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056 Heute<br />

Eine beliebte irische<br />

Frauensportart, bei <strong>de</strong>r ein<br />

kleiner Ball mit verrückten<br />

Stöcken ins Tor bugsiert<br />

wer<strong>de</strong>n muss. Soll ziemlich<br />

rau zugehen.<br />

Klotstockspringen<br />

Nord<strong>de</strong>utsche Variante<br />

<strong>de</strong>s Stabhochsprungs auf<br />

offenem Gelän<strong>de</strong>, bei <strong>de</strong>r<br />

in die Weite statt Höhe<br />

gesprungen wird.<br />

E<br />

s<br />

Camogie<br />

ist ein fieser grauer Berliner Samstagmorgen,<br />

als ein verwirrter Taxifahrer mich über<br />

verschlungene Pfa<strong>de</strong> nach Treptow bringt.<br />

Ziel ist die Arena Berlin, in <strong>de</strong>r vom 16.<br />

bis 18. November die ersten europäischen<br />

Roller<strong>de</strong>rby-Meisterschaften <strong>de</strong>r WFTDA-<br />

Liga ausgetragen wer<strong>de</strong>n. Meinen letzten<br />

Kontakt zu Rollschuhen hatte ich mit 14,<br />

als meine beste Freundin ihren Geburtstag<br />

in <strong>de</strong>r örtlichen Rollerdisco ausrichtete. Mit<br />

wackeligen Knien und feuchten Hän<strong>de</strong>n<br />

hangelte ich an <strong>de</strong>r Reling entlang, während<br />

die an<strong>de</strong>ren Mädchen elegant ihre<br />

Kreise zu Kylie Minogue zogen. Zufällig<br />

erfuhr ich vom anstehen<strong>de</strong>n Turnier und<br />

wur<strong>de</strong> neugierig. Eine umfrage zum Thema Roller<strong>de</strong>rby im<br />

Bekanntenkreis ergab merkwürdige Resultate: Das sei wie<br />

das Sechstagerennen auf Rollschuhen, wur<strong>de</strong> mir erklärt.<br />

Nein, eher so was mit heißen Rockabilly-Chicks, die sich<br />

gegenseitig auf <strong>de</strong>m Spielfeld verprügeln. Außer<strong>de</strong>m habe<br />

es einen ultra-feministischen Hintergrund. Schon wollte<br />

ich mehr über die mysteriöse Punkrock-Aggro-Feministen-<br />

Netzstrumpfhosen-Sportart erfahren.<br />

Die Arena Berlin entpuppt sich als bie<strong>de</strong>res Backsteingebäu<strong>de</strong><br />

statt als Thun<strong>de</strong>rdome wie aus <strong>de</strong>m »Mad Max«-<br />

Film. Ein kleines Poster und eine Handvoll rauchen<strong>de</strong>r Fans<br />

neben <strong>de</strong>m Eingang markieren das Event, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Straßenseite ist ein Kassenhäuschen aufgebaut. Die drei<br />

Frauen hinter <strong>de</strong>r Glasscheibe – Dreadlocks, Piercings,<br />

Directions – sehen eher nach Aunty Entity (damals gespielt<br />

von Tina Turner) als nach Rollerdisco aus. <strong>Als</strong> ich mir <strong>de</strong>n<br />

Eintrittsstempel abholen möchte, wer<strong>de</strong> ich artig gesiezt.<br />

Den Eingang bewachen massige Bodyguards, die sogar die<br />

Wäsche in meinem Koffer durchwühlen, bevor ich endlich<br />

in die Halle gelassen wer<strong>de</strong>.<br />

Das Spielfeld (»Track«), ein längliches Oval, das auf <strong>de</strong>m<br />

nackten Betonbo<strong>de</strong>n abgesteckt wur<strong>de</strong>, verbirgt sich hinter<br />

<strong>de</strong>n kreisförmig aufgebauten Tribünen. Der hintere Teil<br />

<strong>de</strong>r Halle ist mit schwarzen Tüchern verhangen. Es gibt<br />

Merchandise-Stän<strong>de</strong> und Getränkebu<strong>de</strong>n. Wer möchte,<br />

kann Tombola-Lose kaufen. Es ist zehn uhr, ein Song <strong>de</strong>r<br />

Ramones tönt aus <strong>de</strong>n Lautsprechern, bis zwei Mo<strong>de</strong>ratoren<br />

das Mikrofon übernehmen und beginnen, sehr viel und laut<br />

zu re<strong>de</strong>n. Auf Englisch, klar. Das erste Spiel <strong>de</strong>s Tages – eines<br />

von sieben, die heute auf <strong>de</strong>m Programm stehen – geht gleich<br />

los. Ich nehme auf einer <strong>de</strong>r Tribünen Platz, wo sich bereits<br />

ein Häufchen Spielerinnen, Mitglie<strong>de</strong>r und Fans <strong>de</strong>r Berlin<br />

