JAHR BUCH - Führungsakademie Baden-Württemberg - BW21
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Und daneben ihre Männer in kurzen Hosen<br />
und T-Shirt. Für mich Fundamentalemanze<br />
schwer anzusehen.<br />
Auch die Kemalisten haben ein quasi-religiöses<br />
Verhältnis zu ihrem Idol. Ein Bild von<br />
Mustafa Kemal Atatürk fehlt in keinem öffentlichen<br />
Gebäude. Auch in den einzelnen<br />
Zimmern der Dozenten ist es zu finden. Ich<br />
frage Berrin, die Dozentin, der ich an der<br />
Bilim-Universität zugeordnet bin, ob es eine<br />
Verpflichtung gebe, ein Atatürk-Bild aufzuhängen.<br />
Nein, gar nicht, aber ob ich denn<br />
nicht wüsste, wer das sei und was sie ihm<br />
zu verdanken hätten? Natürlich habe ich von<br />
Atatürk gelesen und weiß, dass er die Türkei<br />
innerhalb recht kurzer Zeit und ziemlich<br />
nachhaltig modernisiert hat; für Trennung<br />
von Politik und Religion gesorgt hat und<br />
auch die bis dahin gültige Scharia durch ein<br />
modernes Rechtssystem ersetzt hat (basierend<br />
auf dem damaligen Schweizer Code<br />
civile), durch Schulpflicht die Analphabeten-<br />
Rate auch auf dem Land gesenkt hat und<br />
die formale Gleichstellung der Frau (inklusive<br />
aktivem und passivem Wahlrecht) eingeführt<br />
hat. Aber dass man ihn so lange Zeit später<br />
noch so verehrt, erstaunt mich. Die Veränderungen<br />
von damals seien eben auch heute<br />
noch zu spüren, erklärt mir Berrin, und deshalb<br />
umso wichtiger.<br />
Vielleicht ist dies auch dem Kulturkampf zuzuschreiben,<br />
der zurzeit in der Türkei stattfindet.<br />
Nach jahrzehntelanger Herrschaft<br />
der Kemalisten kam eine so genannte mildislamische<br />
Partei an die Macht und hält<br />
sich erstaunlich gut. Erklärt wird das unter<br />
anderem damit, dass die Modernisierung<br />
durch Atatürk die cosmopolite Elite in den<br />
westlichen Städten wie Istanbul und Izmir<br />
überzeugt habe, nicht aber die nach wie vor<br />
eher konservative und sehr religiöse Mehrheit<br />
der Menschen auf dem Land. Mit deren<br />
Emanzipation von ihren Bürgermeistern und<br />
Großgrundbesitzern und auch der Verbesserung<br />
ihrer wirtschaftlichen Situation setzt<br />
sich jetzt über durchaus demokratische Wahlen<br />
ihre politische-gesellschaftliche Meinung<br />
durch und führt eben zu einer änderung der<br />
Machtverhältnisse. Das zeigt sich beispielsweise<br />
darin, dass seit einigen Monaten Frauen<br />
verschleiert auf die Uni dürfen. Aber auch<br />
darin, dass die Türkei in islamischen Ländern<br />
ernst genommen wird und einen gangbaren<br />
Gegenentwurf zu islamischen Staatsformen<br />
darstellt, der bspw. auch von der Muslimbrüderschaft<br />
in ägypten ernst genommen werden<br />
muss. Und auch dazu, dass die politische<br />
Bedeutung des Militärs, die genauso alt<br />
ist wie die Republik selbst, vor kurzem stark<br />
beschnitten wurde und damit letztendlich<br />
demokratische Elemente gestärkt wurden.<br />
Laut offiziellen Statements von Premierminister<br />
Erdogan ist er ein gläubiger Moslem,<br />
der einen säkularen Staat führt. Eingefleischte<br />
Kemalisten machen sich trotzdem Sorgen<br />
um die säkulare Zukunft ihrer Republik.<br />
Gefahr droht zurzeit von innen: Die PKK hat<br />
angekündigt, ihre Angriffe zu verstärken, die<br />
Regierung, zurück zu schlagen. Kommt da<br />
ein blutiger Herbst? Es ist unmöglich Orte zu<br />
meiden, an denen Menschenmengen sind;<br />
ganz Istanbul ist so ein Ort.<br />
Neulich war ich abends zum Essen eingeladen,<br />
von einem Freund meines Türkischleh-<br />
rers. Er wohnt etwas außerhalb. Als ich ihn<br />
um 22 Uhr frage, ob er mich wieder an die<br />
Metro-Station fahren kann, sagt er schlicht<br />
nein. Dafür sei es für eine Frau zu spät. Ich<br />
könne bei ihm übernachten. Mein Freiheitsbedürfnis<br />
hatte heftig zu kämpfen, aber als<br />
Gast akzeptiere ich – sicher bis zum Anschlag.<br />
Bonjour, Goedemorgen, Good morning<br />
und Dia dhuit ar maidin<br />
Viele liebe Grüße aus Belgien, den Niederlanden<br />
und Irland und anbei ein paar Impressionen<br />
meiner kleinen Europatour.<br />
3 Länder, 3 Städte, 4 Sprachen und unendlich<br />
viele neue Eindrücke !<br />
Brüssel – Hauptstadt Europas, Grand Place,<br />
Eurpoaviertel, Moules Frites, Atomium, Manneken<br />
Pis, Jugendstil und ebenso sündhaft teure<br />
wie leckere Pralinen.<br />
Den Haag – Internationaler Gerichtshof und<br />
internationale Konferenz, Raad voor de Rechtspraak,<br />
Sektempfang beim Bürgermeister, Sonnenuntergang<br />
am Strand und Hummeressen.<br />
Dublin – Four Courts, Temple Bar, Dublin Castle, Kultur und Kunst, aber eben auch<br />
Guinness und Kilkenny sowie im Hintergrund fiddle, tin whistle und brodhrán.<br />
86 87<br />
MARCO<br />
Marco Frauhammer, ENCJ,<br />
Brüssel und Courts Service<br />
Ireland, Dublin