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Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon

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ten <strong>und</strong> Begriffe seien wirklich vorhanden, vielmehr existieren sie in jeder Seele nur virtuell,<br />

der Anlage nach. Er bezeichnet folglich die angeborenen Ideen <strong>und</strong> Wahrheiten als „bloße<br />

Anlagen (des inclinations, des dispositions, des habitudes, ou des virtualites naturelles) die<br />

von einigen unwahrzunehmenden (insensibles) Handlungen begleitet werden“ (<strong>Weltseele</strong>, 75<br />

f.). Zum Beweis seiner Theorie führt Leibniz nach <strong>Maimon</strong> „die erworbne Fertigkeiten (les<br />

habitudes acquises) <strong>und</strong> die Vorräthe des Gedächtnisses an, (les provisions) deren Existenz in<br />

unsrer Seele man zugeben muß, (indem sie bey Gelegenheit zum Vorschein kommen) <strong>und</strong> de-<br />

ren wir uns doch nicht immer bewust sind.“ (<strong>Weltseele</strong>, 76) Anders als die Aristotelische<br />

Möglichkeit der passiven Materie, ist für Leibniz in der Möglichkeit bereits alles Wirkliche<br />

vorhanden. 233 Die angeborenen Wahrheiten sollen sich nach Leibniz wie die unbewußten<br />

Vorräte des Gedächtnisses verhalten. Genau dieses macht <strong>Maimon</strong> Leibniz streitig, indem ge-<br />

rade diese erworbenen Inhalte der Seele „von den körperlichen Eindrücken zurückgelassene<br />

Spuren im Gehirn“ (<strong>Weltseele</strong>, 85) sein können. <strong>Maimon</strong> versucht das Vermögen der Erinne-<br />

rung naturalistisch als physisches Vermögen zu erklären. <strong>Maimon</strong> kann sich hierbei nicht nur<br />

auf antike <strong>und</strong> mittelalterliche Vorbilder berufen, sondern auch auf zeitgenössische Theorie-<br />

eingegraben werden sollen, sondern sobald sie vorhanden ist, muß sie auch Vorstellungen haben, denn nichts<br />

anders heißt für eine Seele vorhanden seyn. Diese Vorstellungen aber können von der Beschaffenheit der eingewickelten<br />

Begriffe seyn, davon wir oben gesehen, daß sie allezeit in der Seele, ohne von ihr bemerkt zu werden,<br />

anzutreffen seyn können. Denn da wir gesehen, daß die menschliche Seele keine Ausdehnung wahrnehmen<br />

kann, ohne sich implicite alle geometrische Wahrheiten vorzustellen; so ist es leicht möglich, daß es einen Zustand<br />

der Seele geben könne, in welchem alle ihre Vorstellungen diese Beschaffenheit haben, daß sie von ihr<br />

selbst nicht erkannt werden, wie z.B. im Schlafe. Ein <strong>unendlicher</strong> <strong>Verstand</strong>, der sich die Seele eines schlafenden<br />

vorstellet, muß in derselben nothwendig Vorstellungen wahrnehmen, sonst würde sie nicht vorhanden seyn,<br />

gleichwohl ist sie selbst ihrer sich alsdenn nicht bewußt, <strong>und</strong> hat keine auseinander gewickelte oder deutliche<br />

Vorstellungen. Eine ähnliche Beschaffenheit mag es mit der Seele, vor dem Eintritte in dieses Leben gehabt haben.<br />

So sie anders vorhanden war, so hat ein <strong>unendlicher</strong> <strong>Verstand</strong> nothwendig Vorstellungen in derselben wahrnehmen<br />

müssen, sie selbst aber kann sich vielleicht ihrer nicht eher bewußt gewesen seyn, bis sich die Begriffe<br />

in diesem Leben durch Veranlassung der sinnlichen Eindrücke nach <strong>und</strong> nach entwickelt haben. Man siehet hier<br />

den Uebergang zu den erhabenen Lehren der neuern Weltweisen, daß die Seele niemals aufhöre sich implicite<br />

schlechterdings die ganze Welt, explicite aber nur die Welt nach der Lage ihres Körpers in derselben vorzustellen,<br />

daß die sinnlichen Eindrücke nur die Anlässe <strong>und</strong> Gelegenheiten seyn, bey welchen die Vorstellungen der<br />

Seele sich entwickeln <strong>und</strong> wahrgenommen werden, <strong>und</strong> daß diese Entwickelung der Begriffe in der Seele mit der<br />

Entwickelung der Begebenheiten ausser derselben vollkommen harmoniere.“<br />

233 Bloch spricht dabei von einem bereits bei Straton zu entdeckenden „Linkseffekt“ (Bloch [1985], 492) der dynamis-Lehre<br />

des Aristoteles, der bis zu Leibniz <strong>und</strong> darüber hinaus reiche: „Und zuletzt sei noch auf die nicht<br />

geringe Beziehung hingewiesen, die ohne Pantheismus zwischen Avicenna, Averroës <strong>und</strong> der Leibnizischen immanenten<br />

Entfaltungslehre besteht. Obwohl auch bei Leibniz das Stoff-Form-Problem terminologisch versunken<br />

ist, bleibt die Verwandtschaft der sich entfaltenden Keim-Materie mit der Evolutionsreihe schlafender, träumender,<br />

wacher Monade unverkennbar.“ (512)<br />

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