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Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon

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„daß unser Denken aus dem Vermögen zur Wirklichkeit übergeht, sowie auch dadurch, daß<br />

die Formen der werdenden <strong>und</strong> vergehenden Dinge vorhanden sind, nachdem sie vorher in<br />

ihrem Stoffe nur dem Vermögen nach vorhanden waren. Alles aber, was aus dem Vermögen<br />

zur Wirklichkeit übergeht, muß notwendig außerhalb seiner etwas haben, das es zur Wirklichkeit<br />

bringt <strong>und</strong> dieses muß notwendig von derselben Art sein wie das zur Wirklichkeit<br />

Gebrachte.“ 92 [Hervorhebung F.E.]<br />

Neben dieser Standardauffassung des aktiven Intellekts in seiner doppelten Funktion folgt<br />

<strong>Maimon</strong>ides in der Auffassung vom passiven Intellekt der Lehre Alexanders. Der passive<br />

<strong>Verstand</strong> ist nach <strong>Maimon</strong>ides keine Substanz, sondern wird als „eine untrennbare Kraft im<br />

Körper“ 93 betrachtet 94 . Dasjenige, was den Menschen als Menschen auszeichnet, seine Form<br />

<strong>und</strong> sein Wesenswas, die Vernunft, ist dementsprechend nicht der passive <strong>Verstand</strong> als eine<br />

körperliche Kraft, sondern die im Individuum aktualisierte oder erworbene Vernunft: der Be-<br />

sitz intelligibler Erkenntnis. 95 Allein dieser Besitz zeichnet den Menschen als Menschen, als<br />

vernünftiges Tier aus. 96<br />

92 <strong>Maimon</strong>ides (1995), 2. Buch, 4. Kapitel, 46 f. Vgl. <strong>Maimon</strong>ides (1995), 2. Buch, 18. philosophischer Leitsatz,<br />

12: „Wenn etwas aus dem Möglichen zum Wirklichen übergeht, wird dies durch etwas außer ihm bewirkt, <strong>und</strong><br />

zwar muß dies notwendig außer ihm sein. Denn wäre es in ihm <strong>und</strong> es gäbe kein Hindernis, so könnte es niemals<br />

als Vermögen, sondern müßte immerfort wirklich sein. Wäre es aber in ihm <strong>und</strong> es gäbe ein Hindernis, so müßte<br />

unzweifelhaft dasjenige, welches das Hindernis beseitigte, auch seinen Übergang aus der Möglichkeit in die<br />

Wirklichkeit herbeiführen. Beachte dies!“<br />

93 Scheyer (1845), 34.<br />

94 Nach <strong>Maimon</strong>ides (1995), ist der passive Intellekt „nur ein Vermögen, eine bloße Anlage“ (1. Buch, 70. Kapitel,<br />

276). Das „rationelle Vermögen [ist] eine körperliche Kraft <strong>und</strong> nichts vom Körper Verschiedenes.“ (1.<br />

Buch, 72. Kapitel, 312) Daraus folgt, daß das „rationelle Vermögen, wenn es nicht in seiner Natur gemäß thätig<br />

ist, [...] nicht das Ich des Me[n]schen“ bildet (Scheyer [1845], 39); siehe auch Weiß (1923), CCXLIX.<br />

95 Der Mensch lebt also nach diesem Modell nur dann seiner Bestimmung gemäß, wenn er seine Vernunft betätigt,<br />

d.h. denkt. Für <strong>Maimon</strong>ides wie für Aristoteles besteht die höchste Vollkommenheit des Menschen in der vita<br />

contemplativa (siehe Aristoteles [2006], 10. Buch, 7. Kapitel, 328-331, sowie <strong>Maimon</strong>ides [1995], 3. Buch,<br />

54. Kapitel, 365-369; vgl. hierzu Altmann [1981], der neben Aristoteles auf weitere Vorbilder <strong>Maimon</strong>ides’ aus<br />

der islamischen <strong>und</strong> jüdischen Philosophie eingeht; Kellner [1990] versucht hingegen den Kontext des rabbinischen<br />

Judentums stärker zu betonen: „I have attempted to present a reading of <strong>Maimon</strong>ides’ comments on<br />

the nature of human perfection which shows that the highest perfection available to Jews is the imitation of God<br />

through the observance of the commandment of the Torah.” [61]). <strong>Maimon</strong> sieht seine Gr<strong>und</strong>überzeugung – in<br />

Übereinstimmung mit <strong>Maimon</strong>ides – ebenfalls in der Aristotelischen vita contemplativa: „Vergebens wird man<br />

also die Würde des Menschen <strong>und</strong> seinen Rang vor den bloßen Thieren anderwärts suchen, als wo ihn Aristoteles<br />

gesucht <strong>und</strong> gef<strong>und</strong>en hat, im Denkvermögen. Ist es also W<strong>und</strong>er, wenn ein Denker seiner Bestimmung als<br />

Mensch gemäß, die sogenannten wichtigen menschlichen Angelegenheiten dem Theologen, Politiker u.s.w.<br />

überläßt, <strong>und</strong> bloß seine Würde, als denkendes Thier zu behaupten sucht?“ (GW V, 324)<br />

96 <strong>Maimon</strong>ides (1992), 1. Kapitel, 8: „Wisse aber, dass diese einheitliche Seele, von deren Kräften oder Theilen<br />

wir hier eine Beschreibung vorausgeschickt, gleichsam die Materie <strong>und</strong> die Vernunft deren Form ist. Wenn ihr<br />

nun also die Form nicht zu Theil wird, ist die Existenz der in ihr vorhandenen Anlage, diese Form anzunehmen,<br />

so gut als vergeblich <strong>und</strong> eine zwecklose Existenz, wie Salomo (Spr. 19, 2) sagt: ‚(auch) die Seele ist ohne Vernunft<br />

nichts Gutes’, d.h. die Existenz einer Seele, welche keine Form erlangt hat, sondern eine Seele ohne Intelligenz<br />

verbleibt, ist nicht gut.“ Vgl. hierzu Weiß (1923), CCLI: „Es sind somit alle Seelenvermögen <strong>und</strong> ebenso<br />

auch das rationelle Vermögen, welches Maimuni, weil es eine bloße Anlage ist, die hylische Vernunft nennt,<br />

nichts als körperliche Kräfte. Erst durch die Aufnahme gewisser Erkenntnisse kann das rationale Vermögen et-<br />

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