Forschung Migration und Gesundheit im Rah - Bundesamt für ...
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Wiedl 2001: 18). Unsere 9 Interviewpartnerinnen <strong>und</strong> 11 Interviewpartner<br />
fanden wir über bestehende Kontakte <strong>und</strong> nach<br />
dem Schneeballprinzip. Wir führten mit ihnen Gespräche, je<br />
nach Wunsch auf Deutsch, Französisch oder Englisch. Die Gespräche<br />
strukturierten wir mithilfe eines Leitfadens, zeichneten<br />
sie mit Einwilligung der GesprächspartnerInnen auf, transkribierten<br />
sie anschliessend <strong>und</strong> werteten sie mit dem Datenanalyseprogramm<br />
MAXqda2 aus. Die erhobenen Daten wurden<br />
laufend <strong>im</strong> Team verglichen, diskutiert <strong>und</strong> kritisch reflektiert.<br />
Diese intensive Teaminteraktion half uns, in relativ kurzer Zeit ein<br />
vorläufiges Verständnis <strong>für</strong> das Ges<strong>und</strong>sein in der <strong>Migration</strong> aus<br />
der Innensicht der von uns gewählten Untersuchungsgruppe zu<br />
entwickeln.<br />
Um die Aussagekraft dieser Fallstudien zu überprüfen <strong>und</strong> gleichzeitig<br />
die Zielgruppe verstärkt in das Projekt einzubeziehen, weiteten<br />
wir anschliessend unser Projekt aus. Aufgr<strong>und</strong> unserer Erkenntnisse<br />
erarbeiteten wir ein Participatory Rapid Assessment<br />
(PRA) <strong>für</strong> den Themenbereich «Ges<strong>und</strong>sein in der <strong>Migration</strong>»<br />
mit 5 Visualisierungsinstrumenten, die sich <strong>für</strong> die Gruppen- <strong>und</strong><br />
Einzelarbeit eignen (Ges<strong>und</strong>heitskurve, Bausteine der Ges<strong>und</strong>heit,<br />
wichtige Aspekte der Lebenswelt, Beziehungsnetz, Ges<strong>und</strong>heitshandeln).<br />
Wir suchten in Bern, Biel <strong>und</strong> Genf Kontakt<br />
zu dort lebenden AfrikanerInnen <strong>und</strong> testeten diese Instrumente<br />
in 5 Gruppentreffen mit insgesamt 16 Männern <strong>und</strong> 3 Frauen.<br />
Die <strong>im</strong> Folgenden präsentierten Resultate stammen aus den<br />
explorativen 20 Fallstudien, welche weitgehend durch die nachfolgende<br />
PRA-Untersuchung bestätigt wurden. Die interviewten<br />
Personen stammen aus 13 Ländern südlich der Sahara <strong>und</strong> leben<br />
seit 3 bis 35 Jahren in der Schweiz. Altersmässig liegen sie – mit<br />
einer Ausnahme – nicht weit auseinander <strong>und</strong> sind zwischen 30<br />
<strong>und</strong> 45 Jahre alt. Die meisten lebten in ihren He<strong>im</strong>atländern in<br />
einem städtischen Umfeld, haben eine höhere Schulbildung <strong>und</strong><br />
mussten in der <strong>Migration</strong> einen beruflichen Abstieg hinnehmen.<br />
Ihre <strong>Migration</strong>sgründe sind unterschiedlich (Flucht, Begleitung<br />
des Ehepartners, Arbeitssuche, Heirat).<br />
3 Resultate<br />
3.1 Ges<strong>und</strong>heitskonzepte<br />
Die Analyse der Gespräche ergab, dass die befragten Frauen<br />
<strong>und</strong> Männer über mehrd<strong>im</strong>ensionale Ges<strong>und</strong>heitskonzepte verfügen:<br />
Sie gingen – wenn auch in je unterschiedlicher Weise –<br />
sowohl auf körperliche, psychische, soziale als auch auf religiöse<br />
Aspekte der Ges<strong>und</strong>heit ein. Ges<strong>und</strong>heit erkennt man bei anderen<br />
Menschen an ihrem Verhalten <strong>und</strong> ihrem Gesichtsausdruck,<br />
bei sich selber vor allem daran, dass man den Lebensalltag mit<br />
seinen Herausforderungen gut meistern kann <strong>und</strong> Zufriedenheit<br />
spürt. Die Interviewten erlebten Ges<strong>und</strong>heit ferner als etwas Dynamisches,<br />
als ein Auf <strong>und</strong> Ab, das eng an die eigene Biografie<br />
geb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> durch die Lebensbedingungen <strong>und</strong> deren Veränderungen<br />
beeinflusst wird.<br />
Für die meisten der von uns Interviewten hat Ges<strong>und</strong>heit seit<br />
der <strong>Migration</strong> eine neue Bedeutung erhalten. Ges<strong>und</strong>heit stellt<br />
die Gr<strong>und</strong>lage <strong>für</strong> eine erfolgreiche Umsetzung ihres <strong>Migration</strong>sprojektes<br />
dar. Sie haben Angst davor, krank zu werden.<br />
Kranksein kostet Geld, kann zu einem Arbeitsausfall <strong>und</strong> damit<br />
zu einem verminderten Einkommen führen. Verliert jemand gar<br />
aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen seine Arbeit, so geht oft auch die<br />
