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Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon

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„es gibt eine Vernunft von solcher Art, daß sie alles (Intelligible) wird, <strong>und</strong> eine von solcher,<br />

daß sie alles (Intelligible) wirkt/macht, als eine Haltung wie das Licht; denn in gewisser Weise<br />

macht auch das Licht die Farben, die in Möglichkeit sind, zu Farben in Wirklichkeit. Und<br />

diese Vernunft ist abtrennbar, leidensunfähig <strong>und</strong> unvermischt <strong>und</strong> ist ihrem Wesen nach in<br />

Wirklichkeit.“ 59<br />

Gemäß dem Schema von Möglichkeit als Passivität <strong>und</strong> Wirklichkeit als Aktivität ergibt sich<br />

eine passive Vernunft, welche die intelligiblen Formen aufnimmt, <strong>und</strong> eine aktive Vernunft,<br />

welche diese in der passiven Vernunft bewirkt. Wie das Licht die Farben aus der Möglichkeit<br />

in die Wirklichkeit überführt, so ist es dank dieser tätigen Vernunft, daß der Mensch zu prin-<br />

zipieller (intelligibler) Erkenntnis kommt. Die Vernunft auf Seiten der Tätigkeit (wirkend,<br />

leidensunfähig) wurde nach Aristoteles als nous poietikos (aktiver Intellekt) 60 , die leidende<br />

(aufnehmende) Vernunft wurde als nous pathetikos bekannt. 61 Beide verhalten sich nach dem<br />

bekannten Verhältnis von Potenz <strong>und</strong> Akt, Passivität <strong>und</strong> Aktivität, materieller dynamis <strong>und</strong><br />

tätiger energeia: eine aktive Vernunft <strong>und</strong> eine „durch die zu rezipierenden Wesensformen<br />

‚bestimmbare’ Vernunft oder hinsichtlich der konkreten Erkenntnis bestimmter Wesensfor-<br />

59<br />

Aristoteles (1995), 3. Buch, 5. Kapitel, 173 [430 a]. Siehe weiterhin zur passiven Vernunft, Aristoteles (1995),<br />

3. Buch, 5. Kapitel, 165 [429 a]: „Daher besitzt sich auch keine andere Natur als diese, daß sie vermögend (zum<br />

Erkennen) ist. [...] Und treffend äußern sich diejenigen, die sagen, die Seele sei der Ort der Formen, nur daß dies<br />

nicht die ganze, sondern die vernünftige Seele ist, <strong>und</strong> daß sie die Formen nicht in Wirklichkeit, sondern in Möglichkeit<br />

ist“; sowie Aristoteles (1995), 3. Buch, 5. Kapitel, 171 [429 b – 430 a]: „Es muß sich so verhalten wie<br />

bei einer Schreibtafel, auf der noch nichts in Wirklichkeit geschrieben steht, was bei der Vernunft zutrifft. Und<br />

sie selbst ist erkennbar/intelligibel wie die intelligiblen Objekte. Bei dem, was ohne Materie besteht, ist das vernünftige<br />

Erkennende <strong>und</strong> das Erkannte dasselbe“. Im folgenden werden die Begriffe aktive/passive Vernunft, aktiver/passiver<br />

Intellekt <strong>und</strong> aktiver/passiver <strong>Verstand</strong> synonym gebraucht genauso wie kein Unterschied zwischen<br />

Vernunft <strong>und</strong> <strong>Verstand</strong> in der Philosophie <strong>Maimon</strong>s gemacht wird. <strong>Maimon</strong> reflektiert freilich die Unterscheidung<br />

von <strong>Verstand</strong> <strong>und</strong> Vernunft (wobei er sich allerdings für die Tradition <strong>und</strong> gegen Kant entscheidet).<br />

Jedoch werden im folgenden <strong>Verstand</strong> <strong>und</strong> Vernunft als „höhere Erkenntnißvermögen“ den niederen entgegengesetzt,<br />

was letztlich auf die Unterscheidung von aktivem <strong>und</strong> passivem <strong>Verstand</strong> zurückgeht, was noch zu zeigen<br />

sein wird. Dabei geht es also um die Unterscheidung von möglich <strong>und</strong> wirklich sowie passiv <strong>und</strong> aktiv, so<br />

daß für den vorliegenden Zusammenhang auf eine Betrachtung des Unterschiedes von <strong>Verstand</strong> <strong>und</strong> Vernunft<br />

verzichtet werden kann.<br />

60<br />

Die aktive Vernunft „ist nicht bald tätig, bald nicht tätig (d.h. sie ist immer tätig).“ (Aristoteles [1995], 3.<br />

Buch, 5. Kapitel, 173 [430 a])<br />

61<br />

Zu den Begriffen nous poietikos <strong>und</strong> nous pathetikos vgl. Blumenthal (1996), 153. Zunächst bemerkt Blumenthal<br />

über „pathetikos“: „In the first place it is, of course, a verbal adjective indicating that something is at the receiving<br />

end of an action, by contrast with poiêtikos, which describes something at the active or doing end of the<br />

same or another action. Pathêtikos, in so far as it relates to an active, and therefore for Aristotle necessarily in actuality<br />

intellect, then comes to mean potential as well. Hence the application of pathêtikos, on just one occasion,<br />

by Aristotle to the intellect which is the potential correlate of the intellect which operates by doing – or making –<br />

all things (tôi panta poiein) of De Anima 3.5, which the commentators, but not Aristotle himself, called nous<br />

poiêtikos: perhaps the term was invented by Alexander though, of course, the fact that he is the first known user<br />

does not prove this.“<br />

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