Forschung Migration und Gesundheit im Rah - Bundesamt für ...
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5 Empfehlungen<br />
Zu den in unserer Studie herausgearbeiteten Ges<strong>und</strong>heitsproblemen<br />
in der <strong>Migration</strong> sollten weiterführende vertiefte Reflexionen<br />
unternommen werden, damit handlungsrelevante Aktionsfelder<br />
breiter ausgelegt <strong>und</strong> priorisiert werden könnten.<br />
Für die ges<strong>und</strong>heitsfördernde <strong>Forschung</strong> <strong>und</strong> Praxis bietet<br />
sich Stress als ein Schwerpunkt an. Zukünftige <strong>Forschung</strong>en<br />
zum Thema Stress sollten auch eine Lebensweltorientierung<br />
in Betracht ziehen <strong>und</strong> migrationsspezifische Fragen speziell<br />
berücksichtigen. Neu ist nicht, dass <strong>Migration</strong> Stress verursacht,<br />
sondern dass diese Erkenntnis betroffenen Menschen<br />
helfen kann, besser mit ihrer Situation umzugehen. Innovative<br />
<strong>Forschung</strong>en sollten Widerstandskräfte untersuchen, die über<br />
das Konzept von Stress offenbar mobilisiert werden können<br />
<strong>und</strong> sich (auch) <strong>im</strong> <strong>Migration</strong>salltag bewähren.<br />
Sowohl in den Einzelinterviews wie <strong>im</strong> PRA machten wir die<br />
Erfahrung, dass resiliente Personen nicht nur über ihr eigenes<br />
Ges<strong>und</strong>bleiben reflektieren <strong>und</strong> diskutieren, sondern auch<br />
mehr über Lebenskompetenzen <strong>und</strong> Fähigkeiten zur Bewältigung<br />
von Stress lernen wollen. Diese Neugier widerspiegelt<br />
nicht nur Eigeninteressen; viele der resilienten Personen sind,<br />
wenn auch eher informell, bereits als InformationsvermittlerInnen<br />
<strong>und</strong> BeraterInnen in ihren Gemeinschaften tätig. Ihre<br />
Vorbildfunktion sollte gezielt weiter gestärkt werden, denn<br />
sie kennen nicht nur viele Aspekte der Lebenswelt von Eingewanderten<br />
aus eigener Anschauung, sondern sie können<br />
auch überzeugend auftreten, weil sie schwierige Situationen<br />
gemeistert haben. Je mehr Kompetenzen sie entwickeln, desto<br />
mehr können sie weitergeben.<br />
Das Erklärungsmodell Stress hat nicht nur grosses Potenzial in<br />
der Selbsthilfe auf individueller <strong>und</strong> gemeinschaftlicher Ebene,<br />
es kann auch eine Brücke zwischen dem Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Sozialwesen<br />
<strong>und</strong> den Eingewanderten bilden. Gerade weil Stress<br />
sowohl bei Laien als auch bei ExpertInnen ein populäres Krankheitsbild<br />
darstellt, eignet er sich als Fokus <strong>für</strong> einen Dialog.<br />
Über das Krankheitsbild Stress lässt sich eine gemeinsame –<br />
Kulturalisierungen vermeidende – Sprache entwickeln <strong>und</strong> lassen<br />
sich materielle sowie <strong>im</strong>materielle Ressourcen auf beiden<br />
Seiten mobilisieren. Auf diese Weise könnte auch einem Teil<br />
jener PatientInnen geholfen werden, die unter psychosomatischen<br />
Beschwerden leiden.<br />
Auf der Policy-Ebene sollten die Anstrengungen zur Verbesserung<br />
der Chancengleichheit, auch <strong>im</strong> Bereich Ges<strong>und</strong>heitsförderung,<br />
unbedingt weitergeführt werden. Zudem sollten<br />
Massnahmen zum Abbau sozialer Ungleichheit (v.a. <strong>im</strong> Bereich<br />