Arbeits- <strong>und</strong> Aufenthaltsbewilligung verloren.<br />
3.2 Ges<strong>und</strong>heitsprobleme in der <strong>Migration</strong><br />
Die meisten resilienten Frauen <strong>und</strong> Männer haben bei sich<br />
selbst eine Verschlechterung der Ges<strong>und</strong>heit seit Ankunft in<br />
der Schweiz festgestellt. Zwar gibt es keine tropischen Krankheiten<br />
wie die, die ihnen in Afrika zu schaffen machten. Auch<br />
sind hier Hygiene, Zugang zu Informationen über Krankheiten<br />
sowie Behandlungsmöglichkeiten viel besser als in ihrem jeweiligen<br />
Herkunftsland. Ausser von körperlichen Krankheiten<br />
(vor allem Grippe <strong>und</strong> Erkältungen) erzählen sie aber von verschiedenen<br />
Problemen, mit denen sie in der Schweiz konfrontiert<br />
sind <strong>und</strong> die sie als eigentliche Ges<strong>und</strong>heitsprobleme<br />
wahrnehmen.<br />
In ihren Schilderungen verwenden sie häufig den Begriff<br />
«Stress». Dieses Krankheitskonzept haben sie sich <strong>im</strong> Kontakt<br />
mit Europa angeeignet, <strong>und</strong> heute ist es Teil ihrer Alltagssprache<br />
<strong>und</strong> somit ihrer Konstruktion der Lebenswelt. Mit der Metapher<br />
Stress werden oft diffuse Gefühle <strong>und</strong> unterschiedliche<br />
Empfindungen von Unwohlsein zusammengefasst. Stress<br />
wird einerseits mit einem schnelleren Tempo, mit Hetze <strong>und</strong><br />
einer stärkeren Reglementierung des Lebens in Verbindung<br />
gebracht. Anderseits wird der Begriff auch <strong>für</strong> die Beschreibung<br />
von Sorgen <strong>und</strong> Problemen verwendet, mit denen man<br />
<strong>im</strong> Alltag konfrontiert ist. Die Analyse der Interviews zeigte,<br />
dass Stress vor allem in nahen sozialen Beziehungen, r<strong>und</strong> um<br />
die Arbeit <strong>und</strong> bei rassistischen Diskr<strong>im</strong>inierungen erlebt wird.<br />
Stress kann gemäss den Interviewten zu grossen Belastungen<br />
<strong>und</strong> oft sogar zu Krankheiten führen (z.B. Depressionen, psychosomatische<br />
Leiden). Die uns erzählten Krankheitserfahrungen<br />
in der Schweiz – abgesehen von Grippe <strong>und</strong> Erkältungen<br />
– stehen in Zusammenhang mit erlebtem Stress in diesen drei<br />
Lebensbereichen.<br />
Bei den nahen sozialen Beziehungen spielen Partnerschaft<br />
<strong>und</strong> Familie eine besonders wichtige Rolle. Viele Interviewte<br />
berichten von schwierigen bzw. gescheiterten Partnerschaften<br />
sowie Gewalt in der Partnerschaft, <strong>und</strong> einige vermissen auch<br />
ihre Herkunftsfamilien. Bezüglich der Arbeitssituation reicht<br />
das Spektrum von Arbeitslosigkeit über unterqualifizierte Jobs<br />
bis hin zu Überforderung durch zu viel Arbeit oder Ausbeutung.<br />
Rassistische Diskr<strong>im</strong>inierung durch ArbeitskollegInnen<br />
oder K<strong>und</strong>en, Unbekannte auf der Strasse <strong>und</strong> Behörden stellen<br />
gesellschaftliche Belastungen dar.<br />
3.3 Ges<strong>und</strong>heit als Aufgabe<br />
Alle Frauen <strong>und</strong> Männer anerkennen, dass sie persönlich Einfluss<br />
auf ihre Ges<strong>und</strong>heit nehmen können, <strong>und</strong> erzählen von<br />
Lebensereignissen, bei denen sie gewisse Verhalten verändert<br />
haben. Ihre Erfahrung hat ihnen ihre Handlungsfähigkeit aufgezeigt,<br />
<strong>und</strong> das gibt Mut.<br />
Alle Befragten sprachen davon, dass gute soziale Beziehungen<br />
wichtig sind, um ges<strong>und</strong> bleiben zu können. Dabei steht die<br />
Partnerschaft <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong>. Liebe, Verständnis <strong>und</strong> die Bereitschaft<br />
zur Kommunikation werden als wichtige Eigenschaften<br />
in der Partnerschaft betont. Daneben ist es wichtig, eine eigene<br />
Familie mit Kindern zu haben. Praktisch alle Interviewten sind<br />
zudem in verschiedenen sozialen, politischen oder religiösen<br />
Gruppen oder Organisationen aktiv. Ein Zusammenhang zwischen<br />
persönlichem sozialem Engagement <strong>und</strong> der eigenen<br />
ges<strong>und</strong>heitlichen Befindlichkeit wird häufig hergestellt. Das Aufrechterhalten<br />
von Kontakten zu Fre<strong>und</strong>Innen, NachbarInnen <strong>und</strong><br />
Verwandten in der Schweiz, <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland oder anderswo wird<br />
betont; dabei spielen Telefon <strong>und</strong> Internet eine zentrale Rolle.<br />
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