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Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV

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ein sanfter Schubs wäre zu überlegen – in bestimmten<br />

Fällen.“<br />

Wie dieser „sanfte Schubs“ aussehen könnte,<br />

bleibt offen. Im Beratungsalltag bleibt <strong>kein</strong>e Zeit<br />

für solche Überlegungen. Der Berater aus Nr. 15,<br />

der seit langem und beinahe täglich Beratungsarbeit<br />

macht, bedauert „wegen der enorm angestiegenen<br />

Zahl von Beratungsfällen inzwischen<br />

ganz im Beratungsdenken, im ‚systemimmanenten’<br />

Denken versunken zu sein, wo ein Nachdenken<br />

über Grundsätzliches, zum Beispiel über<br />

die Vereinbarkeit von Sanktionen und Sozialstaat,<br />

<strong>nicht</strong> mehr stattfindet und <strong>nicht</strong> mehr<br />

möglich ist.“<br />

* * *<br />

Für ein Nachdenken über Grundsätzliches muß<br />

Raum geschaffen werden – zuallererst auf politischer<br />

Ebene wie auch in den JobCentern und<br />

ARGEN. Raum und Zeit, die benötigt wird für<br />

ein Wahrnehmen, Registrieren und Aufarbeiten<br />

all der beschriebenen Mängel, der chaotischen<br />

bzw. ungeregelten Zustände und der rechtswidrigen<br />

Praktiken in den JobCentern. Zeit, die auch<br />

benötigt wird für ein Nachdenken und eine öffentliche<br />

Auseinandersetzung über eine ernst<br />

gemeinte Förder- und Arbeitsmarktpolitik.<br />

Was sich offenkundig <strong>nicht</strong> bewährt, sondern<br />

schwerwiegende Folgen für die <strong>Betroffene</strong>n und<br />

unabsehbare gesellschaftliche Wirkungen hat,<br />

kann <strong>nicht</strong> einfach fortgesetzt werden.<br />

Diese Zeit muß gewonnen werden durch ein<br />

Aussetzen des Sanktionsparagraphen!<br />

* * *<br />

5.4 Resümee<br />

Betrachten wir die Ergebnisse aus unseren Befragungen,<br />

so fällt zunächst zweierlei auf: Sanktionen<br />

bzw. Sanktionsandrohungen beeinträchtigen<br />

in gravierender Weise den Alltag und die<br />

Lebensmöglichkeiten der <strong>Betroffene</strong>n und ihrer<br />

Familien. Zu den Erfahrungen gehört die Ohnmachtserfahrung,<br />

daß Einwände <strong>nicht</strong> ernst genommen<br />

werden oder gar <strong>nicht</strong> erst zu den Job-<br />

Center-MitarbeiterInnen vorgedrungen werden<br />

kann. Dazu gehört die Erfahrung extremen Mangels,<br />

z. B. wenn das <strong>Geld</strong> <strong>nicht</strong> mehr für Medikamente<br />

oder Dinge des täglichen Bedarfs reicht<br />

und massive Einschränkungen, etwa nach<br />

Stromabschaltungen. Dazu gehört die Angst davor,<br />

hungern zu müssen oder die Wohnung zu<br />

verlieren.<br />

Gleichzeitig – das ist die zweite Auffälligkeit –<br />

suchen nur sehr wenige Sanktionierte oder von<br />

einer Sanktion Bedrohte eine Beratungsstelle<br />

auf. 159 Viele sind schlicht überfordert, „tauchen<br />

ab“, „igeln sich ein“. 160<br />

Was wird aus all jenen, die <strong>kein</strong>e Beratung<br />

aufsuchen, die sich <strong>kein</strong>e Unterstützung organisieren?<br />

Alg-II-Beziehende stehen oft dem Wust an<br />

Vorschriften, Paragraphen und unverständlichen<br />

JobCenter-Schreiben hilflos gegenüber, viele haben<br />

<strong>nicht</strong> die Kenntnisse, um Rechtsverstöße als<br />

solche zu erkennen. Wir vermuten, daß in vielen<br />

Fällen eine Sanktion abgewehrt werden könnte,<br />

wenn die Betreffenden professionelle Hilfe<br />

wahrnehmen würden; immerhin sind ja 35 % der<br />

159 Diesem Problem könnte z. B. durch ergänzende Angebote<br />

der „aufsuchenden Unterstützung und Beratung“<br />

Rechnung getragen werden. Die Aktion des Berliner<br />

BALZ (Berliner Arbeitslosenzentrum evangelischer Kirchenkreise<br />

in Berlin e.V.), Alg-II-Beziehende mit einem<br />

Beratungsbus direkt vor den 12 Berliner JobCentern aufzusuchen,<br />

weist hier einen Weg. Mehr zu der sechswöchigen<br />

Aktion, die unter dem Motto „Irren ist amtlich –<br />

Beratung kann helfen“ in diesem Jahr zum zweiten Mal<br />

durchgeführt wurde, unter: www.berliner-arbeitslosenzentrum.de/<br />

160 So die BeraterInnen – es erinnert an ein Phänomen, das<br />

auch aus anderen Beratungsfeldern bekannt ist: diejenigen,<br />

die Beratung und Unterstützung am nötigsten brauchen,<br />

kommen <strong>nicht</strong> oder kommen zu spät.<br />

Online-Version 2 www.hartzkampagne.de

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