Corporate Accountability - Nord-Süd-Netz
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Teil II / Globale Rahmenvereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Konzernen – Zwischenbilanz aus Sicht der IUL<br />
Drei zentrale Gründe sind dafür verantwortlich:<br />
1. GRVs sind nicht vollstreckbar, da keine der getroffenen Vereinbarungen auch<br />
nur elementare Verfahren für eine Schlichtung/Vermittlung/Schiedsregelung oder<br />
ähnliches vorsieht.<br />
2. Die Formulierungen sind viel zu allgemein, denn sie stellen üblicherweise<br />
nicht mehr als eine Wiederholung der IAO-Kernarbeitsnormen dar.<br />
3. Das fehlende Mandat produziert ein Defizit in der Rechtfertigung von Abschlüssen<br />
solcher Vereinbarungen. Keine Gewerkschaft würde normalerweise<br />
Verhandlungen mit einem Unternehmen aufnehmen und sich dann für die Ratifizierung<br />
dieser Vereinbarung an eine Gruppe von Arbeitnehmern wenden – in<br />
diesem Fall an die Leitungsorgane der IUL - von denen die meisten überhaupt<br />
keine Verbindung zu dem Unternehmen haben. Der Ausweg aus diesem Dilemma<br />
ist noch nicht gefunden, könnte aber darin bestehen, ein spezielles globales<br />
Gremium in den Unternehmen aufzubauen, wobei dieses Gremium dann den<br />
Gewerkschaftsmitgliedern gegenüber rechenschaftspflichtig sein müsste.<br />
GRV versus CSR<br />
Es gibt aber noch andere, eher theoretische<br />
Probleme mit GRVs. Zunächst<br />
die Gefahr, dass mit ihnen ein Argument<br />
gerechtfertigt wird, das so lautet: „Wer<br />
braucht Vorschriften oder rechtlich verbindliche<br />
Normen, wenn die Dinge auch mit<br />
Hilfe freiwilliger Vorkehrungen wie GRVs<br />
geklärt werden können?“ Das ist eine<br />
ähnliche Gefahr, wie sie alle freiwilligen<br />
Initiativen zur Darstellung der sozialen<br />
Verantwortung der Unternehmen (<strong>Corporate</strong><br />
Social Responsibility - CSR/Code of<br />
Conducts usw.) aufweisen. Es muss daher<br />
stets klar sein, dass nichts eindeutige und<br />
vollstreckbare Vorschriften ersetzen kann,<br />
mit denen Mindestnormen in Bezug auf Arbeitnehmerrechte<br />
festgelegt werden. GRVs<br />
bergen allerdings nicht die zusätzliche<br />
Gefahr vieler Initiativen zur sozialen Verantwortung<br />
der Unternehmen in sich, bei<br />
denen nicht nur die Freiwilligkeit an Stelle<br />
geregelter Rechte tritt, sondern darüber<br />
hinaus die Freiwilligkeit an die Stelle der Fähigkeit<br />
organisierter Arbeitnehmer tritt, für<br />
ihre Rechte zu kämpfen und sicherzustellen,<br />
dass diese Rechte eingehalten werden.<br />
Erhellend ist in diesem Zusammenhang<br />
ein Dokument der International<br />
15 IOE, 2004: International Framework Agreements. An Employers’ Guide. Genf.<br />
Organisation of Employers (IOE) zu International<br />
Framework Agreements 15 , in dem<br />
u.a. die Motive und Grenzen der GRVs<br />
aus Arbeitgebersicht aufgezeigt werden.<br />
Die zentrale Erkenntnis des Papiers lautet:<br />
Während die Gewerkschaften mit den<br />
Vereinbarungen den Aufbau globaler<br />
Arbeitsbeziehungen anstreben, ist für die<br />
Unternehmen mit diesen Abkommen das<br />
Ziel erreicht, wenn sie zur Verbesserung<br />
und Effektivierung des Dialogs und der<br />
Kooperation beitragen.<br />
Während also im besten Fall das Ziel<br />
der sozialen Unternehmensverantwortung<br />
darin besteht, dass Arbeitnehmer „das<br />
Recht haben sollten, Gewerkschaften beizutreten“,<br />
sollte das gewerkschaftsstrategische<br />
Ziel sein, dass Arbeitnehmer von<br />
diesem Recht auch tatsächlich Gebrauch<br />
machen können. Auf jeden Fall ist das<br />
Recht, einer Gewerkschaft beizutreten, ein<br />
international anerkanntes Menschenrecht<br />
und als solches selbstverständlich und<br />
nicht verhandelbar. Das Ziel muss sein<br />
sicherzustellen, dass so viele Arbeitnehmer<br />
wie möglich von diesem Recht Gebrauch<br />
machen.<br />
Die Notwendigkeit, für die Anerkennung<br />
durch Unternehmen auf inter-<br />
Die grundlegende Schwäche derzeitiger<br />
GRVs besteht darin, dass sie in<br />
dieser Hinsicht keine genügenden und<br />
ausreichend raschen Resultate erbringen,<br />
weil sie zu sehr auf die Anerkennung einer<br />
Reihe von Rechten ausgerichtet sind<br />
- Rechten, welche die Vereinten Nationen<br />
bereits vor fast 60 Jahren als universale<br />
Menschenrechte anerkannt haben.<br />
nationaler Ebene zu kämpfen, ist und<br />
bleibt für Gewerkschaften von zentraler<br />
Bedeutung. Insoweit der gesamte GRV-<br />
Prozess auch ein Kampf um Anerkennung<br />
ist, kann ein Großteil der Investitionen<br />
an Ressourcen und Energien als sinnvoll<br />
betrachtet werden. Denn im Gegensatz<br />
zum CSR-Ansatz bedeutet die Form der<br />
GRVs als unterzeichnete Vereinbarungen,<br />
dass die beteiligten Gewerkschaften von<br />
den Unternehmen auf internationaler<br />
Ebene ausdrücklich als Vertragspartner<br />
anerkannt wurden. Deshalb besteht hier<br />
nicht die Gefahr, dass die Vereinbarungen<br />
als Alternative zu verbrieften Gewerkschaftsrechten<br />
genutzt werden.<br />
Andererseits ist die Rolle der GRVs als<br />
Instrumente zur Organisierung und Ausweitung<br />
der Gewerkschaftsmitglieder in<br />
einem Unternehmen wesentlich kritischer<br />
zu sehen. Nur die konkrete Organisierung<br />
von Arbeitnehmern in Gewerkschaften<br />
sollte als Erfolg betrachtet werden. In<br />
diesem Sinne geht die Zielsetzung von<br />
GRVs viel weiter als die freiwilligen<br />
Initiativen zur Sozialverantwortung von<br />
Unternehmen. Das Bewertungskriterium<br />
muss dabei im tatsächlichen Anstieg der<br />
Mitgliederzahlen liegen.<br />
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