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052 Heute<br />

KK: Das ist ganz einfach: Für mich ist das eine wun<strong>de</strong>rbare<br />

Gelegenheit, verspielt zu sein, etwas auszuprobieren. Je<strong>de</strong>r<br />

will von uns wissen: Warum macht ihr das? Was habt ihr euch<br />

dabei gedacht? Ich fin<strong>de</strong> diese Fragen furchtbar anstrengend.<br />

DD: uns ist wichtig, dass wir alles selbst machen. Wir holen<br />

uns keine Styleberater für viel Geld dazu, keine Musikvi<strong>de</strong>o-<br />

Regisseure, keine Web<strong>de</strong>signer. Alles kommt von uns.<br />

Ich habe <strong>de</strong>n Eindruck, dass hinter euren Bühnenperformances<br />

die I<strong>de</strong>e steht, einen utopischen raum zu erschaffen.<br />

Stimmt das?<br />

SK: Ich habe versucht, das in meinen letzten Sachen zu<br />

thematisieren. Je<strong>de</strong>nfalls lassen sich die Ereignisse <strong>de</strong>r vergangenen<br />

zwei Jahre als lange nicht erlebter, heftiger Wunsch<br />

nach Zukunftsgestaltung <strong>de</strong>uten: Occupy, die Revolutionen<br />

in Nordafrika, die Aufstän<strong>de</strong> in Spanien, Israel, Osteuropa<br />

und China, die Riots in London. Entstehen aktuell neue<br />

Mo<strong>de</strong>lle, lassen sich jetzt utopien einfor<strong>de</strong>rn für ein besseres,<br />

gerechteres Leben? Für meine Theaterstücke habe ich<br />

unzählige Interviews mit Leuten zu diesen Themen geführt.<br />

Daraus sind dann fünf gemeinsame Musikperformances<br />

und Stadtprojekte an unterschiedlichen Häusern sowie die<br />

Songs und Texte für meine Platte entstan<strong>de</strong>n.<br />

DD: Heute musst du ständig Stärke zeigen. Dem wollen<br />

wir etwas entgegensetzen. unsere Konzerte sind Partys <strong>de</strong>r<br />

Schwäche. Wenn sich jemand betrinkt, die Kontrolle verliert,<br />

auf die Bühne klettert o<strong>de</strong>r sich hinpackt, dann spürt <strong>de</strong>r:<br />

Das ist okay so, das ist gut, das ist schön. Wir sagen: Macht<br />

Platz für eure Schwäche. und beschwert euch, wenn zu viel<br />

von euch erwartet wird.<br />

SK: Das ist schön – und das sind auch Theaterthemen.<br />

Christoph Schlingensief hat das zum Programm gemacht:<br />

Scheitern als Chance. Sind attraktive Ausbruchsversuche<br />

noch möglich, o<strong>de</strong>r gelten sie als reines versagen? Was<br />

ist heute Selbstverwirklichung? In <strong>de</strong>n Sechzigerjahren<br />

wur<strong>de</strong> das hart erkämpft: Kommunen bil<strong>de</strong>n, an<strong>de</strong>rs sein,<br />

»abartig«, aussteigen. Heute scheint Selbstverwirklichung<br />

eigenunternehmerischer Stress. Sich wie<strong>de</strong>r physisch zu<br />

treffen, miteinan<strong>de</strong>r unoptimierte Zeit zu verbringen kann<br />

dagegen utopie sein – als Gegenmo<strong>de</strong>ll zur Zwangsvernetzung<br />

mit ihren unendlich vielen Kanälen, Angeboten und<br />

Zurschaustellungen.<br />

Schocken<br />

Bei HGich.T trifft Dada auf pubertären Humor, Drogen, Sex,<br />

Goa-Ästhetik und Abgrün<strong>de</strong>. »Herkules, komm tanz mit<br />

mir, mein Arsch ist dicker Käfer« o<strong>de</strong>r »uga aga Pipikacka«<br />

sind typische Textzeilen <strong>de</strong>r Band. In <strong>de</strong>n vi<strong>de</strong>os feiert das<br />

Kollektiv die Trashkultur und spielt mit Geschmacks- und<br />

Grenzüberschreitungen. Auch das ist natürlich ein Weg,<br />

das Provokative von Punk in die Jetztzeit zu transportieren.<br />

Sind Schockieren und Provozieren heute wirklich noch<br />

die richtigen Mittel?<br />

DD: Das sind Diamanten, die noch immer funkeln, aber ab<br />

und zu aufpoliert wer<strong>de</strong>n müssen. Angeblich ist es heute so<br />

