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Literarischer Rettungsschirm.pdf - Internationales Literaturfestival ...

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JANNE TELLER EUROPE NOW<br />

wir abhängig sind, ungeachtet, ob wir im Süden, Norden, Osten oder Westen leben. Es gibt sehr viel<br />

mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Ein Großteil von uns hat [wie auch ich] eine gemischte<br />

DNA und Kultur über nationale Grenzen hinweg, genau wie auch unsere Geschichte, unsere Traditionen<br />

und unsere Kultur das haben. Wie viel [über einige unserer Sprachen hinaus] kann real einer und<br />

nur einer Nation zugeordnet werden?<br />

Nationalstaaten sind ein Konstrukt. Die meisten existieren nicht länger als ein paar Jahrhunderte. Die<br />

gefühlsmäßigen Bande, die wir zu unserer Herkunftsregion, der Landschaft und der Lebensweise<br />

knüpfen, würden auch ohne eine nationale Zugehörigkeit bestehen. Es ist lediglich unsere Identifikation<br />

mit dem Illusionsbukett aus den Charakteristika, die wir gelernt haben, mit unserem Nationalstaat<br />

zu verbinden, die sich uns eher dem Nationalbegriff als unserem Kontinent ]und was das angeht,<br />

unseren Mitmenschen] zugehörig fühlen lässt.<br />

Der Umzug in einen anderen Nationalstaat macht einen nicht zu einem anderen Menschen, obwohl<br />

man sich notwendigerweise vielleicht anders verhalten muss, um sich verständlich zu machen und<br />

in die andere Kultur einzupassen. Weil unsere inneren menschlichen Charaktereigenschaften ungeachtet<br />

unserer Nationalität dieselben bleiben. Ob man ein guter Mensch ist oder nicht, ehrlich, mutig,<br />

höflich, fleißig, großzügig oder geizig, manipulierend, boshaft, faul, feige und so weiter – das hat mit<br />

den persönlichen Charakterzügen zu tun, egal welcher Sprache und welcher kulturellen Codes man<br />

sich bedient. Und nicht damit, bei welcher Fußballnationalmannschaft man Tränen in den Augen hat,<br />

wenn sie gewinnt.<br />

Wenn wir verhindern wollen, dass Europa mit allem, was sich daraus ergeben kann, auseinanderbricht,<br />

müssen wir uns jetzt entscheiden, an erster Stelle Europäer zu sein und dann erst Staatsbürger. Jetzt<br />

müssen wir zeigen, dass wir eine Gemeinschaft und bereit sind, einander beizustehen. Statt bei dem<br />

Projekt Europa die Handbremse zu ziehen, sollten sich wirtschaftlich stärkere Länder außerhalb der<br />

Eurozone wie unter anderem Dänemark ihm anschließen. Wir müssen dem tschechischen Präsidenten<br />

Václav Klaus und Gleichdenkenden erklären, dass seine Skepsis gegenüber Europa in den Müllcontainer<br />

für verdorbenes Essen und längst überholte politische Optionen gehört.<br />

Die Bevölkerung Europas muss hier und jetzt zusammenstehen und von ihren Politikern fordern, dass<br />

sie den Rahmen unseres Europas nicht einschränken. Die Wirtschaftskrise darf keine Entschuldigung<br />

dafür sein, Europa zugunsten eines neuen Nationalismus zu zerstören. Die Krise muss dort gelöst<br />

werden, wo sie entstanden ist: im Finanzsektor!<br />

Das Scheunentor für wahnsinnige Pyramidenspiele aus finanziellen Spekulationen, das die Deregulie -<br />

rung des Finanzsektors geöffnet hat, muss wieder geschlossen werden. Nicht Europas Grenzen!<br />

II. ETHISCH ZUSAMMENHÄNGENDE POLITIK<br />

Europa braucht einen zusammenhängenden und ethisch verantwortlichen wirtschaftlichen und politischen<br />

Zugang zu der Welt außerhalb Europas – egal was uns das auf kurze Sicht kostet. Das ist die<br />

einzige Art und Weise, wie wir auf längere Sicht in Übereinstimmung mit den demokratischen Werten,<br />

für die wir zu stehen behaupten, zu einem würdigen Europa kommen können. Das ist auch – wenn<br />

man das will – die einzige Art und Weise, wie wir jemals auf eine mitmenschlich verantwortliche Wei -<br />

se den Strom von Flüchtlingen und Immigranten nach Europa eindämmen können.<br />

Keine Zäune können verzweifelte Menschen, die oft mehrere Jahre unterwegs waren und die ihr Le -<br />

ben aufs Spiel gesetzt haben, um über das Mittelmeer zu kommen, davon abhalten, einen Weg nach<br />

Europa hinein zu finden. Doch selbst wenn eine ausreichend hohe, mit Stacheldraht versehene Betonmauer<br />

wirklich notleidende Menschen draußen halten könnte, wollten wir so leben? Eingezäunt<br />

in unserem reichen Tennisklub auf der »richtigen« Seite eines globalen Apartheidssystems? Zu was<br />

für [Un-]Menschen macht ein solches System uns selbst?<br />

Es geht nicht darum, extrateure Pflaster aus Entwicklungshilfe auf blutende Wunden zu kleben. Wir<br />

müssen unsere Handelsregime überprüfen, unsere Agrarpolitik, unsere Wirtschafts-, Umwelt- und Kli -<br />

ma politik usw. und nicht zuletzt unsere politischen Allianzen und sehen, welche den Menschen dienen<br />

und welche nicht.<br />

Wir müssen von unseren Regierungen und Unternehmen fordern, dass sie nicht länger in Diktaturen<br />

investieren oder diese mit Militärhilfe und auf andere Weise unterstützen. Ebenso müssen wir unser

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