Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV
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4. Erfahrungen vorm JobCenter bei der<br />
Suche nach Sanktionierten<br />
Versuch, diese spezielle Stimmungslage zu beschreiben<br />
Den Fragebogen erstellen ist eine Sache, gesprächsbereite<br />
Sanktionierte zu finden, eine andere.<br />
Allein das Ansinnen, formulargeschädigte<br />
JobCenter-Kunden dazu zu bewegen, schon wieder<br />
einen Fragebogen auszufüllen! Den Begriff<br />
„formulargeschädigt“ hörten wir später, als wir<br />
MitarbeiterInnen von Beratungsstellen befragten.<br />
Und während der Arbeit an den Porträts von<br />
Sanktionierten mußten wir lernen, daß nur die<br />
Starken unter den Sanktionierten, die in der Lage<br />
waren, sich zu wehren und während ihres Sanktionsfalls<br />
Hilfe zu organisieren, auch bereit waren,<br />
Fragebögen auszufüllen. Aber das ahnten<br />
wir noch <strong>nicht</strong>, als wir uns auf die Suche nach<br />
Sanktionierten machten.<br />
Meine Kontaktaufnahme vor den JobCentern<br />
war in etwa so: „Guten Tag, wir sind von der<br />
Berliner Kampagne gegen Hartz <strong>IV</strong>. Wir machen<br />
eine Umfrage zu Sanktionen.“<br />
Der erste Teil, die Nennung des Kampagnennamens,<br />
war in den meisten Fällen ausreichend<br />
und ergab einen gewissen Vertrauensvorschuß.<br />
Ein kleiner Teil der Leute reagierte aggressiv auf<br />
unseren Namen, manchmal wurde Parteizugehörigkeit<br />
erfragt. Zumeist aber reichte den Leuten<br />
diese Identitätsangabe.<br />
Was den Teil mit den Sanktionen angeht, habe<br />
ich variiert, da ich merkte, daß <strong>nicht</strong> alle mit dem<br />
Begriff „Sanktionen“ etwas anfangen konnten.<br />
Also fragte ich allgemeiner: „Ist Ihnen schon<br />
mal <strong>Geld</strong> gekürzt worden?“ oder ähnliches.<br />
Oft habe ich auch hinzugefügt, daß ich selber<br />
Hartz-<strong>IV</strong>-Empfängerin bin, um <strong>nicht</strong> als Reporterin<br />
dazustehen, die in Kriegsberichterstattermanier<br />
Verletzte vors Mikrofon bekommen<br />
möchte.<br />
<strong>Wer</strong> aus dem JobCenter kommt, möchte oft,<br />
das weiß ich aus vielerlei Erfahrungsaustausch:<br />
Heulen. Eine rauchen. Ganz schnell weg. Telefonieren.<br />
Einen Freund aufsuchen. Trockene Alkoholiker<br />
berichten, sie wollten am liebsten sofort<br />
Alkohol trinken.<br />
<strong>Wer</strong> aus dem JobCenter kommt, möchte <strong>nicht</strong><br />
unbedingt von fremden Leuten angesprochen<br />
werden. Die Gesichter laden <strong>nicht</strong> zum Gespräch<br />
ein. Für jede Kontaktaufnahme mußte ich meinen<br />
ganzen Mut zusammen nehmen. Welche<br />
Worte für welches Gegenüber?<br />
Die häufigsten Antworten waren wohl die folgenden<br />
kurzen Reaktionen auf die Fragen, die<br />
ich den Vorbeieilenden zurief:<br />
Die einen verärgert: „Die behandeln einen hier<br />
wie den letzten Dreck.“<br />
Oder: „Jeder Tag hier ist für mich Sanktion.<br />
Ich bin so satt.“<br />
Oder: „Zweimal bin ich schon sanktioniert<br />
worden. Das ist Betrug hier.“ 63<br />
Oder die anderen pflichtbeflissen: „Sanktion,<br />
passiert mir <strong>nicht</strong>, ich mache immer alles richtig.“<br />
Oder: „Ich habe <strong>kein</strong>en Ärger, ich halte mich<br />
an die Regeln.“<br />
Ich konnte ihnen dann gerade noch hinterher<br />
rufen: „Na dann weiterhin viel Glück!“<br />
Andere distanzierten sich verärgert: „Da habe<br />
ich <strong>nicht</strong>s mit zu tun. Ich habe bald Arbeit.“<br />
Beifang auf der Suche nach Sanktionierten<br />
Beifang nennt man in der Fischerei zufällig mit<br />
ins Netz geratenen Fisch. Die folgenden Gesprächsskizzen<br />
wollen wir aber <strong>nicht</strong> wie Beifang<br />
wegwerfen, weil sie auch zeigen, wie der<br />
Wind weht über diesen Gewässern und wer sich<br />
hier so alles tummelt, um im Bild zu bleiben.<br />
Von denen, die aus welchen Gründen auch<br />
immer, <strong>kein</strong>en Fragebogen genommen haben,<br />
soll hier kurz die Rede sein:<br />
63<br />
Der dies sagte, war zu einem Gespräch bereit, siehe Porträt<br />
Ahmet Karaca.<br />
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