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Literarischer Rettungsschirm.pdf - Internationales Literaturfestival ...

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DRAGO JANČAR EUROPE NOW<br />

freuten sich darüber, die im Geiste der Erwartung eines kommunistischen Eldorados erzogen waren,<br />

für die sich diese Fata Morgana jedoch bald in Luft auflöste – Paradise Lost. So blickten sie hoffnungsvoll<br />

ins, ach, Europa, das neue himmlische Land, wo all ihre Probleme gelöst würden. Auch<br />

suchten wir die »Seele Europas«, nach der Jacques Delors, einer ihrer Begründer und geistigen Vä -<br />

ter, trachtete.<br />

All diese Diskussionen waren nicht sonderlich fruchtbar, denn der wirtschaftliche und liberale Pragmatismus,<br />

der der gemeinsame Nenner Europas ist, verhält sich diesbezüglich eher zurückhaltend,<br />

er geht jeglicher Interpretation aus dem Weg, was Europa sei beziehungsweise zu sein wünsche. Interpretation<br />

muss in der modernen Welt, in der verschiedene Werte und Sichtweisen des Lebens koexistieren,<br />

zwangsläufig auch Konfrontation bedeuten, die in einer Welt des freien Handels und der<br />

Börsenmentalität niemand brauchen kann, nicht einmal auf gedanklicher Ebene. Ein ideeller Konflikt<br />

kann schnell in einen politischen Konflikt übergehen, und das ist das Letzte, was sich die Wirtschafts -<br />

pragmatiker wünschen. Kein Pathos also, keine »Seele«, kein tieferer Sinn. So blieb das höchste Ziel<br />

des vereinten Europas etwas ziemlich Einfaches: Seine wirtschaftliche Macht sollte in kürzester Zeit<br />

eine Konkurrenz für die amerikanische und chinesische werden, sie sollte in allen globalen Prozessen<br />

stark und unabhängig sein. Es verstehe sich von selbst, meinen die Pragmatiker, dass der wirtschaft -<br />

liche Aufschwung neben materiellem Wohlstand auch ein besseres Gesundheitswesen und bessere<br />

Schulen mit sich bringe, mehr Geld für Kultur, mehr Freizeit, und dass materieller Wohlstand automatisch<br />

auch eine höhere Toleranzstufe der europäischen Staatsbürger mit sich bringen werde. Angesichts<br />

einer solch optimistischen Perspektive klingt der Aufruf von Jacques Delors, dem ehemaligen<br />

Präsidenten der EU-Kommission, der Anfang der neunziger Jahre appellierte, »Europa eine Seele<br />

zu geben«, nur noch wie ein fernes Echo einer Idee, vom Winde des wohltuenden Pragmatismus ver -<br />

weht. Die »Seele Europas« könnte auch bedeuten, dass ihre Staatsbürger ihre Geschichte, Kultur,<br />

Geistigkeit, die Polarisierungen der Werte und der Ethik, die Erfahrungen mit Diktatur und Totalitarismus,<br />

die Ursprünge und Prinzipien der Demokratie, den Individualismus mit den persönlichen Freiheiten<br />

und zugleich das Streben nach gemeinsamem Wohl verstehen. Das sind für die neuzeitlichen<br />

Pragmatiker allerdings Abstraktionen, ihrer Meinung nach werden zwischenmenschliche Beziehungen<br />

in einer Gemeinschaft am besten von den gleichen Verhältnissen geregelt, wie sie am Kapitalmarkt<br />

herrschen: mit einer so großen Permissivität und einer so geringen Konfliktträchtigkeit wie möglich.<br />

Der gegenwärtige wirtschaftliche und politische Pragmatismus unterschätzt die Macht der Ideen. Er<br />

betrachtet die Abstraktion der Kultur und Philosophie von oben herab, vor allem aber die Fragen der<br />

menschlichen Geistigkeit. Er erkennt die Konflikte der wirtschaftlichen und sogenannten nationalen<br />

Interessen an und versucht, auf kürzestem Wege jeden zumindest gedanklichen Konflikt und damit<br />

auch jeden latenten gesellschaftlichen Konflikt auf diesem Gebiet mit politischen Mitteln zu beseitigen.<br />

Gerade deswegen befinden wir uns nun vor einer apokalyptischen Vision: Wenn der Euro fällt.<br />

Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir uns in wohltuender Ruhe einer weiteren aufregenden<br />

Debatte widmeten, nämlich der Frage, ob das Wort »Gott« in die Europäische Verfassung eingetragen<br />

werden soll oder ob in der Verfassungspräambel zusätzlich auch das Christentum erwähnt werden<br />

soll. Eine solche Diskussion ist nur in ruhigen Zeiten und im Wohlstand möglich, wenn wir eigentlich<br />

keine anderen ernsten Probleme mehr haben, wie die Frage nach Europa und der Ewigkeit. Und alle,<br />

die wir in Europa leben, haben Erfahrungen mit der Gegenwart Gottes. Es gibt wahrscheinlich kein<br />

europäisches Volk, das es irgendwann in der Geschichte nicht für notwendig erachtet hätte, Gott in<br />

die engste Verbindung mit der eigenen Existenz zu bringen. Einige Völker schrieben Gott sogar in ih -<br />

re Hymne ein, so zum Beispiel die Engländer: God Save the Queen, oder die Serben: Gott der Gerechtigkeit;<br />

oder gleich alle Völker der Habsburger Monarchie: Gott erhalte, Gott beschütze / Unsern<br />

Kaiser, unser Land! ... Deutsche Bataillone hielten Gott auf ihren Kriegsbannern fest, in der Überzeugung,<br />

Gott sei mit ihnen: Gott mit uns. Einige dachten, Gott habe ganz besonders mit ihnen zu tun:<br />

Gott und die Kroaten. Oder die Slowenen: Mutter – Heimat – Gott. Nun, wir Slowenen haben Gott<br />

auch in einem Sprichwort, das ganz gut eine gewisse Charaktereigenschaft beschreibt: Leise steh,<br />

abseits geh, zu Boden schau flott und hüt dich vor Gott.<br />

Die Amerikaner vertrauen auf Gott noch mehr als die Europäer, sie übergaben sogar ihr Geld in Gottes<br />

wohlmeinende Obhut: In God We Trust, wie es auf den Dollarscheinen steht. Und das half ihnen auch

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