Planspiel EU-27.pdf - studienstaette-muenchen.de
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Als eigenständiger und unabhängiger Staat ist die Slowakei erst am 1. Januar 1993 auf die Weltbühne<br />
getreten, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r slowakischen Republik von 1939 bis 1945 galt das Land zwar formal als<br />
unabhängig, <strong>de</strong> facto aber nahm es die Rolle eines Vasallenstaates Hitlers ein. Fast tausend Jahre lang bis<br />
zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s ersten Weltkriegs war das Land <strong>de</strong>r Slowaken als Provinz "Ober-Ungarn" Teil <strong>de</strong>s<br />
Königreichs Ungarn gewesen. Die Jahre 1918 bis 1938 und dann wie<strong>de</strong>r von 1945 bis 1992 bil<strong>de</strong>ten<br />
Slowaken und Tschechen zusammen das Staatsgebil<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tschechoslowakei. War <strong>de</strong>r Schritt zur<br />
Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Slowakei 1993 in erster Linie das Werk nationalistisch eingestellter Politiker bei<strong>de</strong>r<br />
Seiten (die jeweilige Bevölkerung in ihrer Mehrheit war gegen <strong>de</strong>n Trennungsbeschluss), so sehen sich<br />
bei<strong>de</strong> Völker heute durch die Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> gleichsam wie<strong>de</strong>rvereinigt.<br />
In <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> hat sich die Slowakei als Pionier bei Steuer- und Sozialreformen hervorgetan: Als einziges <strong>EU</strong>-<br />
Land gilt in <strong>de</strong>r Slowakei seit <strong>de</strong>m 1.1.2004 ein einheitlicher Steuersatz von 19% auf private Einkommen, für<br />
Unternehmen und für <strong>de</strong>n Konsum (Mehrwertsteuer). In Verbindung mit niedrigen Löhnen, selbst im<br />
Vergleich mit tschechischen o<strong>de</strong>r ungarischen, hat diese Maßnahme zu einer starken Zunahme von<br />
Investitionen ausländischer Unternehmen geführt. Das beste Beispiel stellt die Automobilindustrie dar:<br />
Während VW in Bratislava und Peugeot/Citroën in Nitra bereits Produktionsstätten besaßen, beschloss nun<br />
auch <strong>de</strong>r südkoreanische Mischkonzern Hyundai ein PKW-Werk für die Marke Kia in Zilina zu bauen; ab<br />
2007 wur<strong>de</strong> das Land damit zum drittgrößten PKW-Produktionsstandort in Europa. Die Steuerreform mit <strong>de</strong>r<br />
Vereinfachung <strong>de</strong>s Steuerrechts und <strong>de</strong>r Absenkung <strong>de</strong>r Steuersätze begünstigt allerdings einseitig Bezieher<br />
höherer Einkommen, während kleine Leute, Rentner und Arbeitslose unverhältnismäßig stark belastet<br />
wer<strong>de</strong>n. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n die Sozialhilfeleistungen stark gekürzt, was viele Arme in noch größere Not trieb.<br />
Die Regierung hofft, das Wachstum <strong>de</strong>r Wirtschaft durch weitere Neuansiedlung ausländischer<br />
Unternehmen so stark zu steigern, dass am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kuchen für alle größer wird. Das Land hat zum<br />
1.1.2009 <strong>de</strong>n Euro eingeführt, für die Regierung ein wirkungsvolles Argument bei <strong>de</strong>r Werbung um<br />
ausländische Investoren.<br />
In <strong>de</strong>r Außenpolitik beschreitet die Slowakei einen zurückhalten<strong>de</strong>ren Kurs als <strong>de</strong>r Nachbar Tschechien.<br />
Die Regierung in Bratislava visiert eine Rolle als zwar kleines aber feines Mitgliedsland <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> an, wie sie<br />
z.B. Österreich verkörpert. Die Regierung steht nicht zurück, eigene I<strong>de</strong>en in die <strong>EU</strong>-Außenpolitik<br />
einzubringen, und erkennt <strong>de</strong>nnoch an, dass eine von <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> losgelöste Politik auf <strong>de</strong>n großen<br />
außenpolitischen Themenfel<strong>de</strong>rn nutzlos wäre. Man weiß um das relative Gewicht seiner Bevölkerung, die ja<br />
auch starke Min<strong>de</strong>rheiten aufweist. Die ca. 500.000 Ungarn z.B. sind sehr selbstbewusst und wür<strong>de</strong>n<br />
