhungen auch bei entschuldigtem<br />
Fernbleiben gegeben habe. 128<br />
Beim Stichwort „Eingliederungsvereinbarung“<br />
war der meist genannte Vorwurf, die dort vorgeschriebene<br />
Anzahl an Bewerbungen (mitunter<br />
10, 20, 25 Bewerbungen im Monat je nach pAp<br />
oder Fallmanager) sei <strong>nicht</strong> eingehalten worden.<br />
Dabei sei, so etwa die Beraterin aus Nr. 6 „die<br />
geforderte Zahl oft völlig unsinnig“. (Siehe hierzu<br />
auch die Ausführungen zu Frage 4.)<br />
Zwei BeraterInnen sprachen das Problem an,<br />
daß die Eingliederungsvereinbarung häufig <strong>nicht</strong><br />
verstanden worden sei, aufgrund von Sprachschwierigkeiten<br />
(„dies sind die meisten“ 129 ) oder<br />
„psychischer Angeschlagenheit“ (Nr. 11).<br />
Manch einem sei gar <strong>nicht</strong> klar gewesen, welchen<br />
Anforderungen er gemäß „Vereinbarung“<br />
hätte nachkommen müssen. 130<br />
Auch bei den weiteren Sanktionsanlässen ist zu<br />
vergegenwärtigen, daß etwa der Vorwurf, eine<br />
zugewiesene Maßnahme oder „zumutbare Arbeit“<br />
„<strong>nicht</strong> angetreten“ zu haben, im Einzelfall<br />
formalrechtlich zutreffen mag, daß es aber<br />
durchaus viele berechtigte Gründe gibt bzw.<br />
Umstände denkbar sind, weshalb den Anordnungen<br />
oder Zuweisungen der JobCenter <strong>nicht</strong> Folge<br />
geleistet wird. 131 Hierauf werden wir näher bei<br />
den Antworten zu den Fragen 3 und 4 eingehen.<br />
krank oder sind aus anderen triftigen Gründen verhindert,<br />
manche sind es leid, vorgeladen zu werden, obwohl<br />
man ihnen <strong>kein</strong>e sinnvollen Angebote machen kann.<br />
Wiederum andere haben Angst und halten den Druck<br />
<strong>nicht</strong> aus, den ihr pAp auf sie ausübt, während der pAp<br />
selbst den Druck seiner Vorgesetzten weiter gibt. Und<br />
andere haben schlicht „<strong>kein</strong>en Bock“ auf ihren Fallmanager<br />
oder pAp, der in ihren Augen <strong>nicht</strong>s anderes tut,<br />
als eine verlogene und autoritäre „Maßnahme- und Entsorgungspolitik<br />
für Überflüssige“ (O-Ton Hartz-<strong>IV</strong>-<br />
<strong>Betroffene</strong>) durchzusetzen.<br />
128 In einem Fall etwa gelangte das Attest zu Sachbearbeiter<br />
A, während Sachbearbeiter B die Sanktion verhängte.<br />
129 So die Beraterin aus Nr. 5, einer Beratungsstelle, die von<br />
Menschen unterschiedlichster Herkunftsländer aufgesucht<br />
wird.<br />
130 Wie solche „Vereinbarungen“ zustande kommen, ist in<br />
Kap. 5.1 im Porträt von Florian Schäfer beschrieben.<br />
131 Genannt wurden zum Beispiel: MAE-Maßnahme <strong>nicht</strong><br />
angetreten, ABM <strong>nicht</strong> angetreten, Qualifizierungsmaßnahme<br />
„verbockt“, MAE aus „prinzipiellen Gründen“<br />
abgelehnt, eine zugewiesene Arbeit „verbockt“, weil<br />
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