Literarischer Rettungsschirm.pdf - Internationales Literaturfestival ...
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MARKO POGAČAR EUROPE NOW<br />
Kapitel drei<br />
Mit der Aneinanderreihung für mich bedeutender eurointegrativer Augenblicke fahre ich weiter innen<br />
im Kontinent fort, auf süßem Wasser.<br />
Sei präziser; wo war das genau? In Polen, weit im Nordwesten, bei Bydgoszcz. Was wolltest du dort?<br />
Ich habe an einem Lyrikfestival teilgenommen, ich wollte nichts. Wie bist du dorthin gekommen? Ich<br />
wurde in einem Auto hingefahren. Aus Berlin hat mich ein Freund mitgenommen, ein Pole, der die<br />
Spra che kennt und die Straßen. Auf dem Weg fuhren wir durch den Ort Bagdad. Welche Marke hat -<br />
te das Auto? Ich weiß nicht. Was ist mit dieser Dichtung? Handelte es sich um Chiffren? Ja und nein.<br />
Es gab alle Arten von Dichtung, wie das bei Lyrikfestivals so ist. Die schlechte war wirklich schlecht.<br />
Gab es Eskalationen in dieser Hinsicht? Nein, dafür sind wir zu gut erzogen. Noch immer engt uns<br />
der warme Pullunder des Kleinbürgertums ein. Das ist unsere Rettung. Gab es in anderen Fragen ei -<br />
ne Eskalation? Ist das eine Fangfrage? In Ordnung, sind die Polen große Katholiken? Die Polen sind<br />
sehr große Katholiken. Was muss jeder anständige polnische Ort außer einer Kirche, einem Feuerwehrheim<br />
und einer Kneipe haben? Ein Haus des Heiligen Vaters Johannes Paul II. Kann man das<br />
auf dein Land übertragen? Ja, bis auf das erwähnte Haus. Bei uns hängt der Papst an einem Ehrenplatz<br />
zwischen dem Staatswappen und dem Logo des Sponsorenbieres. Außerdem ist kaum etwas<br />
in diesem Land mein. Was mögen Polen in kleinen Orten überhaupt nicht? Sie mögen es nicht, wenn<br />
man den Papst bei seinem Vornamen nennt. Wojtyła hören sie nicht gern. Was ist deine Meinung?<br />
Ich denke, dass der Besagte ein gefährlicher Krimineller ist, so wie hauptsächlich alle seine Vorgänger,<br />
zusammen mit der dazugehörenden Firma. Was mögen Polen in kleinen Orten sonst noch nicht?<br />
Sie mögen es nicht, wenn sie dich bei einer Unterhaltung mit Serben und Muslimen ertappen. Denn<br />
wir Kroaten sind okay, Brüder, aber diese Muslime, diese Orthodoxen, Russen, wir haben doch gegeneinander<br />
Krieg geführt – wie können wir jetzt am selben Tisch sitzen? Was mögen sie noch nicht?<br />
Slowenen, die fließend Polnisch sprechen. Übersetzer. Erklär mir das. Željko sprach ein viel zu fließendes<br />
Polnisch. In der Bar, beim Abschluss des Lyrikfestivals. Der mit der verdächtigen Dichtung?<br />
Ja, aber jedes Festival ist so. Was ist weiter passiert? Nach ein paar Pils haben sie es ihm nicht mehr<br />
abgenommen, dass er kein Pole ist. Sie verlangten, dass er mit der Provokation aufhören solle. Dass<br />
er seine Papiere zeigen solle. Und dann? Er hat sich geweigert, seine Papiere zu zeigen, er hatte sie<br />
sowieso nicht bei sich. Und? Sie verlangten, dass er in ihrer Begleitung ins Hotel gehe und ihnen<br />
seine Papiere zeige. Er sollte beweisen, dass er kein Pole war. Oder dass er sofort mit der Provokation<br />
aufhören solle. Aufhören und sich entschuldigen. Und dann? Er hat sich nicht entschuldigt. Er ist<br />
aufgestanden und hat eine Fortsetzung des Gesprächs abgelehnt. Und sie? Sie haben ihn bedrängt,<br />
ihn geohrfeigt und am Kragen gezerrt. Und du? Ich habe ihn unter die Arme gefasst, gehalten, um<br />
eine allgemeine Scheiße abzuwenden. Und sie? Während ich ihn hielt, hat ihn einer mit dem Bein in<br />
das Gesicht geschlagen, mit einem high kick. Was ist danach geschehen? Allgemeine Kacke. Eine<br />
Massenschlägerei zum Abschluss des Lyrikfestivals, weshalb ich mich mit wer weiß wem integriert<br />
habe, denn die Beleuchtung war schlecht. In der Dunkelheit sehen alle Entitäten gleich aus, wenn<br />
sie zusammenstoßen. Wie endete es? Nach der allgemeinen und außerordentlich erfolgreichen Integration<br />
erwischte ich in Bydgoszcz den Zug nach Berlin und schlief im selben Moment ein.<br />
Beitrittskapitel vier, vorerst das letzte<br />
Diese Liste wichtiger Integrationen ist natürlich willkürlich und könnte anders aussehen. Sie folgt vor -<br />
läufig einer vorgezeichnete Richtung – dem feuchten Traum eines jeden nicht integrierten Europäers:<br />
von der Peripherie bis zum Zentrum. Die europäischen Sterne überschütteten mich beim vierten Mal<br />
näher an der Wolkenmitte, dieses Mal integrierte ich mich vertikal. Und wieder hat meine mit beiden<br />
Armen angenommene Integration [wegen spezifischer Umstände konnte ich sie nämlich nicht anders<br />
annehmen] einen vollkommen vorhersehbaren Katalysator und eine Handlungsrichtung: Sie kam erzwungen,<br />
von oben herab, seitens Ordnung und Gesetz.<br />
Ich ging wieder auf Dichterreise, nach Kopenhagen, genauer – ich kam von dort zurück. Alles war in<br />
bester Ordnung: Ich ging entspannt in der Stadt spazieren, mit dem Fahrrad fuhr ich kreuz und quer