Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV
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1. Einführung<br />
Seit Einführung von Hartz <strong>IV</strong> sind tausende<br />
Erwerbslose wegen „Fehlverhaltens“ bestraft<br />
worden, indem man ihnen – beinahe unbemerkt<br />
von der Öffentlichkeit – die notwendigsten Mittel<br />
für ein menschenwürdiges Leben entzog. Bereits<br />
für September 2007 weist die Statistik bundesweit<br />
173.796 Sanktionen aus; inzwischen<br />
dürfte diese Zahl noch sehr viel höher liegen. 1<br />
Wie kommt es, daß diese Kürzungen bis hin zur<br />
Streichung des Existenzminimums <strong>kein</strong>en allgemeinen<br />
Aufschrei auslösen?<br />
Wo das „Hauptsache-Arbeit!-Denken“ unreflektiert<br />
in den Köpfen vorherrscht, ist auch der<br />
Ruf nach Sanktionen gegen „Untätige“ <strong>nicht</strong><br />
weit: „<strong>Wer</strong> <strong>nicht</strong> arbeitet, soll auch <strong>nicht</strong> …“<br />
Der bekannte Satz ist in den vergangenen Jahren<br />
manchem Politiker <strong>nicht</strong> nur unbedacht aus<br />
dem Munde gerutscht – er hat vielmehr schon<br />
bei der Formulierung und Verabschiedung des<br />
Hartz-<strong>IV</strong>-Gesetzes Pate gestanden.<br />
<strong>Wer</strong> die Arbeitsmarktpolitik <strong>nicht</strong> isoliert betrachtet,<br />
sondern gemeinsam mit der Sanktionspraxis<br />
in den Blick nimmt, stellt fest, daß Erwerbslose<br />
– zugespitzt formuliert – „hungern<br />
sollen, um nach Arbeit zu hungern“ (Wolf-Dieter<br />
Narr) 2 – egal welche.<br />
In den Worten des Gesetzgebers liest sich das<br />
so: „Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wird<br />
<strong>nicht</strong> nur über Anreize gefördert, sondern auch<br />
mit Hilfe von Sanktionen gefordert.“ 3<br />
1<br />
Die offiziellen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit<br />
(BA) enthalten <strong>kein</strong>e aktuellen Zahlen für das gesamte<br />
Bundesgebiet; ausgewiesen werden nur die Einzeldaten<br />
für die Kreisebene. Allerdings zeigt die Antwort der<br />
Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, daß schon in<br />
dem vorhergehenden Jahreszeitraum der Sanktionsparagraph<br />
(§ 31 Sozialgesetzbuch II) viel häufiger angewandt<br />
wurde: im Oktober 2006 hatte die Zahl noch bei<br />
112.268 gelegen; das entspricht einem Anstieg um<br />
54,8 %. (Bundestagsdrucksache 16/8284 vom 26.2.2008,<br />
S.2)<br />
2<br />
Wolf-Dieter Narr (1999): Zukunft des Sozialstaats – als<br />
Zukunft einer Illusion? Neu-Ulm<br />
3<br />
Aus der Begründung zum „Entwurf eines Vierten Gesetzes<br />
für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“*,<br />
Begründung, A. Allgemeiner Teil, III c) (Stand:<br />
25.7.2003)<br />
„Grundsätzlich ist dem Erwerbsfähigen jede<br />
Erwerbstätigkeit zumutbar“. 4<br />
Dessen ungeachtet hat die SPD, die ja immerhin<br />
den Bundesarbeitsminister stellt, erst jüngst<br />
in ihrem Grundsatzprogramm festgeschrieben:<br />
„Wir wollen Arbeit, die gerecht entlohnt wird,<br />
die Teilhabe an den sozialen Sicherungssystemen<br />
voll ermöglicht, Anerkennung bietet, <strong>nicht</strong><br />
krank macht, die erworbene Qualifikationen<br />
nutzt und ausbaut, demokratische Teilhabe garantiert<br />
und die Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Familie ermöglicht.“ 5<br />
Das soll für Erwerbslose offenbar <strong>nicht</strong> gelten:<br />
Mit gravierenden <strong>Geld</strong>kürzungen wird bestraft,<br />
wer einen Ein-Euro-„Job" ablehnt oder ein Arbeits„angebot“<br />
<strong>nicht</strong> antritt – sei es Zeitarbeit zu<br />
Niedrigstlohn oder eine Arbeit fernab der eigenen<br />
Berufserfahrung und Qualifikation. Doch die<br />
Sanktionsregelungen beziehen sich <strong>nicht</strong> nur auf<br />
vermeintliche Arbeitsverweigerung. Sanktioniert<br />
wird auch, wer <strong>nicht</strong> pünktlich zum JobCenter<br />
kommt bzw. einen Termin verpaßt, wer Unterlagen<br />
<strong>nicht</strong> rechtzeitig oder unvollständig vorlegt,<br />
wer sich weigert, eine vorgegebene „Vereinbarung“<br />
zu unterschreiben oder eine <strong>nicht</strong> weiterbringende<br />
Trainingsmaßnahme zu absolvieren.<br />
Ziel ist, den ganzen Menschen zum Funktionieren<br />
zu bringen, zum Spuren nach den Vorstellungen<br />
der Behörde.<br />
Die Würde und das Selbstbestimmungsrecht<br />
bleiben da auf der Strecke. Aber dies scheint die<br />
Verantwortlichen ebenso wenig zu interessieren,<br />
wie die – <strong>nicht</strong> nur aus der Motivationsforschung<br />
– altbekannte Tatsache, daß Belohnen und Motivieren<br />
wirkungsvoller und Erfolg versprechender<br />
sind als Bestrafen.<br />
Der Hirnforscher Gerhard Roth zeigt mit Blick<br />
auf das Wesentliche einer guten Personalführung<br />
*Dies ist die offizielle Bezeichnung des Hartz-<strong>IV</strong>-<br />
Gesetzes.<br />
4<br />
Ebd., B. Besonderer Teil, Zu Artikel 1 (Zweites Buch<br />
Sozialgesetzbuch), zu § 10 Zumutbarkeit<br />
5<br />
Grundsatzprogramm der SPD vom 28.10.2007, Hamburg<br />
(sämtliche Hervorhebungen in Fettschrift durch die<br />
Verf.)<br />
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