Kulturtipp - chasaeditura.ch
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SAMMLUNG DES GEORGE EASTMAN HOUSE, ROCHESTER<br />
AKTUELL<br />
AUSSTELLUNG<br />
Kinder als gequälte Erwa<strong>ch</strong>sene<br />
PD<br />
Lewis Hine hat zu Beginn<br />
des letzten Jahrhunderts<br />
das soziale Elend seiner<br />
Heimat dokumentiert.<br />
Das Fotomuseum Winterthur<br />
zeigt nun 170 Fotografien<br />
des Moralisten.<br />
Sie ist ein Kind, das aussieht wie<br />
eine Erwa<strong>ch</strong>sene, vom S<strong>ch</strong>icksal<br />
gezei<strong>ch</strong>net. Der US-Fotograf<br />
Lewis Hine (1874–1940) hat das<br />
Bild 1913 in einer Spinnerei in<br />
Neuengland aufgenommen. Als<br />
passionierter Fotograf wollte er<br />
das soziale Elend der Vereinigten<br />
Staaten dokumentieren. Sein<br />
Hauptanliegen war der Kampf<br />
gegen die Kinderarbeit.<br />
Zeugnisse seiner Zeit<br />
Lewis Hine: Die zwölfjährige Spinnereiarbeiterin Addie Card, 1913<br />
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
war die Kinderarbeit in den USA<br />
und in Europa weit verbreitet.<br />
Über 1,7 Millionen Kinder sollen<br />
na<strong>ch</strong> einer Volkszählung vor dem<br />
Ersten Weltkrieg in den USA<br />
Lohnarbeit geleistet haben. Die<br />
Folgen waren fatal: Sie verpassten<br />
den S<strong>ch</strong>ulunterri<strong>ch</strong>t und blieben<br />
zum Teil Analphabeten. Zudem<br />
s<strong>ch</strong>ufteten sie bis zu 60 Arbeitsstunden<br />
in der Wo<strong>ch</strong>e. Den<br />
kärgli<strong>ch</strong>en Lohn mussten sie ihrer<br />
Familie entri<strong>ch</strong>ten. Deshalb<br />
wurde 1904 das National Child<br />
Labor Committee (NCLC) gegründet<br />
mit dem Ziel, die Kinderarbeit<br />
zu unterbinden.<br />
Charles<br />
C. Ebbets:<br />
«Lun<strong>ch</strong> atop a<br />
Skyscraper»,<br />
1932 (wurde<br />
fäls<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>erweise<br />
lange<br />
Lewis Hine<br />
zugeordnet)<br />
Hine kannte die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Not aus eigener Erfahrung. In<br />
Wisconsin in bes<strong>ch</strong>eidenen Verhältnissen<br />
aufgewa<strong>ch</strong>sen, verlor<br />
er seinen Vater früh. Er konnte<br />
si<strong>ch</strong> aber zum Soziologen ausbilden<br />
lassen, arbeitete später als<br />
Lehrer und bra<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> das Fotografieren<br />
bei. Dann liess er si<strong>ch</strong><br />
vom NCLC anstellen. Bis 1917<br />
dokumentierte er die Kinder -<br />
arbeit auf mehr als 5000 Bildern.<br />
Oft gab er si<strong>ch</strong> dabei als religiösen<br />
Prediger aus, um Zutritt zu den<br />
Fabrikhallen zu erhalten. Er hatte<br />
mit Repressionen der Unternehmer<br />
zu re<strong>ch</strong>nen. Sie erkannten<br />
die politis<strong>ch</strong>e Wirkung von Hines<br />
Bildern, die zu heftigen politis<strong>ch</strong>en<br />
Debatten über die Ausbeutung<br />
von Kindern führten.<br />
Die allerdings erst 30 Jahre später<br />
na<strong>ch</strong> der grossen wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Depression Wirkung zeigten:<br />
«Die Fotos, die zu neuen Arbeitsgesetzen<br />
führten», übers<strong>ch</strong>rieb<br />
die britis<strong>ch</strong>e «Daily Mail» eine<br />
Fotoreportage über Hines Werk.<br />
Unbequemer Kämpfer<br />
Hine zog na<strong>ch</strong> Europa und dokumentierte<br />
im Ersten Weltkrieg<br />
die Arbeit des Roten Kreuzes.<br />
Später sollte er in den USA no<strong>ch</strong><br />
einmal grosse Bea<strong>ch</strong>tung finden:<br />
Er erhielt den Auftrag, den Bau<br />
des hö<strong>ch</strong>sten Gebäudes der Welt<br />
zu dokumentieren, die Erri<strong>ch</strong>tung<br />
des Empire State Buildings<br />
in Manhattan. Seine Bildserie<br />
war spektakulär, und so kam es,<br />
dass man ihm das berühmteste<br />
Bild einer Baustelle zuordnete:<br />
«Lun<strong>ch</strong> atop a Skyscraper» (links<br />
unten) mit Mohawk-Indianern<br />
und iris<strong>ch</strong>stämmigen Arbeitern<br />
auf einem Betonträger; es ers<strong>ch</strong>ien<br />
1932 in der «New York<br />
Herald Tribune». Wie si<strong>ch</strong> später<br />
herausstellte, stammte es jedo<strong>ch</strong><br />
vom Fotografen Charles C. Ebbets,<br />
der den Bau des Rockefeller<br />
Centers dokumentierte. Angehörige<br />
der Bauarbeiter erkannten<br />
ihre Verwandten auf dem Bild.<br />
Hine blieb zeitlebens ein unbequemer<br />
Kämpfer für eine bessere<br />
Welt. Gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Anerkennung<br />
blieb ihm versagt. Er starb<br />
1940 verarmt und vergessen.<br />
Lewis Hine<br />
Sa, 8.6.–So, 25.8.<br />
Fotomuseum Winterthur<br />
Rolf Hürzeler<br />
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