beruflicher <strong>und</strong> rassistischer Diskr<strong>im</strong>inierung) getroffen<br />
werden. Dadurch würde ein <strong>Rah</strong>men geschaffen, in dem sich<br />
die oft zitierte «salutogenetische Wirksamkeit entfalten» (Marschalck<br />
<strong>und</strong> Wiedl 2001: 18) kann.<br />
52<br />
6 Referenzen<br />
Boger, Julia, 2004: Ges<strong>und</strong>heit in der «Fremde» – Ges<strong>und</strong>heitsvorstellungen<br />
afrikanischer Frauen <strong>und</strong> Männer <strong>im</strong> <strong>Migration</strong>skontext.<br />
Mainz: Institut <strong>für</strong> Ethnologie <strong>und</strong> Afrikastudien<br />
der Johannes Gutenberg Universität, Arbeitspapiere Nr. 37.<br />
Duetz Schmucki, Margreet, <strong>und</strong> Thomas Abel, 2003: Ges<strong>und</strong>heitskonzepte<br />
<strong>im</strong> intra-nationalen Vergleich: empirische<br />
Explorationen zwischen der West- <strong>und</strong> der Deutschschweiz.<br />
S.155-173 in: Pasqualina Perrig-Chiello <strong>und</strong> François Höpflinger<br />
(Hg.), Ges<strong>und</strong>heitsbiographien. Bern: Hans Huber.<br />
Fröhlicher-Stines, Carmel, <strong>und</strong> Kelechi Monika Mennel,<br />
2004: Schwarze Menschen in der Schweiz. Ein Leben zwischen<br />
Integration <strong>und</strong> Diskr<strong>im</strong>ination. Bern: Eidgenössische<br />
Kommission gegen Rassismus.<br />
Habermas, Jürgen, 1981: Theorie des kommunikativen<br />
Handelns. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.<br />
Marschalck, Peter, <strong>und</strong> Karl Heinz Wiedl, 2001: <strong>Migration</strong>,<br />
Krankheit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit: Probleme der <strong>Forschung</strong>, Probleme<br />
der Versorgung – eine Einführung. S. 9-34 in: Peter Marschalck<br />
<strong>und</strong> Karl Heinz Wiedl (Hg.), <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Krankheit. Osnabrück:<br />
Universitätsverlag Rasch.<br />
Ossipow, Laurence, <strong>und</strong> Letizia Toscani, 2006: Vulnérabilité,<br />
héroisation et résilience: l’exemple de quinze récits recueillis à<br />
Genève en policlinique de médecine communautaire. S. 48-66<br />
in: Piet van Eeuwijk <strong>und</strong> Brigit Obrist (Hg.), Medizinethnologie<br />
<strong>im</strong> Spannungsfeld von Theorie <strong>und</strong> Praxis. Anthropologie médicale<br />
entre théorie et pratique. Zürich: Seismo Verlag.<br />
Pourgholam-Ernst, Azra, 2002: Das Ges<strong>und</strong>heitserleben von<br />
Frauen aus verschiedenen Kulturen. Münster: Telos Verlag.<br />
Schütz, Alfred, 1932: Der sinnhafte Aufbau der sozialen<br />
Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie. Wien:<br />
Springer.<br />
Verwey, Martine, 2006: Vulnerabilität <strong>und</strong> Spannkraft. Perspektiven<br />
der Ges<strong>und</strong>heitsförderung traumatisierter Gewaltflüchtlinge.<br />
S. 67-96 in: Piet van Eeuwijk <strong>und</strong> Brigit Obrist<br />
(Hg.), Medizinethnologie <strong>im</strong> Spannungsfeld von Theorie <strong>und</strong><br />
Praxis. Anthropologie médicale entre théorie et pratique. Zürich:<br />
Seismo Verlag.<br />
Weiss, Regula, 2003: Macht <strong>Migration</strong> krank? Zürich: Seismo<br />
Verlag.<br />
Widmer, Lorenz, 2005: Chômage et population étrangère. S.<br />
39-70 in: Werner Haug <strong>und</strong> Philippe Wanner (Hg.), Migrants et<br />
marché du travail. Neuchâtel: Office fédéral de la statistique.