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und warte nur darauf, beim ersten Einschnitt der Säge zu stürzen. Stattdessen blieb er<br />

einfach stehen, nachdem ich den zweiten Keil ausgeschnitten hatte, obwohl zwischen<br />

Stamm und Stumpf nicht mehr als fünf Zentimeter Holz waren. Ich schaute in die Äste<br />

hinauf, seinem Gewicht misstrauend, aber überrascht und mit neuem Respekt dafür, wie<br />

wohl geformt dieses Ding war. Zehn Meter hoch, mit asymmetrischen Zweigen und doch<br />

so präzise ausbalanciert, dass es aufrecht blieb auf einem Sockel, der nur wenig dicker<br />

war als der Rand meiner Hand. Der Baum hatte Jahrzehnte gebraucht, um diese Größe<br />

zu erreichen, bei jeder Art von Wetter, und sogar jetzt, da alles Leben aus ihm gewichen<br />

war, war er immer noch kräftiger, als ich es ihm zugetraut hätte.<br />

Aus dem Augenwinkel konnte ich meine beiden kleinen Mädchen am Fenster warten<br />

sehen. Ich legte eine Hand an den Stamm und schob. Und der Baum stürzte um und fiel<br />

mit einem weichen dumpfen Schlag auf den sumpfigen Rasen. Von draußen konnte ich<br />

meine Töchter nicht hören, aber meine Frau erzählte mir später, sie hätte die Mädchen<br />

noch nie so laut lachen gehört.<br />

Papa hat den Baum mit einer Hand umgestoßen.<br />

Ich löste die Seile und begann, den Baum in Holzscheite und Stöcklein zu zerlegen.<br />

Ich legte sie in eine Reihe neben der Garagenwand, damit sie eine Zeitlang ablagern<br />

konnten, die dünneren Zweige auf ein Gestell gestapelt, das ich beim Zaun angefertigt<br />

hatte und die Zweige in Bündeln auf einen Haufen geworfen, um sie später als Kleinholz<br />

verwenden zu können.<br />

Wir zünden nur abends ein Feuer an, sodass es drei bis vier Stunden lang brennt,<br />

bevor wir es erlöschen lassen. Dieser Baum hatte mehr als zehn Jahre zum Wachsen<br />

gebraucht, und wir hatten sein gesamtes Holz in ungefähr zwei Wochen verheizt. Ich<br />

dachte viel darüber nach — ganz allgemein über die Idee, Material zum Erzeugen<br />

von Wärme und Energie zu verbrennen. Und das ist, was wir tun; obwohl uns andere,<br />

grenzenlose Energiequellen zur Verfügung stehen, verbrennen wir weiterhin innerhalb<br />

weniger Stunden etwas, das Jahre, Jahrhunderte oder Jahrtausende zu seiner Entstehung<br />

benötigte.<br />

Als Gattung setzen wir quasi unser Haus in Brand, um uns warm zu halten. Ganz<br />

langsam äschern wir die Erde ein, auf der wir leben. Ich liebe ein gutes Feuer, aber ich<br />

vermisse den Baum.<br />

Übersetzt von Christine O‘Neill<br />

EINÄSCHERUNG<br />

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