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Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon

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des „Gattungs-Allgemeinen“ 465 vor dem Individuell-Besonderen behauptet. Während <strong>Maimon</strong><br />

sich mit seiner Kritik am Begriff der Individualität mit Kant 466 vereinigen könnte, so zeigt die<br />

Diskussion von <strong>Maimon</strong>s unendlichem <strong>Verstand</strong>, daß dieser die Funktion zu übernehmen hat,<br />

welche Kant der transzendentalen Apperzeption zuspricht. Während beide darin überein-<br />

kommen, daß es sich dabei um eine Tätigkeit handeln muß, so unterscheiden sich beide<br />

gr<strong>und</strong>legend in der Auffassung, wie diese Tätigkeit oder Spontaneität aufzufassen ist. Mai-<br />

mon behauptet einen unendlichen <strong>Verstand</strong>s als objektives Denken des Denkens, während<br />

Kant von der selbstreflexiven Spontaneität eines transzendentalen Subjekts ausgeht. <strong>Maimon</strong>s<br />

Umgang mit der philosophischen Tradition ist jedoch nicht eine bloße Wiedererneuerung so-<br />

genannter ‚vorkritischer’ Lehren, sondern muß vielmehr als eine Synthese verstanden werden.<br />

Anhand von <strong>Maimon</strong>s Kant-Kritik konnte gezeigt werden, daß <strong>Maimon</strong> sowohl Kants Be-<br />

wußtseinsstandpunkt wie auch den eines unendlichen <strong>Verstand</strong>es in ein Koalitionssystem zu<br />

integrieren vermag. Weder ist der ‚Aristotelische’ Standpunkt durch Kant widerlegt, noch<br />

sind die Einsichten Kants 467 irrelevant. Beide Positionen finden sich zu einer Synthese zu-<br />

sammen, wenngleich der Blick darauf, daß <strong>Maimon</strong> den unendlichen <strong>Verstand</strong> als Idee be-<br />

zeichnet, erhellt, daß <strong>Maimon</strong>s final synthesis in der Aufhebung von Kants Position liegt.<br />

<strong>Maimon</strong>s Philosophie ist dadurch einerseits als Erbe der islamischen <strong>und</strong> jüdischen Aristoteli-<br />

465 Darin liegt weiterhin der Gr<strong>und</strong>, daß sich <strong>Maimon</strong> mit seiner Auffassung von der <strong>Weltseele</strong>, die in einigen<br />

Punkten an die Auffassungen des Sturm <strong>und</strong> Drang <strong>und</strong> der Romantik erinnern mag, gr<strong>und</strong>legend von dieser<br />

Geistesströmung unterscheidet. Vgl. hierzu die Charakteristik Heimsoeths: „Gegen diesen Vorrang des Gattungs-Allgemeinen<br />

bei Kant <strong>und</strong> der Aufklärung überhaupt wenden sich dann die Führer der neuen geistigen<br />

Bewegungen, des Sturms <strong>und</strong> Drangs, des Neuhumanismus selbst, <strong>und</strong> dann vor allem der Romantik. In ihnen<br />

allen brechen Züge des Leibnizischen Weltbildes <strong>und</strong> der Persönlichkeitslehre Shaftesburys in neuer Wendung<br />

wieder durch. Hamann <strong>und</strong> Herder, Goethe <strong>und</strong> Humboldt, Schleiermacher <strong>und</strong> Friedrich Schlegel kämpfen für<br />

das Einzigartige des einzelnen in Natur <strong>und</strong> Menschheit. Der eigentliche Ort für das Problem des Individuums<br />

wird nunmehr die Geschichte mit der einmaligen <strong>und</strong> einzigartigen Entwicklungsbedeutung der in ihr auftretenden<br />

Gestalten. An der entscheidenden Wichtigkeit führender Genien für alle menschheitliche Entwicklung wird<br />

jetzt das Höher-Sein des Individuellen gegenüber dem bloß gattungshaft Allgemein-Menschlichen besonders<br />

deutlich. Das Gleichheisideal zerfällt. An einer einzigen Stelle des Kantischen Systems war diese neue Wertung<br />

vorbereitet: in seiner Würdigung des künstlerischen Genies, dessen konkrete Sinngesetzlichkeit sich jeder allgemeinen<br />

Regel gr<strong>und</strong>sätzlich entzieht. An diesem Punkt knüpfen nun alle an.“ (Heimsoeth [1958], 195)<br />

466 Vgl. Heimsoeth (1958), 195. Bei Kant ist dies Allgemeine jedoch die praktische, während dies bei <strong>Maimon</strong><br />

die theoretische Vernunft ist. Siehe hierzu Merlan (1955), 562: „Rousseau <strong>und</strong> Kant denken nicht nur ans Politische,<br />

wenn sie verlangen, daß der Mensch sich von der volonté générale, d.h. dem allgemeinen Willen, der der<br />

allgemeinen Vernunft entspricht, oder vom kategorischen Imperativ beherrschen lassen, d.h. aber sich völlig als<br />

Einzelfall eines Allgemeinen, des Allgemein-Menschlichen, ansehen soll.“<br />

467 Vgl. Gideon Freudenthal (2003 a), 200.<br />

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