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JAHR BUCH - Führungsakademie Baden-Württemberg - BW21

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DR. SIEGFRIED MAUCH<br />

Können Kompetenzen übertragen werden?<br />

Die demografische Entwicklung wird in den<br />

nächsten Jahren zu einem Braindrain führen,<br />

der – so die Befürchtung – nur in Ansätzen<br />

durch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit,<br />

durch Personaleinstellungen oder organisatorische<br />

Maßnahmen ausgeglichen werden<br />

kann. Derzeit liegt das Durchschnittsalter der<br />

im öffentlichen Dienst in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong><br />

Beschäftigten bei rund 50 Jahren. Bis 2020<br />

werden in einzelnen Behörden oder ganzen<br />

Ressorts bis zu zwei Drittel der Beschäftigten<br />

in den Ruhestand gehen. Ob entsprechende<br />

Nachbesetzungen erfolgen, ist offen, da die<br />

ebenfalls angespannte Haushaltslage regelmäßig<br />

über Personaleinsparungen gegenfinanziert<br />

wird. Hinzu kommt, dass auch die<br />

Privatwirtschaft unter den demografischen<br />

Folgen leidet. Im Wettbewerb um Fachkräfte<br />

kann sie leider bessere Konditionen anbieten<br />

als der öffentliche Dienst. Daher liegt die<br />

Überlegung nahe, das zu bewahren, was an<br />

Wissen und Fähigkeiten aufgebaut wurde,<br />

um Aufwendungen einsparen und für Handlungskontinuität<br />

sorgen zu können. Diesem<br />

Ansatz liegt die Vorstellung zu Grunde, dass<br />

die Kompetenz eines Bediensteten wie ein<br />

Objekt erfasst, archiviert und wiederverwendet<br />

werden kann.<br />

Bis vor einigen Jahrzehnten war das vielleicht<br />

noch möglich. Den Bediensteten reichten ihr<br />

Fach- und Dienstwissen aus, um Vorgänge<br />

zufriedenstellend bearbeiten zu können. Das<br />

Fachwissen erwarben sie mit der Ausbildung,<br />

das Dienstwissen über die Aktenlage und<br />

den Dienstverkehr. Daraus leitete Max Weber<br />

die Überlegenheit einer bürokratischen<br />

Verwaltung ab. Diese Vorstellung fand ihr<br />

Ende, als sich die Rolle der Verwaltung in der<br />

Gesellschaft veränderte und Verwaltung nicht<br />

mehr nur Vollstrecker staatlicher Gewalt war,<br />

sondern immer mehr auch eine gesellschaftsgestaltende<br />

Rolle einnahm. Damit wurden<br />

die Beziehungen zwischen Verwaltung und<br />

Gesellschaft dynamischer. Verwaltungshandeln<br />

ließ sich immer weniger mit der Floskel<br />

begründen: Das haben wir schon immer so<br />

gemacht. Um die Dynamik und Komplexität<br />

der Lebenslagen sowie die Unsicherheit von<br />

Umfeldentwicklungen bewältigen und dabei<br />

sowohl richtig als auch gerecht und wirtschaftlich<br />

entscheiden zu können, änderte sich das<br />

Organisations- und Personalprofil sowie das<br />

Entscheidungsverhalten. Die Leistungserbringung<br />

wurde spezifiziert, Zuständigkeiten und<br />

Verantwortung wurden delegiert sowie Organisationen<br />

fragmentiert. Verstärkt sollen auch<br />

die Wirkungen administrativen Handelns erfasst<br />

und zur Steuerungsgrundlage gemacht<br />

werden. Entscheidungen wurden und werden<br />

in immer kürzerer Zeit getroffen.<br />

Infolge dieser Entwicklung vermehrte sich<br />

nicht nur das für Entscheidungen notwendige<br />

Wissen, sondern es änderte sich auch<br />

die Art der Wissensbestände. Das juristische<br />

Wissen wurde um das Wissen weiterer Fachdisziplinen<br />

ergänzt. Neben das Wissen und<br />

die Fähigkeit zur rechtlichen Gestaltung traten<br />

verstärkt managerielles Wissen und managerielle<br />

Fähigkeiten. Das für Problemlösungen<br />

erforderliche Wissen musste entlang der Problemlösungsprozesse<br />

generiert und gepflegt<br />

werden. Die Zeit, dass eine Person, der eine<br />

bestimmte Kompetenz zugewiesen worden<br />

