Forschung Migration und Gesundheit im Rah - Bundesamt für ...
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Auch regelmässige Reisen ins He<strong>im</strong>atland <strong>und</strong> Besuche bei der<br />
Herkunftsfamilie sind <strong>für</strong> das emotionale Wohlbefinden wichtig.<br />
Kontakte zur Herkunftsfamilie sollten möglichst aufrechterhalten<br />
<strong>und</strong> Verpflichtungen – besonders den leiblichen Eltern (<strong>und</strong> insbesondere<br />
der Mutter) gegenüber – wahrgenommen werden.<br />
Arbeiten ist <strong>für</strong> die Ges<strong>und</strong>heit wichtig. Auffallend ist, wie viele<br />
Personen durch eine Aus- oder Weiterbildung ihre Chancen auf<br />
dem Arbeitsmarkt zu verbessern suchen. Nicht <strong>im</strong>mer reicht das<br />
Erwerbseinkommen da<strong>für</strong> aus (meist höhere Schulbeiträge <strong>für</strong><br />
AusländerInnen), <strong>und</strong> oft helfen EhepartnerInnen oder Familienangehörige<br />
bei der Finanzierung.<br />
Glaube <strong>und</strong> religiöse Aktivitäten sind <strong>im</strong> Alltagsleben fest verankert.<br />
Fast alle – egal welcher Religionszugehörigkeit – praktizieren<br />
ihren Glauben, sei es bei sich zu Hause oder be<strong>im</strong> regelmässigen<br />
Besuch eines Gebetshauses, einer Kirche oder Moschee.<br />
Einige sind auch aktiv engagiert in ihrer Religionsgemeinschaft.<br />
Um Ges<strong>und</strong>heit aufzubauen, sie zu schützen oder verlorene Ges<strong>und</strong>heit<br />
wiederzuerlangen, werden verschiedene religiöse Aktivitäten<br />
ausgeführt.<br />
Ernährung wird vor allem in Bezug auf die körperliche Ges<strong>und</strong>heit<br />
als ein Schlüsselfaktor betrachtet. Die Fülle von Lebensmitteln<br />
<strong>und</strong> die Verschiedenheit des Angebots bereiten aber den<br />
meisten Personen vor allem in der Anfangszeit Orientierungsprobleme.<br />
Best<strong>im</strong>mte Nahrungsmittel aus der Kindheit sind oft<br />
<strong>für</strong> eine Person auch heute noch wichtig. Mit ihnen werden he<strong>im</strong>atliche<br />
Gefühle verb<strong>und</strong>en.<br />
In ihrer He<strong>im</strong>at war Bewegung mit den Alltagsaktivitäten eng<br />
verb<strong>und</strong>en. Aus Zeitmangel können einige hier kaum Sport treiben,<br />
andere sehen ihre körperlich anstrengende Tätigkeit (z.B.<br />
Putzen) als Sport. Von mehreren wird körperliche Bewegung als<br />
Antistressmittel empf<strong>und</strong>en.<br />
Der jährliche Ges<strong>und</strong>heitscheck wird von vielen als eine Selbstverständlichkeit<br />
betrachtet. Andere gehen aus Kostengründen<br />
nur dann zum Arzt, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt.<br />
Das Vertrauen in die Biomedizin ist nicht ungebrochen. Bevor<br />
ein Arzt aufgesucht wird, holt man sich Rat bei PartnerInnen,<br />
Fre<strong>und</strong>Innen <strong>und</strong> Bekannten <strong>und</strong> versucht, sich mit Hausmitteln<br />
selbst zu kurieren.<br />
Bei Konflikten sucht man nach Möglichkeit die Hilfe von älteren<br />
oder jüngeren Vertrauenspersonen aus der Verwandtschaft oder<br />
Bekanntschaft in der Nähe. In Ermangelung solcher KonfliktvermittlerInnen<br />
wurden hiesige Eheberatungsstellen, das Frauenhaus,<br />
aber auch PsychologInnen, PsychiaterInnen oder SozialarbeiterInnen<br />
aufgesucht.<br />
Mit der Schilderung all dieser Aktivitäten wollen die Interviewten<br />
verdeutlichen, wie sie gelernt haben, mit diesem kumulierten<br />
Stress zu leben. Einige betonen zudem, welche Einstellung<br />
ihnen hilft, besser mit Stress umzugehen: Sie versuchen, ihre<br />
Situation zu akzeptieren, wehren sich aber auch <strong>für</strong> ihre Rechte.<br />
Wichtig ist es, mit anderen zu sprechen, nicht allein dahe<strong>im</strong> zu<br />
sitzen <strong>und</strong> über seinen Problemen zu brüten. Sich selbst gesetzte<br />
Ziele zu verfolgen <strong>und</strong> eigene Projekte zu verwirklichen, sind<br />
weitere Elemente, die zu einem guten Wohlbefinden beitragen.<br />
Eine religiöse Haltung ist <strong>für</strong> viele ebenfalls eine Stütze. Dass sie<br />
diese Aktivitäten <strong>und</strong> Einstellungen explizit mit dem Abbau oder<br />
besseren Umgang mit Stress in Verbindung bringen, zeigt klar<br />
auf, dass <strong>für</strong> sie das Erklärungsmodell Stress auch eine Handlungsanleitung<br />
bietet.<br />
50<br />
4 Diskussion<br />