erneute nationalistische Höhenflüge, wie sie in <strong>de</strong>n ersten Jahren <strong>de</strong>r Unabhängigkeit versucht wur<strong>de</strong>n, nicht<br />
akzeptieren. Die Verankerung <strong>de</strong>r Slowakei in <strong>de</strong>r <strong>EU</strong> wird von <strong>de</strong>r Regierung und <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung nach wie vor als großer Vorteil gesehen. Die Slowakei unterstützt auch das Projekt einer<br />
gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Deswegen tritt sie für die Schaffung <strong>de</strong>s Amtes<br />
eines Europäischen Außenministers sowie für die Einrichtung einer Europäischen Schnellen<br />
Eingreiftruppe zum Einsatz in <strong>de</strong>n Krisenher<strong>de</strong>n Europas und weltweit ein. Als stolzes Neumitglied <strong>de</strong>r<br />
NATO will man die Eingreiftruppe allerdings nicht ganz unabhängig von <strong>de</strong>r NATO operieren lassen.<br />
Deshalb spricht sich die slowakische Regierung dafür aus, das Oberkommando <strong>de</strong>r europäischen<br />
Eingreiftruppe im NATO-Hauptquartier in Brüssel anzusie<strong>de</strong>ln und darüber hinaus auch NATO-Offiziere mit<br />
Aufgaben bei <strong>de</strong>n Einsatzplanungen zu betrauen.<br />
15 Jahre vor <strong>de</strong>r offiziellen Osterweiterung <strong>de</strong>r Europäischen Union wur<strong>de</strong>n in Ungarn dafür die Grundlagen<br />
geschaffen: Beim "Paneuropa-Picknick" am 19. August 1989 in Sopron schnitten <strong>de</strong>r damalige ungarische<br />
Außenminister Gyula Horn und sein österreichischer Kollege Alois Mock die ersten Löcher in <strong>de</strong>n Drahtzaun<br />
zwischen Ungarn und Österreich und öffneten damit symbolisch <strong>de</strong>n "Eisernen Vorhang". Dieses erste<br />
offene Tor in <strong>de</strong>n Westen nutzten in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Wochen Tausen<strong>de</strong> DDR-Bürger, die ihren Urlaub in<br />
Ungarn verbrachten, zur Flucht. Nur drei Wochen später kündigte Horn im ungarischen Fernsehen an, dass<br />
nunmehr für sämtliche ausreisewilligen DDR-Bürger <strong>de</strong>r legale Grenzübertritt in <strong>de</strong>n Westen möglich sei.<br />
Diese Öffnung <strong>de</strong>r Grenze beschleunigte <strong>de</strong>n Verfall <strong>de</strong>s kommunistischen Systems und kann in <strong>de</strong>r<br />
Rückschau durchaus als Geburtsstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s neuen Europas betrachtet wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Ungarn verstehen ihr Land als kulturelles Solitär, nicht nur weil das Ungarische we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m<br />
indogermanischen noch <strong>de</strong>m slawischen Sprachkreis angehört, son<strong>de</strong>rn auch weil ihr Land tatsächlich einen<br />
politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Treffpunkt zwischen Orient und Okzi<strong>de</strong>nt darstellt. Budapest, das<br />
lange <strong>de</strong>n Beinamen "Paris <strong>de</strong>s Ostens" trug, war z.B. als Han<strong>de</strong>lsmetropole Brücke zwischen West- und<br />
Osteuropa. Im Laufe seiner Geschichte wur<strong>de</strong> Ungarn überdies vom Osten wie Westen immer wie<strong>de</strong>r<br />
besetzt, z.B. war es ab 1541 als "Üngürü" 150 Jahre lang Provinz <strong>de</strong>s Osmanischen Reiches. Angst vor <strong>de</strong>m<br />
Untergang <strong>de</strong>r Nation gab es in Ungarn seit <strong>de</strong>r Reichsgründung vor 1000 Jahren. Der Zug nach Westen ist<br />
<strong>de</strong>r zentrale nationale Mythos <strong>de</strong>r Magyaren und dieser Traum scheint 2004 mit <strong>de</strong>m Beitritt zur <strong>EU</strong> in<br />
Erfüllung gegangen zu sein. Heute bekennt sich das "Pufferland" Ungarn zum Westen und nimmt selbst viel<br />
stärker als früher seine eigene Beson<strong>de</strong>rheit wahr, also das, was es innerhalb Europas an wirklich<br />
Unvergleichlichem besitzt. Dies ist sowohl eine Bereicherung wie eine Chance für das vergrößerte Europa,<br />
im Spiegel <strong>de</strong>r ungarischen Kultur auch ein neues Gesicht seiner selbst zu sehen.<br />
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