Literarischer Rettungsschirm.pdf - Internationales Literaturfestival ...
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ANATOLIJ GRINVALD EUROPE NOW<br />
gedacht. So etwas geht nur mit Taubenpost. Oder Folgendes: Ich stehe an der Kasse, um Wodka,<br />
Socken, ein Schachspiel und Präservative zu erwerben. Zahle mit der Karte. Unterschreibe. Die Verkäuferin<br />
vergleicht die Unterschriften. Sieht täuschend echt aus, nicht wahr?, frage ich sie. Ich hab<br />
auch die ganze Nacht geübt ... Aber nein, auch sie hat keinen Sinn für Humor. Ruft die Bullen. Die<br />
fragen mich auf dem Revier: Warum machen Sie solche Witze? – Tja, ich wollte nur aufs Revier gelangen,<br />
ihr Herren Polizisten. In meinem Magen stecken drei Kilo Sprengstoff. Allahu akbar. Die prügelten<br />
mich noch ziemlich lange. Aber erst nachdem die Spezialabteilung abgerückt war. Nein, dieser<br />
Sinn ist den Deutschen einfach nicht gegeben. Später im Krankenhaus fragen die mich: Was möchten<br />
Sie frühstücken? – Gebratene Grashüpfer, antworte ich. Hab ich bekommen. Aber dafür muss<br />
ich jetzt nach Feierabend Sozialdienst leisten, um die Grashüpfer abzubezahlen. Die kamen nämlich,<br />
wie sich herausstellte, aus einem China-Restaurant. Grashopferus seltenus. Eine aussterbende Art.<br />
Bei der Arbeit frage ich: Sag mal, Ramona, im Bankomaten, da sitzt doch so ein lieber Onkel drin<br />
und gibt armen Leuten Geld, nicht wahr? Hat’s nicht kapiert. Rief die Klapse an. Da liege ich also in<br />
der Klapse. Warum auch immer, in der Abteilung für Drogensüchtige. Wird ein Neuer eingeliefert. Der<br />
hängt zwei Tage lang am Tropf und schweigt. Am dritten wacht er auf, macht große Augen und fragt:<br />
Sag mal, Bruder, wo sind wir eigentlich? – Wir fliegen zum Mars, antworte ich. Als Freiwillige. Sechs<br />
Jahre sind bald um. Langsam erwachen wir aus der Anabiose. Geh mal und hol dir beim Expeditions -<br />
leiter einen Raumanzug. Um das Raumschiff verlassen zu können. Den Flur entlang, die vorletzte Tür<br />
rechts. Das heißt, ich schicke ihn geradewegs zum Chefarzt. Er glaubt mir. Marschiert also los. Und<br />
tschüss, auf Nimmerwiedersehen. Hat wohl das Raumschiff verlassen können ... Als ich entlassen wur -<br />
de, haben alle geweint. Vor Glück und Freude. Komm ich also aus der Klapse raus und stehe an der<br />
Haltestelle. Warte auf die Straßenbahn. Neben mir eine junge Frau. Ich will sie kennenlernen. Klarer<br />
Fall: Das geht am besten mit einem Scherz. Oder mit einem Kompliment. Ich beschließe, beides zu<br />
kombinieren. Also komm ich näher und sag ihr: Du bist so schön wie eine Kalaschnikow ... Und gleich<br />
dazu, bevor sie antworten kann: Erkennst du mich etwa nicht wieder? Haben zusammen in Tschetschenien<br />
gekämpft. Seite an Seite. Waren beide Scharfschützen. Weiß Gott. – Hat’s nicht kapiert.<br />
Ist abgehauen. Und ich hinterher: Sei vorsichtig, Schwester! Die Tschetschenen sind uns auf der Spur ...<br />
Nein, die Deutschen haben keinen Sinn für Humor. Ich weiß es aus eigener Erfahrung. Schließlich bin<br />
ja selbst ein Deutscher. Oder beinahe. Meine Oma hat mit einem deutschen Schäferhund geschlafen.<br />
Aber die Korrespondenz mit dem Sekretär des Redakteurs brach abrupt ab, sobald du das Honorar<br />
erwähnt hast. Auch die Russen haben keinen Sinn für Humor.<br />
4. And a Bottle of Rum<br />
Deutsche Katzen sind wohlgenährt. Wenn ich auf der Straße eine wohlgenährte Katze erblicke, erinnere<br />
ich mich an eine Geschichte, die mir meine Oma erzählt hat. »Ich war sieben Jahre alt, als der<br />
Krieg begann. Wie alle Russlanddeutschen wurden wir vertrieben. Wir waren drei Kinder in der Familie:<br />
ich, mein Bruder Konstantin und meine Schwester Elvira. Was haben wir Kinder uns gefreut, als<br />
uns die Eltern sagten, wir müssten verreisen. Denn wir waren bis dahin nie fort gewesen und hatten<br />
auch keine Ahnung, dass wir niemals zurückkehren würden. Nach einem kleinen Zwischenhalt im Kaukasus<br />
wurden alle Deutschen auf ein vierstöckiges Schiff verfrachtet, das ins Kaspische Meer stechen<br />
sollte. Es hieß, es sei eine Jungfernfahrt, sodass niemand von der Leitung wusste, ob der Tanker<br />
überhaupt seetauglich ist. Darum folgte ihm ein anderes, kleineres, auf jeden Fall sturmfestes<br />
Boot. Die Leute sagten, es sei für die Leiter bestimmt, falls unser Schiff doch sinken sollte. Dabei war<br />
es Herbst, es hat stark gestürmt, der Tanker neigte sich bei jeder Welle und jedes Mal schien es, gleich<br />
geht er unter. Die Menschen hatten Angst, sie weinten, und dann ließ man das Schiff anhalten.<br />
Wenn es stand, wurde es nicht mehr so hin und her geschaukelt. Ich weiß nicht genau, wie lange wir<br />
unterwegs waren, aber es kam mir sehr lange vor. Etliche Menschen starben auf dem Schiff vor Hun -<br />
ger und Krankheit. Die wurden dann über Bord geworfen. Greise und Kinder ... Dem Tanker folgten<br />
immer einige Schweinswale. Eine Frau wollte sich von der Leiche ihrer Tochter nicht trennen, während