Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - HARTZ IV Betroffene eV
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5. <strong>Wer</strong> <strong>nicht</strong> <strong>spurt</strong> … – Erfahrungen mit Sanktionen<br />
Widersprüche und 42 % der eingereichten Klagen<br />
erfolgreich 161 (siehe Ende des 1.Kapitels).<br />
Offenkundig wehren sich aber vor allem die,<br />
die noch „Kraftreserven“ haben. Sie sind es<br />
auch, die eher zu einem Gespräch bereit waren,<br />
so daß wir an einigen Beispielen veranschaulichen<br />
konnten, worin die rechtswidrigen Praktiken<br />
bestehen und wie mühsam und kompliziert<br />
es ist, eine Sanktion abzuwehren.<br />
Die in den Porträts dargelegten Erfahrungen<br />
finden sich größtenteils in den Erfahrungen der<br />
BeraterInnen wieder. Obschon sie die Sanktionsproblematik<br />
unterschiedlich beurteilen, vertrat<br />
<strong>kein</strong>e/r die Auffassung, daß die JobCenter grundsätzlich<br />
rechtskonform handeln. Ihre Ausführungen<br />
lassen zahlreiche Beispiele für die rechtswidrige<br />
Praxis der JobCenter erkennen. Die<br />
Antworten zeigen auch, daß sich die meisten BeraterInnen<br />
als Anwalt der Betrof-<br />
fenen verstehen. Einige kritisierten<br />
die Unverhältnismäßigkeit von<br />
Sanktionen, aber nur sehr wenige<br />
stellten den Sanktionsparagraphen<br />
überhaupt in Frage. Ähnlich, wie<br />
wir es von Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälten kennen, bemühen<br />
sie sich, die gesetzlichen Regelungen<br />
im Interesse der Ratsuchenden nutzbar zu<br />
machen, für eine grundsätzliche Infragestellung<br />
bleibt offenbar kaum Raum.<br />
Nehmen wir noch mal die in den Blick, die<br />
sich <strong>kein</strong>e professionelle Unterstützung suchen.<br />
All jene, denen schon hierfür die Voraussetzungen<br />
fehlen, weil sie – aufgrund ihrer schwierigen<br />
Lebenssituation, ihrer seelischen Verfassung<br />
oder aus welchen Gründen auch immer – einfach<br />
<strong>nicht</strong> in der Lage dazu sind. Oder weil sie aufgrund<br />
sprachlicher Probleme oder ihrer Isoliertheit<br />
<strong>nicht</strong> einmal von der Möglichkeit wissen. Ist<br />
es zu vertreten, daß die vielfach rechtswidrigen<br />
161 Zur Erinnerung: Die BA-Statistik weist für September<br />
2007 bundesweit 173.796 Sanktionen aus (aktuelle Zahlen<br />
sucht man vergeblich). Für Berlin sind aktuellere<br />
Zahlen bekannt: 17.548 vermeldete der Tagesspiegel am<br />
3.3.2008, und daß „die Zahl der Sanktionen innerhalb<br />
von neun Monaten um rund 7300“ angestiegen sei. „(…)<br />
Laut Auskunft der Regionaldirektion Berlin-<br />
Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit sind mehr<br />
als ein Drittel der Widersprüche erfolgreich.“ (Tagesspiegel<br />
vom 3.3.2008)<br />
Praktiken der JobCenter auf ihrem Rücken fortgesetzt<br />
werden? Ist es zu vertreten, daß der Staat<br />
beträchtliche Summen einsparen kann, „nur“<br />
weil der Großteil von Sanktionierten sich <strong>nicht</strong><br />
wehrt?<br />
Erfahrungen mit der Sanktionspraxis der<br />
JobCenter<br />
Lassen wir die wichtigsten Ergebnisse zu den<br />
Erfahrungen mit Sanktionen noch mal Revue<br />
passieren. Wie sind sie zu beurteilen?<br />
Personalmangel und unqualifiziertes Personal<br />
verschärfen und befördern die Sanktionsproblematik<br />
Die Arbeitssituation in den JobCentern ist von<br />
extremen Personalmangel und unzureichend qualifiziertem<br />
Personal gekennzeichnet. Die Folgen<br />
davon sind bereits ausführlich am Ende von Ka-<br />
„Bin Diabetiker – hatte <strong>kein</strong> Insulin<br />
und <strong>kein</strong>e Nahrung, die Wohnung<br />
wurde gekündigt, wegen Stromschulden<br />
– Mahnverfahren; ich hatte<br />
Angst um mein Leben.“<br />
(aus den Fragebögen)<br />
pitel 5.3 beschrieben<br />
worden: Unterlagen<br />
kommen weg 162 , die<br />
MitarbeiterInnen<br />
sind nur mit viel<br />
Aufwand und (fast)<br />
nie direkt erreichbar,<br />
in der Leistungsabteilung<br />
gibt es <strong>kein</strong>e<br />
festen AnsprechpartnerInnen. Die unzureichende<br />
Qualifizierung hat zur Folge, daß ein Großteil<br />
des Personals über ungenügende Rechtskenntnisse<br />
163 verfügt: es kommt zu unzureichenden oder<br />
falschen Auskünften, fehlerhafte, widersprüchliche<br />
und unverständliche Bescheide sind an der<br />
Tagesordnung, die Beratungspflicht wird nur selten<br />
wahrgenommen 164 .<br />
Hartz <strong>IV</strong> wird von vielen schon als „Strafe“<br />
empfunden, als extrem belastend („irgendwas ist<br />
immer“ 165 ). Um so schlimmer ist es, wenn eine<br />
Sanktion hinzukommt. Dann wiegt um so schwerer,<br />
wenn Atteste oder andere wichtige Unterla-<br />
162 Beispiel Porträt Bärmann, siehe auch die Antworten auf<br />
Frage 3 in Kap. 5.3 (Befragung von Beratungsstellen).<br />
163 Siehe Antworten auf Frage drei und vier in Kap. 5.3 sowie<br />
die Porträts von Sadi Bozkurt und Kathrin Maibaum.<br />
164 Beispiele: Porträts von Samuel Just und Ahmet Karaca<br />
sowie die Antworten auf die Frage drei und vier in Kap.<br />
5.3.<br />
165 So Linda Bozkurt am Ende des zweiten Porträts (Kap.<br />
www.hartzkampagne.de Online-Version 2<br />
5.1).<br />
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