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Literarischer Rettungsschirm.pdf - Internationales Literaturfestival ...

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,<br />

PEDRO ROSA MENDES EUROPE NOW<br />

giesischen Geschichte gab –, gehen nach London, Paris oder Genf. Sie versuchen in »Europa« jene<br />

kritische Masse zu verkaufen, von der sie in ihrem eigenen Land keinen Gebrauch machen können.<br />

Einem Land, in dem heute zum Beispiel 500 Euro ein großzügiges Arbeitsangebot für einen jungen<br />

Architekten darstellen.<br />

Portugal ist kein Krisenland, sondern ein Land, in dem einiges nicht stimmt, wo die Zurschaustellung<br />

über die Würde siegt und das Strebertum fast immer über den Anspruch. Aus einer kürzlich erstellten<br />

Analyse von Stellenanzeigen ging hervor, dass ein Schlosser oder ein Klempner mehr verdienen kann<br />

als ein Ingenieur. Man kam sogar zu dem Schluss, dass Stellenbewerber, um ihre Chancen zu verbes -<br />

sern, ihre Kenntnisse und Qualifikationen verbergen. Tragischerweise setzt sich die Überzeugung fest,<br />

dass »studieren zu nichts nützte ist« in einem Land, das mit Analphabetentum und einem ausgepräg -<br />

ten Mangel an Bildung zu kämpfen hat.<br />

An der anderen Front der Fluchtbewegung aus diesem geografischen Rechteck, das sich von »Europa«<br />

entfernt, zieht eine Schar von Arbeitslosen der geplatzten Baublase und der Billiglohnsektoren nach<br />

Süden Richtung Angola. Von Angola, dem ehemaligen »Schmuckstück der portugiesischen Krone«,<br />

sagt die Propaganda beider Länder, es sei ein Land der »günstigen Gelegenheiten«. Das entspricht<br />

der Wahrheit für den, der keine Skrupel hat. Was man aber in den Medien von Luanda, Lissabon<br />

und »Europa« verschweigt, das oft nicht einmal weiß, wo dieses Land überhaupt liegt, ist die Tatsache,<br />

dass es in Angola kein sauberes Geld gibt und dass jede »Investition«, die man dort tätigt, eine<br />

direkte oder indirekte Geldwäsche ist. Um den mutigen angolanischen Rapper MCK mit seinem wun -<br />

derbaren Gedicht, das genau diesen Sachverhalt thematisiert, zu zitieren: »Im Land von Papa Banana<br />

haben sie aus dem Elend ein einträgliches Geschäft gemacht.« Angola ist heute ein Circus Maximus<br />

neuer kolonialer Ausbeutung in einem Projekt des Raubtierkapitalismus unter der Ägide eines stalinistisch<br />

geprägten Regimes. Die Ausbeutung dieses luso-tropischen Binoms aber hat sich ins Gegenteil<br />

verkehrt und dazu geführt, dass die Geschichte sich rächt. Die Söhne und Enkel der portugie -<br />

sischen Kolonisten sind heute – in Werften, Steinbrüchen und im Baugewerbe – die Halbsklaven der<br />

Nachkommen der vormaligen »Eingeborenen« und »Assimilierten« aus der »Überseeprovinz«, Salazars<br />

ganzer Stolz.<br />

Aber Angola ist nicht nur das Ziel unserer Billigkräfte. Nach einem vierzig Jahre währenden Ausflug<br />

nach »Europa« steht das demokratische Portugal heute genau dort, wo sich das Portugal der Perestroika<br />

Marcello Caetanos befand, des Thronfolgers Salazars, der das Land in einer längst vergangenen<br />

Zeit festzuhalten suchte. Portugal, und dies ist eine schmerzliche Feststellung, ist ohne Angola<br />

nicht lebensfähig, was wiederum, wie in den siebziger Jahren, die Frage nach der Souveränität aufwirft,<br />

diesmal nicht mehr der Angolas, sondern der unseren. Aus Luanda kommt seit einigen Jahren<br />

der Zustrom von Kapital und Investitionen – besagte »günstigen Gelegenheiten« –, der Portugal auf<br />

»europäischem« Minimalniveau hält, ohne dass Portugal ehrlicherweise Schiffbruch bekennen müsste.<br />

Im Gegenzug muss Portugal die zunehmende Kontrolle durch angolanische Interessen akzeptieren,<br />

und zwar in so lebenswichtigen Bereichen wie dem Bankenwesen, der Energiewirtschaft und, hélas!,<br />

dem Handel und den Medien. Das Versagen von Portugal in Europa sowie umgekehrt das Versagen<br />

von Europa in Portugal lässt sich nicht nur und auch nicht vor allem aus dem Fehlen von wirtschaftlich-sozialer<br />

Konvergenz ableiten, sondern auch aus dem Fehlen einer moralischen und ethischen Kon -<br />

vergenz in der politischen Praxis und in der Zivilkultur. »Europa« erlaubt an seiner Südflanke ein gewisses<br />

Maß an politischer Korruption, schlechter Regierungsführung und täglicher antidemo kratischer<br />

Praktiken und erachtet für normal, was in den Ländern des Nordens – oder selbst des Ostens –<br />

niemals ungeahndet bliebe. Dies ist eine Art schlecht bemäntelter Willfährigkeit von jemandem, der<br />

in den achtziger und neunziger Jahren, in Brüssel Paris oder Bonn, nicht verstand, weil er es nicht<br />

wollte, den gebührenden Einfluss auf die aufsteigenden politischen Klassen auszuüben, die ihre Klien -<br />

tel aufbauten und finanzierten, indem sie die »Kohäsionsfonds« verteilten und verschleuderten, und<br />

zwar zugunsten eines Entwicklungsmodells, das sich nie von dem entfernte, was in dieser Zeit für<br />

die »Großen« des »europäischen Projekts« von Vorteil war.<br />

Dies ist übrigens eine für »Europa« durchaus vorteilhafte Amnesie. It’s the history, stupid: Portugal<br />

hat nicht zu »Europa« gefunden, als es sollte und konnte, da »Europa« und »Amerika«, mit anderen<br />

Worten die westlichen Demokratien, nach 1945 der Ansicht waren, dass es sich letztlich nicht lohne,

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