Journal asmac No 2 - avril 2024

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Perspectives Tabelle 2. Verbreitung von Zecken in Europa und in der Schweiz Zecke Geografische Verbreitung* Zecken-übertragene Mikroorganismen Amblyomma sp. • Nicht vorkommend in Europa • Diverse Amblyomma sp. in Nord-, Südamerika, Afrika, Asien Dermacentor marginatus («Schafzecke», oder «Frühjahrswaldzecke»): sonnige Waldränder, Trockenwiesen Dermacentor reticulatus («Auwaldzecke»): Feuchtgebiete (Moore, Auwälder), Laubwälder Haemaphysalis inermis («Winterzecke») Hyalomma lusitanicum («Hyalomma- Zecke»): Trocken- und Halbtrockengebiete Hyalomma marginatum («Hyalomma- Zecke»): Trocken- und Halbtrockengebiete Ixodes persulcatus («Taigazecke») Ixodes ricinus («Gemeiner Holzbock»): dichtes Unterholz, Wälder, angrenzende Lichtungen, Gärten, Stadtpärke Ornithodorus (oder Carios) erraticus (« Lederzecke») Rhipicephalus sanguineus (« Braune Hundezecke»): trockene Gebiete • Mittelmeergebiete • Verschiedene Orte in Deutschland • Asien • Schweiz • Nordspanien, Frankreich, Mitteleuropa, Osteuropa • Südeuropa, Frankreich, Balkan, Osteuropa, Türkei • Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Naher Osten, Iran • Iberische Halbinsel, Sardinien, Sizilien • Nordafrika • Schweiz: Tessin • Mittelmeerraum, Osteuropa • z. T. neu auch in Zentral-, Nordeuropa • Nordafrika • Asien, Süden Russlands, Pakistan, Turkmenistan • Finnland, baltische Staaten, Polen • Asien • Schweiz • ganz Europa inkl. Süden und Norden • Anaplasma sp., Ehrlichia sp. • Borrelia sp. • Coxiella burnetii • Francisella tularensis • KKHFV** • Rickettsia sp. • Omsker Hämorrhagisches Fiebervirus • R. conorii • R. slovaca • Babesia sp. • C. burnetii • F. tularensis • FSME Virus** • Omsker Hämorrhagisches Fiebervirus • Rickettsia slovaca • FSME Virus** • R. slovaca • Babesia bovis • KKHFV** • Dhorivirus • FSME Virus** • KKHFV** • R. aeschlimanni • Rickettia sp. • Spanien • Borrelia hispanica • Schweiz: Süden, Ostschweiz • Norddeutschland • Südeuropa, Frankreich, Balkan, Türkei • Nordafrika • A. phagocytophilum • B. afzelii • B. garinii • FSME Virus** • R. helvetica • Viren, diverse (Negishivirus, Uukuniemivirus) • A. phagocytophilum • B. afzelii • B. burgdorferi sensu stricto • B. garinii • B. valaisianaa • Babesia divergens • C. burnetii • F. tularensis • FSME Virus** • KKHFV** • R. helvetica • R. slovaca • Viren, diverse (Louping-ill-Virus, Negishivirus, Uukuniemivirus, Ervevirus, Eyachvirus, Tribecvirus, Lipovnikvirus, Bhanjavirus) • A. phagocytophilum • B. burgdorferi sensu lato • C. burnetii • KKHFV** • R. conorii • R. massiliae • Viren, diverse (Liponvnikvirus) Anmerkungen: * Landkarten: https://www.ecdc.europa.eu/en/disease-vectors/surveillance-and-disease-data/tick-maps; ** FSME, Frühsommer- Meningoenzephalitis Virus; KKHFV, Krim-Kongo-hämorrhagisches Fieber Virus. 56 2/24 vsao /asmac Journal
Perspectives Transmission der Katzenkratzkrankheit via Zecken wird kontrovers beurteilt und ist nicht etabliert [47, 48]. Weitere potentiell humanpathogene Erreger wie Spiroplasma sp. wurden in Europa in Zecken entdeckt [49]. Kasuistiken von Infektionen mit Candidatus N. mikurensis werden zunehmend in der Schweiz, Europa und Asien beschrieben. Das intrazelluläre Bakterium wird durch Ixodes übertragen, wobei bei vielen Fallbeschreibungen ein Zeckenstich nicht eruierbar war. Die Neoehrlichiose scheint vor allem bei immundefizienten Personen zu langandauernden fieberhaften Erkrankungen mit zum Teil vaskulären und thromboembolischen Komplikationen zu führen. Da das Bakterium in Blutkulturen nicht wächst, wird die Infektion wohl oft verpasst. Der Nachweis erfolgt mit molekularen Methoden aus Blutproben, zum Beispiel mittels der bakteriellen breitspektrum-16S-rRNA-Gen- PCR. Mit Doxycyclin kann eine Heilung erzielt werden [50, 51]. Infektionen durch Spiroplasma sp. wurden vereinzelt bei immundefizienten Personen (mit Agammaglobulinämie oder nach Organtransplantation) diagnostiziert, wobei der Übertragungsweg der Infektion meist unklar blieb [52]. Die klinischen Manifestationen waren fieberhafte Zustände, zum Teil mit Hepatitis. Die Therapie mit Doxycyclin und Azithromycin scheint erfolgreich. S. ixodetis wurde in okulären Proben von Neugeborenen mit kongenitalem Katarakt und Uveitis nachgewiesen [49], wobei hier eine direkte Transmission via Zecken unwahrscheinlich erscheint. Differenzialdiagnostische Überlegungen Daran denken … Die Differenzialdiagnose, ob die klinische Präsentation auf eine Zecken-übertragene Infektion hinweisen könnte, beginnt mit dem Darandenken, einer gezielten Anamnese und einer sorgfältigen körperlichen Untersuchung, da – abgesehen vom Erythema migrans – die einzelnen Leitsymptome von Zecken-assoziierten Infektionen unspezifisch sind (Tabelle 3). Die Patienten selber berichten oftmals nicht über eine mögliche Exposition gegenüber Zecken; weniger als 50 % der Infizierten haben einen Zeckenstich wahrgenommen. Die folgenden Hinweise initiieren die differenzialdiagnostischen Überlegungen: 1. Eine Zecken-übertragene Infektion überhaupt in Betracht ziehen! 