Literarischer Rettungsschirm.pdf - Internationales Literaturfestival ...
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DRAGO JANČAR EUROPE NOW<br />
nicht, den Fall der Lehman Brothers Holdings Inc. zu verhindern. Und es dräute und es dräut noch<br />
immer, dass der Euro und mit ihm Europa fallen soll. Mit Gott auf den Geldscheinen und in der Verfassung<br />
oder auch ohne.<br />
Und nun blicken wir ein wenig schizophrenen Blickes gen Himmel, von wo der Euro auf die Akropolis<br />
fällt, und fragen uns, was denn hier eigentlich vor sich geht. Denn wir gewöhnliche Sterbliche, die<br />
nicht in die Orakel der Börsen und Banken eingeweiht sind, verstehen überhaupt nichts mehr. Finanz -<br />
transaktionen, Finanzmärkte, Börsenabschwung und -aufschwung, Ratingagenturen, ein ganzes<br />
Konglomerat an für die Augen unsichtbaren Geldsummen und -flüssen sind in den Augen von uns<br />
Unwissenden, die von einer europäischen Kultur gesprochen haben, eine Abstraktion geworden, die<br />
uns heute auch Karl Marx oder Slavoj Žižek schwerlich erklären könnten. Früher wussten wir, dass<br />
es Kapitaleigentümer gab, das heißt Kapitalisten, mit der Familie Krupp konnte man ja noch etwas<br />
aushandeln, doch wie soll man mit abstrakten Finanzflüssen verhandeln, wo kein Eigentümer mehr<br />
zu sehen ist? Früher erfuhren wir von der Enteignung der Enteigner, die Unwissendsten von uns la -<br />
sen Ödon von Horváth, der in seinem Roman »Der ewige Spießer« seinem Helden, Kaufmann Schmitz,<br />
folgende Worte in den Mund legt: »Ich, Rudolf Schmitz, bin überzeugt, dass es zwischen den europäischen<br />
bürgerlichen Großmächten zu keinem Krieg mehr kommen wird, weil man heutzutage eine<br />
Nation auf kaufmännisch-friedliche Art bedeutend billiger ausbeuten kann.« Das haben wir irgendwie<br />
verstanden, während wir heute mit angsterfüllter Brust ins Menetekel blicken: Zerbricht der Euro,<br />
dann zerbricht Europa.<br />
Und so bleibt uns nichts anderes übrig, als auf die alte Legende zu vertrauen: Europa reitet auf ei nem<br />
weißen Stier, der im Meer in Richtung Kreta schwimmt. Wir hoffen, dass sie nicht fällt, wir wissen,<br />
dass sie es nicht tut, zumindest nicht ins Meer. Was allerdings dort auf Kreta geschieht, ist für Euro -<br />
pa eine zwar ein wenig traurige, aber dennoch recht optimistische Fortsetzung.<br />
[Übersetzt aus dem Slowenischen von Daniela Kocmut]