war, damit gleichzeitig auch kompetent wird,<br />

war angesichts der erwachsenen Vielfalt endgültig<br />

vorbei. Das Ausbildungswissen reichte<br />

nicht mehr aus, um zufriedenstellend die zugewiesenen<br />

Aufgaben erfüllen zu können.<br />

Neue und vor allen Dingen methodische und<br />

soziale Anforderungen entstanden. Konstante<br />

Fortbildung war erforderlich. Infolge der Komplexität<br />

gesellschaftlicher Entwicklung und der<br />

Öffnung des Staates in Richtung Bürger konnte<br />

dieser Wissens- und Bildungsbedarf nicht<br />

mehr ausschließlich fremdgesteuert bedient<br />

werden. Zu vielfältig wurden die Lernszenarien<br />

und zu unterschiedlich die Lernformen und<br />

Lernwege. Daher öffnete sich auch die Verwaltung<br />

– wenn auch zögerlich – dem Postulat des<br />

selbstverantwortlichen lebenslangen Lernens,<br />

Lernen nicht mehr nur als Bringschuld der Organisation<br />

anzusehen, sondern als Holschuld<br />

des einzelnen Bediensteten unter Verwendung<br />

eines breiten Repertoires an formellen<br />

und informellen Lernmöglichkeiten zu betrachten.<br />

Da Staat und Verwaltung heute nicht<br />

mehr über das notwendige Wissen verfügen,<br />

um eine sachadäquate Entscheidung treffen<br />

zu können, müssen sie die dafür notwendigen<br />

Lernprozesse selbst organisieren und dabei<br />

ständig selbst lernen, wozu auch entsprechendes<br />

Wissen gehört.<br />

Infolge dieser Entwicklung individualisierten<br />

sich Wissen und Fähigkeiten immer mehr.<br />

Personengebundenes Erfahrungswissen<br />

wurde für Problemlösungen immer wichtiger.<br />

Dokumentenwissen im Sinne von Fach-<br />

und Dienstwissen reicht für Problemlösungen<br />

immer weniger aus. Daher soll dieser<br />

Erfahrungsschatz angesichts der demografischen<br />

Betroffenheit gesichert werden. Dabei<br />

lässt man sich von der Vorstellung leiten,<br />

das Wissen in den Köpfen wie ein Objekt behandeln<br />

zu können, in dem man es erfasst,<br />

archiviert und damit künftigen Generationen<br />

zur Nutzung zur Verfügung stellt.<br />

Bei dieser objektivierten Sicht werden die<br />

Spezifika von Wissen und Kompetenz vernachlässigt.<br />

Wissen entsteht immer in bestimmten<br />

Zusammenhängen und ist an diese<br />

gebunden. Erst die persönliche Erfahrung<br />

in einem bestimmten Kontext bewirkt, dass<br />

aus Information Wissen wird. Infolge der<br />

Spezialisierung und Dezentralisierung der<br />

Aufgabenstellungen bewegt sich nahezu<br />

jeder potenzielle Wissensempfänger regelmäßig<br />

in anderen Kontexten. Sofern keine<br />

gemeinsame Kontexterfahrung vorliegt, die<br />

zudem in einen bestimmten historischen<br />

Bezug eingebunden ist, haben die potenziellen<br />

Wissensempfänger Probleme, sowohl<br />

die Problemstellung als auch die darauf aufbauende<br />

Lösung zu verstehen. Es fehlt Ihnen<br />

das Problembewusstsein.<br />

Selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass<br />

ein gemeinsames Verständnis vorliegt, führt<br />

der Wissenstransfer, auch wenn er mit Hilfe<br />

von Storytelling, Wissensstafetten oder<br />

Lessons-Learned-Ansätzen aufbereitet oder<br />

über eine elektronisch verfügbare Wissenslandkarte<br />

ansprechend dargestellt wird,<br />

nicht zwingend auch zu einem Kompetenztransfer.<br />

Denn im Unterschied zum Wissen<br />

zeichnet sich die Kompetenz einer Person<br />

nicht nur durch ihre Kenntnisse, Fähigkeiten<br />

und Erfahrungen, sondern vor allem durch ihr<br />

Problemlösungsverhalten, eine individuelle<br />

persönliche Disposition und eine bestimmte<br />

Werthaltung aus. Eine kompetente Person<br />

kennzeichnet vor allem, dass sie sich in offenen<br />

und unüberschaubaren, komplexen und<br />

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