2. Aufenthalt in Endemiegebieten von Vektoren und Pathogenen (inkl. präzise Reiseanamnese)? 3. Mögliche Exposition gegenüber Zecken? – Anamnestische Fragen zu Beruf, Sport, Freizeitaktivitäten, Mobilität und Reisen können auf eine Exposition hindeuten. 4. Leitsymptome, insbesondere Symptomenkomplexe beziehungsweise «Muster» von Leitsymptomen und Befunden? – zum Beispiel Fieber plus Hautbefunde (Rickettsiosen); Fieber plus Konstellationen von Laborbefunden (Transaminasenerhöhung und Thrombozytopenie bei Anaplasmose und Ehrlichiose); siehe Tabelle 3. 5. Dynamik von klinischen Manifestationen im Krankheitsverlauf? – zum Beispiel «zweigipfliger» Verlauf der FMSE; Fiebermuster bei Zecken-Rückfallfieber. 6. Befunde einer sorgfältigen klinischen Untersuchung, inklusive vollständiges Absuchen der Haut (Suche nach Eschar, Exanthemen, Lymphadenopathie etc.). 7. Immundefizienz oder Grundkrankheit? – Wachsamkeit betreffend atypischen oder schweren, gegebenenfalls foudroyanten und lebensbedrohlichen klinischen Verläufen. 8. Impfstatus? – Impfung gegen FSME. Immundefizienz? Wie bei jeder Differenzialdiagose muss rasch erfasst werden, ob eine Immunsuppression, eine Splenektomie oder eine Grundkrankheit vorliegt, da Zecken-übertragene Infektionen in solchen Situationen schwerer und gar (akut) lebensbedrohlich verlaufen können. In solchen Situationen ist eine schnelle Diagnostik besonders wichtig. Leitsymptome und Krankheitsverläufe im Kontext Die verschiedenen Leitsymptome wie Fieber, Allgemeinsymptome, Haut- oder Organsymptome (Arthritis, Me ningo enzephalitis etc.) und Laborbefunde sind isoliert betrachtet meist unspezifisch. Der Kontext mit der Anamnese, das Auftreten von Symptom- oder Laborkonstellationen oder die Dynamik von Symptomen und Befunden im Krankheitsverlauf ergeben aber oftmals deutliche Hinweise auf eine mögliche Ursache (Tabelle 1). Kenntnisse unterschiedlicher Krankheitsverläufe und klinischer Manifestationen entlang der Zeitachse unterstützen die differenzialdiagnostischen Überlegungen: – Zecken-übertragene Infektionen verlaufen oft wenig symptomatisch oder unspezifisch, zum Beispiel mit Fieber und Allgemeinsymptomen ohne organbezogene Beschwerden oder Befunde (Anaplasmose, Babesiose, Rickettsiosen, virale Infektionen) – Leitsymptome treten aufgrund des zeitlichen Verlaufs einer Erkrankung oftmals nicht in der Saison der Zeckenaktivität auf, wie zum Beispiel die Lyme-Arthritis, die durchschnittlich sechs Monate nach Infektion und somit auch im Winter auftreten kann – der Verlauf ist oft nicht «lehrbuchmässig»: die FSME verläuft nicht immer «zweigipflig», das heisst die meningitische Phase bei FSME kann fehlen oder sie kann unmittelbar – ohne asymptomatische Periode – unmittelbar nach einer initialen Fieberphase auftreten – Manifestationen eines Stadium II oder III der Lyme-Borreliose können ohne vorherige Wahrnehmung früherer Stadien auftreten – zum Zeitpunkt eines Erythema migrans können Fieber und Allgemeinsymptome auftreten: dies kann allein durch eine akute Lyme-Borreliose verursacht sein, aber auch differenzialdiagnostisch auf Zecken-übertragene Koinfektionen hinweisen – Leitsymptome können zum Zeitpunkt der Erstunter suchung bereits wieder verschwunden sein und sollen erfragt werden, wie zum Beispiel flüchtige Exantheme. Der Leitbefund eines Eschar (Rickettsiosen, Tularämie) wird möglicherweise von Patienten nicht berichtet (oder nicht wahrgenommen) und kann nur durch eine sorgfältige und vollständige klinische Untersuchung erfasst werden – Fieber bei Reiserückkehrenden kann auf Zecken-übertragene Rickettsiosen oder Spirochäten-Rückfallfieber hinweisen, welche sich zum Teil als langdauerndes Fieber oder als «fever of unknown origin» präsentieren können – Erkrankungen, die üblicherweise via andere Transmissionswege zur Infektion führen, sollen differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden: Tularämie, möglicherweise Q-Fieber – hämorrhagische Fieber verursachende Virusinfektionen können mild und ohne Petechien oder Blutungskomplikationen verlaufen. Krankheitsverläufe und klinische Manifestationen von spezifischen Infektionen vsao /asmac Journal 2/24 57
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