28.09.2015 Views

WEATHER STATIONS

1YKnvvf

1YKnvvf

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

um aufs Wasser zu blicken und nachzudenken<br />

über den Sinn von Gedichten, diese drei erbarmungswürdigen<br />

leeren Plastikbehälter treiben für<br />

Wochen von der Eisenbahnbrücke bis<br />

ins brackige Elbwasser zwischen<br />

St. Pauli, Finkenwerder und<br />

Glückstadt. Ihr Plastik, gegossen,<br />

geformt, ausgestanzt und verleimt etwa in<br />

einer Fabrik in Hangzhou, ehe es mit Millionen<br />

baugleicher milchweißer Kanister an Bord eines<br />

Containergiganten nach Hamburg verschifft wurde,<br />

benötigt, ohne zerrieben zu werden, an die 850 Jahre,<br />

bis es sich zersetzt und von der Erdoberfläche verschwindet,<br />

so lange, wie mitten in Hamburg jetzt schon die beiden<br />

Alsterseen liegen. Obgleich für Plastik wohl<br />

dasselbe gilt wie für die Seele. Ein<br />

endgültiges Verschwinden,<br />

nein, das gibt es nie.<br />

Arne Rautenberg aus Kiel<br />

verwandelt mit einem Gedicht<br />

in seinem Band „Seltene Erden“<br />

die Plastikverseuchung der Meere<br />

in Kunst, und zwar in seine, wofür<br />

er sich bedankt (bei den Gezeiten, der<br />

Wellenbewegung und dem UV-Licht, aber<br />

auch bei Plankton und den großen Meereswirbeln),<br />

dafür, ein Künstler zu sein, der alle<br />

Kontinente umspielen dürfe. Es lebe die Kunst.<br />

Es lebe die einzig ewigbeglückende künstlerische<br />

Freiheit! Das heißt auch, alles will Kunst sein,<br />

so wie alles, was irgend lebt, frei ist. Plastik<br />

war im Jahr 1800 für Friedrich von Hardenberg, der<br />

sich Novalis nannte, der Neuland Rodende, ein Begriff<br />

der Ästhetik, als er schrieb, Musik, Plastik und Poesie<br />

seien unzertrennliche Elemente, seien in jedem freien<br />

Kunstwesen zusammen und nur nach Beschaffenheit<br />

in verschiedenen Verhältnissen vereinigt.<br />

Novalis fasste diesen Gedanken<br />

im Burgenländischen, in Weißenfels<br />

an der Saale, die mit der Mulde, der Müglitz<br />

und der Vereinigten Weißeritz ein Flussland bildet,<br />

das er liebte und wo er sein ganzes Leben verbrachte.<br />

Alle vier Flüsse münden in den Elbestrom, und so,<br />

bei Barby, auch die Saale, in der Novalis<br />

als Junge schwimmen ging, nackt<br />

und oft bis tief in die Nacht.<br />

Zeitlebens hat Hardenberg<br />

kein einziges Mal etwas aus Kunststoff<br />

in Händen gehalten. Kein Wunder! Es gab ja<br />

nichts aus Plastik, nicht den Haarreif eines winzig-<br />

166 WETTERSTATIONEN: KLIMAWANDEL SCHREIBEN

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!