Urbane Immobilienmärkte und ökonomische Theorien der ...

empirisch bestimmbar zu sein. Und dieses Verhältnis ist bestimmt durch ein arbeitsloses
Einkommen, was äußerst relevante Konsequenzen für den gesamtgesellschaftlichen Prozess
der Kapitalakkumulation haben, die ohne einen Begriff von Grundrente nicht zu
entdecken sind. Denn:
„Jagt alles Kapital nur noch der Grundrente nach und wird nichts mehr in die Produktion investiert,
dann wird folglich auch kein Wert mehr produziert, aus dem sich die Transferleistungen –
Grundrente – schöpfen lassen.“ (Harvey 1974)
Dieses Problem soll hier zunächst nur angedeutet werden, es wird weiter unten noch zentral
für die Argumentation werden 14 . Zunächst wird der Frage nachgegangen, ob sich die
Kategorie der Grundrente weiter differenzieren lässt und ob es objektive Bestimmungsgründe
für ihre Höhe gibt.
Harvey hält die Überlegungen von Marx zum Boden und zur Grundrente insgesamt für
widersprüchlich und inkonsistent. So basiert Marx' Spätwerk etwa auf einer zwei-Klassen-
Theorie, in der sich Bourgeoisie und Proletariat antagonistisch gegenüber stehen 15 . Teilweise
aber taucht auch im Kapital plötzlich und theoretisch unvermittelt eine dritte Klasse auf,
die der Grundeigentümer. Dies resultiert im Wesentlichen daraus, dass Marx der
Überzeugung war, dass die gesellschaftliche Dynamik auf die Zerstörung vorkapitalistischer
gesellschaftlicher Verhältnisse – und damit auch des feudalen Grundeigentums –
und deren Subsumption unter das Wertgesetz hinaus läuft. Er nahm also an, dass sich im
Prozess der Durchsetzung kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse Grund und Boden aus
traditionellen, feudalistischen Verhältnissen lösen und zu einer normalen Ware und Wertanlageform
werden. Ein nicht kapitalkonformes Grundeigentum sah Marx also als gesellschaftlichen
Anachronismus und die Grundrente als zwar existierende, aber im entfalteten
Kapitalismus kaum mehr relevante Größe an. Mehr als hundert Jahre später zeigt die empirische
Erfahrung aber, dass feudalistische Elemente bspw. in 3.-Welt Gesellschaften häufig
sehr gut im Kapitalismus überleben können und damit etwa auch Formen einer pseudofeudalen
Grundeigentümerklasse 16 . Marx' Annahme einer Entwicklung des Kapitalismus zu
seiner „reinen Form“ hin, lässt sich also nicht ohne Einschränkungen aufrechterhalten.
Im Folgenden wird sich daher an Harveys Versuchen orientiert, das theoretisch-kategoriale
Chaos, das Marx zum Gegenstand der Grundrente hinterlassen hat, zu lichten. Da Harveys
Überlegungen Marx mehr als hundert Jahre historische Erfahrung voraus haben, wird
dies für fruchtbarer gehalten, als auf Marx selbst zurück zu gehen. Allerdings soll hier nur
auf zwei Hauptformen der Grundrente eingegangen werden, die Monopolrente und die Differenzialrente,
die absolute Rente wird ausgelassen. Anzumerken ist ebenfalls, dass die
Theorien zur Grundrente zunächst an landwirtschaftlichen Nutzungen entwickelt wurden.
14 Ein aktuelles Beispiel soll hier aber angesprochen werden: der Fall Karstadt. Unter seinem Vorsitzenden
Middelhoff hatte der Arcandor-Konzern Mitte der '00er-Jahre seine Immobilien verkauft, angeblich um in
ihnen gebundenes Kapital liquide zu machen und es für Investitionen nutzen zu können. Der Verkauf erfolgte
an ein Konsortium, dem Middelhoff führend angehörte, er trat also sowohl als Verkäufer, wie als
Käufer auf. Der Zusammenbruch Karstadts wurde nun davon ausgelöst, dass Karstadt nicht in der Lage
war, die Mieten für seine gerade verkauften Immobilien zu zahlen. Die Grundrente fraß also den mit dem
Einzelhandelsgeschäft erwirtschafteten Mehrwert auf, das Unternehmen musste Konkurs anmelden. In
derartiger Weise kann die Abschöpfung von Grundrente in Widerspruch zur Kapitalakkumulation treten
und diese be- oder sogar verhindern.
15 In Marx Frühwerk ist das noch nicht so. In den Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten von 1844
etwa, in denen Marx seine Kritik der kapitalistischen Gesellschaft noch an Hegels Begriff der Entfremdung
aufhängt, hat die feudale Klasse der Grundeigentümer noch einen zentralen Stellenwert. Vgl.: Marx
1968, 465-590.
16 Derartige pseudofeudale existieren bspw. bei Krui an der südwestlichen Küste Sumatras, in der Provinz
Palembang. Landbesitz, Wald- und Fischereirechte sind dort in der Hand weniger Grundbesitzer konzentriert
und paternalistische Pachtverhältnisse zwischen Grundeigentümern und Transmigrasi-Immigranten
regulieren die Nutzung dieser Produktionsmittel (Quelle: eigene Beobachtung 2009).
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