Unsere konsequent salutogenetische Perspektive brachte<br />
mehrere neue Erkenntnisse. Mithilfe einer Lebensweltorientierung<br />
lässt sich das Ges<strong>und</strong>sein – <strong>und</strong> vor allem das Ges<strong>und</strong>bleiben<br />
– aus der Sicht von untersuchten Personen, auch von<br />
MigrantInnen aus Afrika, rekonstruieren.<br />
Die von uns Befragten erleben Ges<strong>und</strong>sein <strong>und</strong> Kranksein in<br />
Auseinandersetzung mit ihrer vielgestaltigen <strong>und</strong> sich verändernden<br />
Umwelt <strong>und</strong> setzen in ihrem Alltag verschiedene<br />
Handlungsansätze um. Dabei folgen sie nicht blind einem<br />
durch ihre Herkunft festgelegten kulturellen Muster. Im Gegenteil,<br />
sie setzen sich aktiv mit ihren körperlichen <strong>und</strong>/oder<br />
emotionalen Erfahrungen vor dem Hintergr<strong>und</strong> der sozialen<br />
Felder ihres Alltags auseinander <strong>und</strong> bauen sich ihren persönlichen<br />
Umgang mit Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Krankheit auf.<br />
Die MigrantInnen aus Afrika verstehen Ges<strong>und</strong>heit mehrd<strong>im</strong>ensional<br />
<strong>und</strong> dynamisch. Sie brachten sowohl körperliche<br />
als auch psychische, soziale <strong>und</strong> ökologische D<strong>im</strong>ensionen<br />
von Ges<strong>und</strong>heit zur Sprache. Duetz Schmucki <strong>und</strong> Abel (2003)<br />
zeigen, dass auch in der Schweizer Bevölkerung ein ähnlich<br />
umfassendes biopsychosoziales Verständnis des Begriffs Ges<strong>und</strong>heit<br />
vorhanden ist. Die meisten der von uns befragten<br />
Frauen <strong>und</strong> Männer betonten jedoch zudem eine spirituell-religiöse<br />
D<strong>im</strong>ension von Ges<strong>und</strong>heit, welche von SchweizerInnen<br />
weder erfragt noch erwähnt wurde.<br />
Ges<strong>und</strong>bleiben steht <strong>für</strong> die Interviewten in einem engen<br />
Zusammenhang mit persönlichen, sozialen <strong>und</strong> materiellen<br />
Ressourcen, die entfaltet bzw. mobilisiert werden müssen,<br />
um mit den Anforderungen der Lebensbedingungen <strong>im</strong> <strong>Migration</strong>salltag<br />
fertig zu werden. Dieses Ges<strong>und</strong>heitsverständnis<br />
bietet viele Ansatzpunkte <strong>für</strong> die Ges<strong>und</strong>heitsförderung.<br />
Gerade weil sich durch die <strong>Migration</strong> viele Lebensbereiche<br />
verändern, geht es vor allem darum, trotzdem ges<strong>und</strong> zu bleiben.<br />
Das Bild einer Ges<strong>und</strong>heitskurve (eines unserer Visualisierungsinstrumente)<br />
fasst dieses Verständnis besonders gut<br />
(siehe Abb. 1). Die Betonung des Ges<strong>und</strong>bleibens drückt eine<br />
salutogenetische Haltung aus. Mit der Orientierung auf resiliente<br />
Eingewanderte konnten wir diese ges<strong>und</strong>heitsfördernde<br />
Ressource aufdecken. Weniger die Ges<strong>und</strong>heit an sich als deren<br />
Wertschätzung <strong>und</strong> daraus abgeleitet das Verständnis von<br />
Ges<strong>und</strong>bleiben als Aufgabe stellen wesentliche Elemente von<br />
Resilienz gegenüber den Belastungen der <strong>Migration</strong> dar.<br />
Insgesamt sehr nahe stehen sich das Erleben von Ges<strong>und</strong>heit<br />
der afrikanischen Eingewanderten in der Schweiz <strong>und</strong> die Sicht<br />
der WHO. Unsere StudienteilnehmerInnen sehen Ges<strong>und</strong>heit<br />
nicht nur als Geschenk (sie nennen sie einen Reichtum), sondern<br />
auch als etwas, das erworben, erhalten <strong>und</strong> beständig<br />
gefördert werden muss (sie sprechen von einer Aufgabe). Wie<br />
ihre Lebensberichte zeigen, haben sie als mündige Menschen<br />
eine aktive Rolle übernommen, sich ges<strong>und</strong>heitsrelevantes<br />
Wissen angeeignet, Lebensgewohnheiten umgestellt <strong>und</strong><br />
sich bemüht, Rückfällen in Altgewohntes vorzubeugen.<br />
Die AfrikanerInnen haben in vieler Hinsicht mit ähnlichen<br />
Schwierigkeiten zu kämpfen wie die SchweizerInnen. Sie haben<br />
Probleme mit PartnerInnen, der Familie, bei der Arbeit<br />
<strong>und</strong> <strong>im</strong> Zusammenhang mit gesellschaftlicher Anerkennung.<br />
Diese Schwierigkeiten manifestieren sich aber zum Teil unterschiedlich,<br />
sie sind vielschichtiger <strong>und</strong> facettenreicher. Oft<br />
sind die AfrikanerInnen – wie viele andere AusländerInnen