Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon
Weltseele und unendlicher Verstand - Salomon Maimon
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eine Erste Ursache, wohingegen er zwei Erklärungsmodelle zur Theorie der Zeugung unter-<br />
scheidet, welche die untersuchten Phänomene indirekt auf die Erste Ursache zurückführt. Ex-<br />
plizit argumentiert diese Stelle gegen einen Anhänger des Erklärungsversuches, jede Wirkung<br />
ohne die Vermittlung von Mittelursachen unmittelbar auf die Erste Ursache zu beziehen: 154<br />
„Sagst du ihm aber, daß Gott in den Samen eine gestaltende Kraft gelegt hat, welche die Fähigkeiten<br />
dieser Organe begründet <strong>und</strong> ihnen ihre Gestalt gibt, <strong>und</strong> daß diese Kraft der Engel<br />
ist, oder daß alle Formen von der Tätigkeit der wirkenden Vernunft herrühren <strong>und</strong> diese der<br />
Engel <strong>und</strong> der Vorsteher der Welt ist, von dem unsere Weisen immer sprechen, so wird er davon<br />
nichts hören wollen, weil er die wahren Bedeutungen der Allmacht <strong>und</strong> des Allvermögens<br />
nicht versteht, diese aber in der Erzeugung der sinnlich nicht wahrnehmbaren, in einem<br />
Dinge wirksamen Kräfte sich äußert.“ 155<br />
<strong>Maimon</strong> hat diese Passage in seiner Lebensgeschichte übersetzt. Aus dieser Übersetzung ist<br />
zu ersehen, daß <strong>Maimon</strong> den von Weiß als „gestaltende Kraft“ 156 übersetzten Terminus mit<br />
„Bildungstrieb“ 157 wiedergibt sowie daß er den aktiven Intellekt an der betreffenden Stelle<br />
nicht einmal erwähnt. Weiterhin ersieht man aus <strong>Maimon</strong>s hebräischen Kommentar zum Füh-<br />
rer der Unschlüssigen, Giv’at Hamoreh, daß <strong>Maimon</strong> auch an anderer Stelle den aktiven In-<br />
tellekt mit Blumenbachs Bildungstrieb geradezu identifiziert: „l’instinct de formation (Bil-<br />
dungstrieb), ce que les philosophes péripatéticiens appellent l’intellect agent.“ 158 Daraus er-<br />
gibt sich folgendes Bild: <strong>Maimon</strong>s <strong>Weltseele</strong>, welche dem aktiven Intellekt nachempf<strong>und</strong>en<br />
154<br />
Vgl. hierzu Gideon Freudenthal (2004), besonders 95-99.<br />
155<br />
<strong>Maimon</strong>ides (1995), 2. Buch, 6. Kapitel, 58 f. Der Kommentar von Adolf Weiß zu dieser Stelle lautet: „Der<br />
Verf. [<strong>Maimon</strong>ides; F.E.] hat in dem Vorstehenden die beiden Ansichten, die über das Werden des Keimes bestehen,<br />
nämlich die Ansicht Aristoteles’, daß das Zeugende eine im Samen oder im Menstruationsblute vorhandene<br />
seelische Kraft, <strong>und</strong> die Ansicht Ibn Sinas [Avicennas; F.E.], daß dies die aktive Vernunft sei, zusammengefaßt.<br />
Er scheint also, wie Schemtob (Komm. z. St.) bemerkt, beide Ansichten zu akzeptieren <strong>und</strong> der erstgenannten<br />
Kraft die Entstehung der Organe <strong>und</strong> alles dessen, was sie zu ihrer Funktion bedürfen, der aktiven Vernunft<br />
hingegen die ihnen verliehene zweckmäßige Form zuzuschreiben.“ (<strong>Maimon</strong>ides [1995], 2. Buch, 6. Kapitel,<br />
59 Anm.)<br />
156<br />
Die englische Übersetzung von Pines hat „formative force“ (<strong>Maimon</strong>ides [1963], 263), Munk übersetzt „force<br />
formatrice“ (<strong>Maimon</strong>ides [1964], 71)<br />
157<br />
In der Übersetzung <strong>Maimon</strong>s lautet die Passage: „Sage ihm hingegen: Gott hat dem Keime des Menschen einen<br />
Bildungstrieb beigelegt, <strong>und</strong> dieser ist eigentlich der vorerwähnte Engel, so wird er diesen Gedanken als ketzerisch<br />
verdammen, weil er von der wahren Macht <strong>und</strong> Weisheit keinen Begriff hat, welche eben in der Hervorbringung<br />
verborgen wirkender Kräfte sich zeigt.“ (GW I, 385 f.)<br />
158<br />
<strong>Maimon</strong> (1999), Kommentar zum 1. Buch, 72. Kapitel des Führers der Unschlüssigen, 275.<br />
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