schwer zu schocken, in Wirklichkeit gilt das aber nur für<br />

die hartgesottene Theaterelite. Auch heute kann man mit<br />

<strong>de</strong>m vorzeigen eines Penis’ Wirkung erzielen.<br />

KK: Das sehen wir auch auf <strong>de</strong>n Kommentaren bei YouTube.<br />

Was wir machen, nehmen viele für bare Münze – und es<br />

schockiert sie.<br />

SK: Ich zweifle an solchen taktischen Krasssetzungen. Damit<br />

überschreitest du gar nichts und verletzt längst keine<br />

ästhetischen Grenzen mehr. Das sind Dinge, die passieren<br />

bei RTL. Ständig.<br />

KK: Aber auch im Mainstream-Pop.<br />

SK: RTL und Popkultur, das ist doch heute dasselbe. Nimm<br />

Lady Gaga, die, während alle Kameras auf sie gerichtet sind,<br />

in einem Fleischkostüm auftritt. Das ist doch bemüht, das<br />

hat keine Härte. Dagegen ist das »Dschungelcamp« subtiler<br />

und radikaler.<br />

DD: Bei HGich.T wird die Provokation zur Selbstverständlichkeit.<br />

Der Penis gehört bei uns zum Standard, er ist das<br />

Grundrauschen.<br />

SK: Das stimmt doch nicht – genauso wie <strong>de</strong>ine Halskette<br />

mit <strong>de</strong>m Schriftzug LSD kein Grundrauschen behauptet.<br />

Das soll ein spezieller Co<strong>de</strong> sein. Ein lautes, grelles Zeichen.<br />

Ich <strong>de</strong>nke aber, dass man heute etwas an<strong>de</strong>res suchen muss.<br />

Wie könnte eine solche neue Kunstform aussehen?<br />

SK: Bei mir ist es so, dass mich das meiste, was aus unseren<br />

Breitengra<strong>de</strong>n kommt, nicht mehr anrührt, weil es mir<br />

unaufhörlich geliefert wird. Baudrillard sprach dabei vom<br />

verschwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong>. Dabei<br />

wünsche ich mir nichts mehr<br />

als Frem<strong>de</strong>. Ich will mich nicht<br />

permanent gut auskennen mit<br />

all euren stöhnen<strong>de</strong>n Blendraketen.<br />

Gebt euch mehr Mühe mit<br />

euren Scheißübungen.<br />

KK: Weil uns das Frem<strong>de</strong> so bequem<br />

gebracht wird, fühlt es sich<br />

einfach nicht mehr fremd an.<br />

SK: Das sind Fragen, die sich<br />

auch die Kunst stellen muss: Was<br />

ist wirklich noch fremd, also<br />

weniger <strong>de</strong>utbar als die ganzen<br />

bemühten Alleinstellungsmerkmale?<br />

Was ist wirklich eigen?<br />

Ist es das Weglassen? Die verkleinerung,<br />

die vollüberhöhung?<br />

O<strong>de</strong>r ist ein kluges Gedicht heute<br />

vielleicht viel härter als so ein<br />

schlapper Penis?<br />

KK: Wahrscheinlich ist das <strong>de</strong>r<br />

Weg: Du musst selbst zum Frem<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

HGich.T<br />

Die Band ist ein Kind <strong>de</strong>r<br />

späten Neunzigerjahre,<br />

entstan<strong>de</strong>n im Umfeld <strong>de</strong>r<br />

Hamburger Kunsthochschule.<br />

Dass Besetzung und<br />

Mitglie<strong>de</strong>rzahl von HGich.T<br />

schwanken, gehört zum<br />

Konzept. Neustes Mitglied<br />

<strong>de</strong>s Kollektivs ist <strong>de</strong>r<br />

80-jährige Ex-Staatsanwalt,<br />

Ex-Schlingensief-Schauspieler<br />

und Filmkritiker<br />

Dietrich Kuhlbrodt, <strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>n Vi<strong>de</strong>os von HGich.T<br />

unter <strong>de</strong>m Pseudonym Opa<br />

16 auftritt. HGich.T haben<br />

ihre Stücke, die Goa-Musik,<br />

White Trash und <strong>de</strong>rben<br />

Humor verbin<strong>de</strong>n, lange nur<br />

auf Konzerten und vor allem<br />

über YouTube verbreitet.<br />

Das Debütalbum »Mein<br />

Hobby: Arschloch« erschien<br />

2010, <strong>de</strong>r Nachfolger »Lecko<br />

Gran<strong>de</strong>« (bei<strong>de</strong> Tapete Records)<br />

kam im vergangenen<br />

November heraus. .<br />

— SCHORSCH KAMERuN<br />

»DER MENSCH LÄSST<br />

NACH« (BuBACK /<br />

INDIGO / vÖ 08.02.13)<br />

— AuF TOuR AM 13.03.<br />

— HGICH.T »LECKO<br />

GRANDE« (TAPETE /<br />

INDIGO) — AuF TOuR<br />

vOM 22.02. BIS 20.04.

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