Bombshells eingefun<strong>de</strong>n hat. Alles Frauen.<br />

WFTDA<br />

Women’s Flat Track<br />

Derby Association, einer <strong>de</strong>r<br />

wichtigsten Dachverbän<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Roller<strong>de</strong>rby, in <strong>de</strong>m die<br />

verschie<strong>de</strong>nen regionalen<br />

Ligen organisiert sind.<br />

Männliche Cheerlea<strong>de</strong>r im Anmarsch<br />

Wie viele Zuschauer mögen hier sein? Die Zahl ist überschaubar.<br />

Wahrscheinlich kommen Roller<strong>de</strong>rby-Spielerinnen<br />

im eigenen Freun<strong>de</strong>s- und Familienkreis bislang so häufig<br />

vor wie Leute, die sich für Camogie o<strong>de</strong>r Klotstockspringen<br />

begeistern. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht und<br />

rekapituliere noch mal: Den verrückten Sport gibt es seit<br />

fast hun<strong>de</strong>rt Jahren. In <strong>de</strong>n 1930er/40er-Jahren wur<strong>de</strong>n in<br />

<strong>de</strong>n uSA zunächst Ausdauerrennen und später akribisch<br />

choreografierte Schaukämpfe auf Rollschuhen ausgetragen,<br />

die Tausen<strong>de</strong> Fans in die Stadien lockten. In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n<br />

Jahrzehnten verlor Roller<strong>de</strong>rby allmählich an Be<strong>de</strong>utung,<br />

bis es schließlich in <strong>de</strong>n 1990er-Jahren – getrieben von Punk,<br />

Rockabilly-Style und Third-Wave-Feminismus – ein Revival<br />

als ausschließlich weibliche vollkontaktsportart erlebte.<br />

Geblieben ist die grelle Performance <strong>de</strong>r Spielerinnen, die<br />

mit Netzstrümpfen, Make-up und Kampfnamen gegeneinan<strong>de</strong>r<br />

anrollen, neu hinzugekommen ist das Prinzip<br />

<strong>de</strong>r Selbstorganisation. Auch in Europa grün<strong>de</strong>ten sich<br />

erste Teams. 2006 die London Rollergirls und die Stuttgart<br />

valley Rollergirlz, 2007 das Team aus Ludwigsburg, 2008<br />

die Berlin Bombshells. Dass Roller<strong>de</strong>rby hierzulan<strong>de</strong> seine<br />

kuriose Exzentrik-Nische zukünftig ein Stück weit verlas-<br />

sen dürfte, hat <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Start von Drew Barrymores<br />

Film »Rollergirl« ange<strong>de</strong>utet. Das jetzt von <strong>de</strong>n Bombshells<br />

organisierte Turnier setzt neue Maßstäbe: Mit <strong>de</strong>r ersten<br />

europäischen Meisterschaft <strong>de</strong>r WFTDA, die die zehn besten<br />

Teams Europas ins Rennen schickt, ist ein wichtiger<br />

Schritt in Richtung Professionalisierung <strong>de</strong>s Roller<strong>de</strong>rbys<br />

auch außerhalb <strong>de</strong>r uSA getan.<br />

Ein Mitglied <strong>de</strong>r Bombshells, Doro, versucht mir das<br />

Geschehen auf <strong>de</strong>m Track zu erklären. Das ist auch bitter<br />

nötig, <strong>de</strong>nn bereits, als sich die Spielerinnen <strong>de</strong>r Central City<br />

Rollergirls und <strong>de</strong>r Leeds Roller Dolls vorne aufbauen, habe<br />

ich <strong>de</strong>n Überblick verloren. Die einzelnen Spielzüge (»Jams«)<br />

dauern mitunter nur einige Sekun<strong>de</strong>n, während die Spielerinnen<br />

auf <strong>de</strong>m Track sich anrempeln, überholen, sprinten<br />

o<strong>de</strong>r auch einfach nur stehen bleiben. Manchmal schlägt<br />

eine klatschend auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n, rappelt sich wie<strong>de</strong>r auf und<br />

fährt weiter. Das Spielfeld läuft dicht an <strong>de</strong>r Tribüne vorbei,<br />

farbige Streifen auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n markieren <strong>de</strong>n Bereich, in<br />

<strong>de</strong>m sich die Zuschauerinnen bewegen dürfen. Eine große<br />

Tafel im Hintergrund zeigt <strong>de</strong>n aktuellen Punktestand und<br />

die Namen <strong>de</strong>r Jammerinnen an.<br />

Rollergirl<br />

Drei beachtenswerte<br />

Kinofilme zu Roller<strong>de</strong>rby<br />

gibt es: »Rollerball« (1975<br />

und 2002 neu verfilmt)<br />

zeigt eine düstere Zukunft,<br />

in <strong>de</strong>r Großkonzerne die<br />

Welt beherrschen. In »Rollerboys«<br />

(1990) wird um<br />

die Vorherrschaft über Los<br />

Angeles gekämpft; eine skaten<strong>de</strong><br />

Nazi-Gang versucht<br />

sich mittels geheimnisvoller<br />

Drogen an <strong>de</strong>r ethnischen<br />

»Säuberung« <strong>de</strong>r Stadt.<br />

»Rollergirl« (2009), von<br />

und mit Drew Barrymore,<br />

ist eine Coming-of-age-<br />

Geschichte in <strong>de</strong>r texanischen<br />

Provinz. Teenie Bliss<br />

(Ellen Page) hat die Nase<br />

voll von Schönheitswettbewerben<br />

und will lieber<br />

skaten.

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